von Zlatko Percinic
Viel wurde in Deutschland und in anderen Ländern über den überraschenden Vorstoß von Kramp-Karrenbauer zum Thema Nordsyrien gesprochen. Dabei überrumpelte sie offensichtlich mit Segen aus dem Kanzleramt die gesamte Bundesregierung und düpierte Außenminister Heiko Maas (SPD), in dessen Ressort eigentlich die Gestaltung der Außenpolitik fällt. Er halte nichts von "SMS-Diplomatie", sagte Maas nach einem Treffen mit dem litauischen Amtskollegen, der zu Besuch in Berlin war. Daraus könne "schnell eine SOS-Diplomatie" werden, mahnte er.
Was war passiert? Nachdem die deutsche Politprominenz plötzlich das Völkerrecht wiederentdeckt und den Bruch derselbigen der Türkei nach ihrer Militäroffensive in Nordsyrien vorgeworfen hat, preschte die CDU-Chefin mit einer für Nachkriegsdeutschland schon fast revisionistischen Haltung vor: Schluss mit militärischer Zurückhaltung, Europa muss endlich Flagge zeigen und Verantwortung übernehmen. Und zwar in Syrien, einem der blutigsten und brutalsten Kriege seit Ende des Zweiten Weltkrieges.
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SPD-Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich war in der Tagesschau nicht der Einzige, der sich fragte, in welcher Position und in wessen Namen Kramp-Karrenbauer eigentlich spricht, nachdem ihr Vorstoß weder abgesprochen noch vom Kabinett als offizielle Regierungspolitik gebilligt wurde. Als Verteidigungsministerin? Als CDU-Chefin? Als Privatperson?
Deutschland und die Europäer hätten sich "wie Zaungäste" verhalten, meinte sie weiter und plädierte deshalb für die Errichtung einer "europäischen Sicherheitszone" in Nordsyrien. Für CDU-Politiker wie Roderich Kiesewetter oder Norbert Röttgen ist das Wasser auf den Mühlen. Sie fordern schon lange eine aktivere deutsche Außenpolitik, ganz nach Vorbild des transatlantischen Mentors, der dies ohnehin von den Europäern und insbesondere Deutschland fordert.
Die Europäer nur als Zaungäste in Syrien? Für Deutschland mag diese Beschreibung zutreffen, wenn man es denn lediglich im militärischen Kontext betrachten möchte und davon absieht, dass die deutsche Luftwaffe Aufklärungsmissionen durchführt. Aber bei den Briten, Franzosen und Italienern trifft das nicht zu. Sie haben in den vergangenen Jahren mit eigenen Spezialkräften auf syrischem Territorium illegal operiert, haben also genau jenes Völkerrecht gebrochen, das man jetzt den Türken um die Ohren haut.
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Annegret Kramp-Karrenbauer will das aber anders machen. Sie will eine "international kontrollierte Sicherheitszone unter Einbeziehung der Türkei und Russlands" errichten, "mit dem Ziel, die Lage dort zu deeskalieren". Die Türkei dürfe Nordsyrien nicht dauerhaft besetzen. Dafür solle Deutschland seine Position als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat nutzen, um die Grundlage für ein UN-Mandat zu schaffen, mit dem dann die Sicherheitszone durch verschiedene Länder durchgesetzt werden soll. Auch mit der Bundeswehr.
Das Zeitfenster für den Vorschlag ist jetzt günstig, denn in den nächsten Tagen und Wochen wird sich auch die Frage entscheiden, wie eine dauerhafte Lösung für diese Region aussehen sollte.
Dieses Zeitfenster hat sich aber bereits geschlossen, bevor die Verteidigungsministerin ihre Ideen überhaupt ihren NATO-Kollegen beim zweitägigen Treffen der Verteidigungsminister in Brüssel unterbreiten konnte, das am Donnerstag beginnt. Denn die Türkei hat mit Russland bereits die Weichen gelegt, wie die "dauerhafte Lösung für diese Region aussehen sollte". Diese Lösung sieht vor, dass die syrische Regierung als alleinige Vertreterin der souveränen Syrischen Arabischen Republik vollkommene territoriale Integrität zurückerlangt. Genau das liegt aber nicht im Interesse Deutschlands, weshalb Angela Merkel ihrer Parteifreundin auch den Rücken bei diesem unkonventionellen Vorstoß stärkt.
Das Ziel der deutschen Politik unter Merkel war seit Ausbruch der Krise 2011 und dem importierten Krieg in Syrien stets ein Sturz von Präsident Baschar al-Assad, dem man die Legitimität als Staatschef absprach. Das führte zu solchen absurden Blüten in der deutschen Medienlandschaft, dass im Verlauf des Krieges die syrische Armee als Besatzungsarmee im eigenen Land dargestellt wurde. Eine territoriale Konsolidierung der Regierung in Damaskus ist gleichbedeutend mit einer politischen Niederlage in Berlin. Deshalb nun der letzte verzweifelte Versuch von Kramp-Karrenbauer, diesen unaufhaltsamen Prozess doch noch irgendwie aufzuhalten.
Dabei übersieht sie die rasche Veränderung auf dem Boden. Die Türkei, die ebenso wie Deutschland an einem Regimewechsel in Syrien arbeitete und Dschihadisten jeglicher Couleur dafür benutzte, musste aufgrund der russischen Präsenz einsehen, dass diese Politik gescheitert ist. Präsident Erdoğans Sprecher, Fahrettin Altun, benutzte nach der Übereinkunft mit Wladimir Putin in Sotschi die Worte "territoriale Integrität" und "politische Einheit" Syriens. Selbst US-Präsident Donald Trump bedankte sich für die Schaffung einer "Sicherheitszone", die durch die russisch-türkische Übereinkunft bereits am nächsten Tag umgesetzt wurde. Er nannte es einen "großen Erfolg".
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Wenn also die USA, als illegale und völkerrechtswidrige Besatzungsmacht in Syrien – und kein Einziger derjenigen deutschen Politiker, die jetzt das Völkerrecht wiederentdeckt haben, hat Washington deshalb kritisiert – das Feld räumen mussten und sich am Ende sogar dafür bedanken, dann ist der Zug abgefahren, auf den Kramp-Karrenbauer aufspringen wollte. Das sollte auch ihren NATO-Kollegen klar sein, insbesondere jenen, die zuvor schon das Völkerrecht in Syrien gebrochen haben.
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