von Zlatko Percinic
Jeder kennt das Gefühl der Wut und Ohnmacht, wenn lange vorbereitete Pläne von unvorhergesehenen Ereignissen oder durch Dritte sabotiert werden und am Ende scheitern. Man sucht die Schuld für dieses Scheitern bei jenen, die ungefragt unsere Pläne durchkreuzt haben. Die Wenigsten machen sich hingegen die Mühe und hinterfragen die eigene Handlung. Vielleicht war das Scheitern unumgänglich, weil es von Anfang an schlecht durchdacht war oder man in der eigenen Hybris schlichtweg kein anderes Ergebnis für möglich hielt.
So auch im Fall von Syrien. Lange vor Ausbruch der Proteste und kriegerischer Auseinandersetzungen sowie dem Aufkommen des sogenannten Islamischen Staates (IS) versuchten die USA, die Auswirkungen der US-Invasion einzudämmen. Der Irak sollte der erste Dominostein sein, der die Landkarte des Mittleren Ostens verändern sollte. Ein Untersuchungsbericht für den US-Kongress aus dem Jahr 2005 hält fest, dass die Pläne für den Sturz des syrischen Präsidenten Assad durch den "unerwarteten Widerstand" gegen die amerikanischen Besatzer im Irak ins Stocken geraten waren.
Erst spät wurde den Planern in Washington aber bewusst, dass durch die Zerstörung des Iraks die Tür für einen iranischen Einfluss geöffnet wurde.
Um diesen zurückzudrängen und sich dabei möglichst nicht die eigenen Finger schmutzig zu machen, nutzten die US-Amerikaner die Dienste von Dschihadisten, die sich zum Heiligen Krieg nach Syrien aufmachten. Mit schweren Waffen aus dem 2011 zerstörten Libyen versorgt, sammelten sich Dschihadisten aus verschiedenen Ländern unter dem Banner des IS, der ein neues Kalifat auferstehen lassen wollte.
Das alles war den US-Geheimdiensten und der Regierung bekannt. Man wusste schon sehr früh, wer die sogenannte Opposition in Syrien anführte und ließ sie trotzdem gewähren. In einem Geheimdienstbericht des US-Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2012 wurde zugegeben, dass die Terrororganisation Al-Qaida von Anfang an die Proteste gegen die Regierung in Syrien dominierte und warnte vor der Errichtung eines "salafistischen Fürstentums" in Ostsyrien. Es war am Ende eine "bewusste Entscheidung" der US-Regierung von Präsident Barack Obama, nichts dagegen zu unternehmen, wie der ehemalige Direktor der DIA, General Michael Flynn, in einem Interview zugab. Der General räumte sogar ein, dass die USA dieselben Terroristen in Syrien unterstützten, die man eigentlich offiziell bekämpfte.
Die Frage nach dem Warum, die sich unweigerlich aufdrängt, wurde in einer E-Mail der damaligen Außenministerin Hillary Clinton zum Thema "Neuer Iran und Syrien 2" im Jahr 2012 beantwortet:
Der beste Weg, um Israel behilflich zu sein, mit der wachsenden nuklearen Leistungsfähigkeit des Irans klarzukommen, ist es, der syrischen Bevölkerung zu helfen, das Regime von Baschar al-Assad zu stürzen. (…) Irans Atomprogramm und Syriens Bürgerkrieg scheinen nicht miteinander verbunden zu sein, aber sie sind es. Für israelische Führer ist die wahre Bedrohung eines nuklear bewaffneten Irans nicht die Aussicht eines irren iranischen Führers, der einen nicht provozierten Nuklearangriff auf Israel ausführt und dabei zur Auslöschung beider Länder beiträgt. Wovor sich die israelische Militärführung tatsächlich fürchtet, aber nicht darüber sprechen kann, ist der Verlust ihres nuklearen Monopols. (…) Das Resultat wäre eine prekäre nukleare Balance, wo Israel nicht mehr auf Provokationen mit konventionellen militärischen Schlägen auf Libanon und Syrien antworten könnte, wie es das heute tun kann.
Um dieses Ziel zu erreichen, nahmen viele Länder, darunter an prominenter Stelle auch Deutschland, in Kauf, dass in Syrien Millionen Menschen vertrieben wurden und Hunderttausende mit ihrem Leben bezahlen mussten. Selbst die von den USA angeführte Koalition gegen den IS nahm es anfänglich nicht so ernst mit dem selbstgesteckten Auftrag, wie der Untersuchungsbericht für den Kongress feststellte:
Mitglieder der US-Regierung könnten Bedenken haben, dass eine aggressivere Kampagne gegen den Islamischen Staat den Druck von der syrischen Regierung nehmen könnte.
Erst als Russland auf Einladung der syrischen Regierung mit einer im Verhältnis kleinen Streitmacht sowie mit Langstreckenbombern und Marschflugkörpern aus dem Schwarzen Meer Ende September 2015 in den Krieg eintrat, wurde der Kampf gegen die wahhabitischen Dschihadisten ernsthaft aufgenommen. Zusammen mit Kämpfern der Hisbollah und weiteren schiitischen Milizen sowie iranischen Revolutionswächtern gelang es der syrischen Armee mit russischer Luftunterstützung, das Blatt zu wenden.
Heute spricht niemand mehr von der westlichen, arabischen und türkischen Unterstützung für die "moderaten Rebellen" der Freien Syrischen Armee (FSA), die im Blutrausch ähnliche Verbrechen begingen wie die Schlächter des IS und andere Extremisten oder der Duldung und sogar aktiven Kollaboration der Türkei mit dem IS. Als sich dann auch noch die vermeintlichen Helden der Weißhelme nach anfänglichem brillanten PR-Erfolg als bezahlte Terrorunterstützer in deren Hochburg Idlib erwiesen, blieben für die westlichen Regierungen nur noch die Kurden übrig.
Da sich die USA und weitere westliche Regierungen weigerten, den russischen Vorschlag zum gemeinsamen Kampf gegen das Frankensteinmonster anzunehmen, dem man "bewusst" zur Geburt verholfen hatte, blieben die Kurden als einzige Alternative übrig. Sie sollten die Bodentruppen für die US-angeführte Koalition stellen, während Spezialeinheiten aus verschiedenen Ländern als "Berater" zur Seite standen, um unter anderem auch die Luftunterstützung zu koordinieren. Die eigens dafür geschaffenen Demokratischen Kräfte Syriens (DKS) bestehen allerdings überwiegend aus Kämpfern der YPG, der kurdischen Volksverteidigungseinheit der Partei der Demokratischen Union (PYD).
Für die Türkei wurde mit der Unterstützung dieser kurdischen Kämpfer allerdings die Saat für den Einmarsch in Syrien gesät. Ankara bezeichnet die PYD als syrischen Ableger der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in der Türkei verboten und in vielen Ländern als Terrororganisation eingestuft ist. Es waren auch syrisch-kurdische PKK-Kämpfer, die nach Ausbruch der Proteste in Syrien ihre Chance witterten und ihre Rückzugsorte in den irakischen Kandil-Bergen verließen, um die YPG-Miliz zu gründen.
Zusammen mit westlichen Einheiten und der von den USA errichteten Besatzungszone in Syrien errichteten die PYD eine de facto kurdische Herrschaft unter US-amerikanischem Protektorat. Sie träumten von ihrem eigenen Staat, Rojava, nachdem sie den IS größtenteils aus ihrem Gebiet vertrieben hatten. Doch sie unterschätzten die geopolitischen Umwälzungen nicht nur in der Region, sondern auch global.
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