von Dennis Simon
In der Mainstream-Presse und seitens der etablierten Parteien wird oft der Vorwurf gegen Russland und zunehmend auch China erhoben, dass sie eine Strategie der Spaltung der EU verfolgen. Russland unterstütze, so lautet die gängige These, "rechte" Parteien und säe gesellschaftliche Zwietracht, um die EU-Staaten zu schwächen. China setze dagegen vor allem seine wirtschaftliche Macht ein, investiere in einer Reihe ost- und südeuropäischer Länder. Auch das geschehe mit der Absicht, die EU zu schwächen.
Solche Hypothesen sind völlig realitätsfremd und höchstens für den Konsum von hoffnungslos ideologisch Verblendeten geeignet. Hierbei wird übersehen, dass sowohl Russland als auch China geopolitisch überhaupt kein Interesse an einer schwachen EU haben – im Gegenteil. Für beide Staaten sind derzeit und auch auf absehbare Zeit die USA die Hauptbedrohung in der internationalen Politik, da eine Abkehr der US-Eliten von ihrem aggressiven Kurs gegenüber China und Russland nicht zu erwarten ist. Die USA besitzen mit deutlichem Abstand mehr Macht als die anderen westlichen Staaten und sind auch bereit, diese Macht für negative Zwecke einzusetzen – etwa, um Rivalen zu "sanktionieren" und Wirtschaftskriege anzuzetteln. Im schlimmsten Fall geht das bis hin zu völkerrechtswidrigen Angriffskriegen und Besetzungen.
Die Großmächte Westeuropas dagegen können losgelöst von der NATO und (in zweiter Linie) der EU kaum Macht projizieren. Sogar ein wirtschaftlich verhältnismäßig einflussreicher Staat wie Deutschland ist allein nur begrenzt dazu fähig, militärisch überregional zu wirken. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt zudem, dass die EU-Staaten der Tendenz nach eher geneigt sind, auf der Basis der Anerkennung gegenseitiger Interessen einen Kompromiss mit Russland und China einzugehen. Die USA hingegen sind zunehmend von der Sorge beseelt, wie sie ihre weltweite Hegemonie aufrechterhalten können, und wirken immer zerstörerischer auf die internationale Ordnung ein– mit negativen Konsequenz sowohl für die EU als auch Russland, China und andere nichtwestliche Staaten.
In dieser Lage wären Moskau und Peking ziemlich schlecht beraten, wenn sie tatsächlich auf eine Spaltung der EU hinarbeiten würden, denn diese würde es den US-Amerikanern erleichtern, ihre Hegemonie über Europa aufrechtzuerhalten. Die USA versuchen, die europäischen Großmächte und kleineren Staaten gegeneinander auszuspielen und eine Balance zwischen ihnen zu erhalten, damit keine ernsthaften Bestrebungen zu einer europäischen Autonomie entstehen können. Es gibt hier gewisse Parallelen zu den Versuchen Großbritanniens im 18. und 19. Jahrhundert, das Gleichgewicht zwischen den kontinentaleuropäischen Staaten zu wahren. Russland und China haben im Gegensatz zu den Vorwürfen ein Interesse daran, dass die europäischen Staaten statt des Weges der westlichen Hegemonie, an deren Spitze die USA stehen, den Weg des Friedens und der gemeinsamen Entwicklung einschlagen. Moskau und Peking würden es etwa begrüßen, wenn das Projekt der europäischen Integration seine hegemonistischen Ansprüche ablegt und sich zunehmend dem Projekt der eurasischen wirtschaftlichen Integration anschließt.
Die Erklärungen der Vertreter Russlands und Chinas stützen diese Sicht. Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte etwa im letzten Jahr ganz klar:
Wir verfolgen nicht das Ziel, etwas oder jemanden in der EU zu spalten. (…) Wir müssen im Gegenteil die Kooperation mit der EU ausbauen.
Je mehr Probleme es in der EU gebe, desto größer seien die Risiken und Unsicherheiten für Russland.
Auch die chinesische Außenpolitik hat eine ähnliche Perspektive auf diese Frage. So erklärte etwa der chinesische Außenminister Wang Yi erst vor wenigen Tagen, dass die Volksrepublik China den Prozess der europäischen Integration unterstützt. Peking wünsche sich, dass Europa eine aktivere Rolle in der Weltpolitik spielt. Zudem äußerte Wang seine Hoffnung, dass die EU eine freundlichere Politik gegenüber China verfolgt.
China und die EU hätten keine Konflikte über grundsätzliche Interessen. Beide sollten die globale Multipolarisierung und den Multilateralismus fördern sowie die Stellung und Autorität der Vereinten Nationen stärken, wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete.
Die europäischen Staaten wären im Interesse des Friedens, der Völkerverständigung und der gemeinsamen, für alle Seiten vorteilhaften Entwicklung gut beraten, die Kooperationsangebote aus dem Osten anzunehmen.
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