von Gert Ewen Ungar
Es sind in diesen Tagen zwei Nachrichten, an denen sich der ökonomische Wahnsinn zeigt, der inzwischen in pathologischem Ausmaß die deutsche Politik in festem Griff hält.
Bundesminister Peter Altmaier (CDU) wartet mit der Idee einer "Klimaanleihe" auf, die gut verzinst dem Klimaschutz dienen soll. Altmaier möchte über eine noch zu gründende Stiftung 50 Milliarden Euro bei den Bürgern einsammeln, die sich den Luxus leisten können, ihr Geld nicht ausschließlich in den Konsum für den eigenen Bedarf fließen lassen zu müssen. Mit anderen Worten: Er möchte, vermutlich aus Steuermitteln, jenen noch mehr Geld zukommen lassen, die ohnehin schon über welches verfügen, das sie aktuell nicht brauchen. Woher er das Geld für die Bezahlung der Zinsen nehmen möchte, lässt er weitgehend offen. An der Schwarzen Null will die CDU schließlich festhalten. Es müsste daher zur Bezahlung der Zinsen irgendwo gekürzt werden.
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Umrahmt wird diese Meldung von Alarmismus aus derselben parteipolitischen Ecke. Mario Draghi hat am Donnerstag eine weitere Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZV) verkündet. Der Leitzins liegt zwar schon seit 2016 bei null Prozent, allerdings hat die EZB den Negativzins erhöht, wodurch das Parken von Geld teurer wird. Zudem will die EZB den Aufkauf von Staatsanleihen ausweiten. Die CDU-Fraktion im Bundestag ist naturgemäß entsetzt. Auch die AfD schwafelt von der Enteignung der Sparer.
Gründe für den Schritt der EZB gibt es zahlreiche. Die nächste Rezession ist bereits wirksam, in der größten Volkswirtschaft der EU, in Deutschland, herrscht katastrophale Unterinvestition, die Eurozone ist ökonomisch keineswegs stabil.
Wirtschaftliche Zusammenhänge werden missachtet
Zusammengesetzt sind diese beiden Einzelmeldungen das Zeugnis kompletter Unkenntnis ökonomischer Zusammenhänge in der deutschen Politik.
Die Infrastruktur in Deutschland verrottet und wird sogar aktiv zurückgebaut. Wie man ebenfalls in diesen Tagen erfährt, plant die Bahn, sich in Teilen Deutschlands komplett vom Güterverkehr zu verabschieden. Die Bahn ist ein Unternehmen, das zu 100 Prozent in Besitz des Bundes ist. Wie der Rückbau von Schienenverkehr dem Klima und der Umwelt dient, wird man Peter Altmaier und den für das Bahnnetz zuständigen Minister Scheuer fragen müssen. Der Transport von Gütern fällt ja nicht weg, er wird nur auf die Straße verlegt.
Weder Unternehmen noch der Staat investieren in Deutschland in auch nur ausreichendem Maße, das heißt im Hinblick auf den Staat noch nicht einmal so viel, dass die Substanz erhalten bleibt. Wer in diesem Zusammenhang das Wort "Generationengerechtigkeit" in den Mund nimmt, ist zynisch. Aktuell hinterlassen wir Verfall.
In der Privatwirtschaft sucht man tatsächliche Innovationen in Deutschland aktuell vergebens. Im Gegenteil wurde die technologische Entwicklung der letzten Dekaden in Deutschland verschlafen. Die letzte große digitale Neuerung mit der Deutschland international auf sich aufmerksam gemacht hat, war eine Software zum Fälschen von Abgaswerten. Ansonsten haben wir nichts zu bieten.
Deutschland hinkt hinterher und hat offensichtlich auch nicht die Absicht, das entstandene Defizit aufzuholen. So ließ Forschungsministerin Karliczek (CDU) unlängst wissen, dass das Hochtechnologieland Deutschland keinen flächendeckenden 5G-Ausbau braucht.
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Aber nicht nur der Staat spart die Zukunft seiner Bürger kaputt. Statt zu investieren sparen auch die Unternehmen. Sie tragen ihr Geld an die Finanzmärkte. So lange die Möglichkeit besteht, an den weitgehend deregulierten Finanzmärkten höhere Gewinne zu erzielen als in der Realwirtschaft durch Innovation und das Erzielen von Produktivitätszuwächsen, wird das auch so bleiben.
Diese invertierte Spielart der Marktwirtschaft ist allerdings in keiner Weise gesund.
Eine verständige, an den Interessen der Bürger ausgerichtete Politik müsste über parteipolitische Grenzen alles daran setzen, den Normalzustand wieder herzustellen. Dieser Normalzustand ist, dass Gewinne in der Realwirtschaft erzielt werden. Dagegen werden Krisen in der Realwirtschaft immer an den irrationalen, zu Übertreibungen tendierenden Finanzmärkten ausgelöst.
Es wäre also mehreres zu tun. Es muss die Realwirtschaft stimuliert werden. Das geht nur über massive staatliche Investitionen, das heißt über Schulden. In einem zweiten Schritt müssen die Finanzmärkte ruhig gestellt werden. Sie dürfen mit ihrer Irrationalität die Realwirtschaft nicht stören.
Bundesregierung verpasst - buchstäblich - günstige Gelegenheit
Keine Gelegenheit wäre günstiger für den ersten Schritt als jetzt, denn es herrschen Negativzinsen. Bei Minuszinsen muss Deutschland weniger Schulden zurückzahlen, als es aufgenommen hat. Derzeit bekäme es den ökologischen Umbau des Landes quasi geschenkt. Wir könnten unsere Infrastruktur auf Vordermann bringen und unsere enormen Defizite im Hinblick auf den digitalen Wandel aufholen.
Wir machen das nicht – aus dumpf ideologischen Gründen. Weil Schulden machen schlecht und sparen gut ist. Immer, überall, für jeden und alle. Die intellektuelle Flachatmigkeit dieser und der vergangenen Bundesregierungen in ökonomischer Hinsicht ist unglaublich. Und das Allerschlimmste: Sie zwingt diesen Unsinn der gesamten EU auf.
Was würde passieren, wenn die Volkswirtschaften der Eurozone Kredite nachfragen würden, um technologisch zum internationalen Standard aufzuschließen und um Klimaschutz zu mehr als nur einer Floskel zu machen? Mittelfristig würden die Zinsen steigen, denn der Zins ist der Preis fürs Geld. Wird kein Geld nachgefragt, ist der Zins niedrig. Ist die Nachfrage hoch, steigt auch der Zins. Das Gejammer über die niedrigen Zinsen und die angebliche Enteignung der Sparer ist daher völlig fehl am Platze, denn das Problem ist hausgemacht. Es wird von denjenigen verursacht, die mit allen Mitteln und gegen jede Vernunft an der Schuldenbremse festhalten wollen und Investitionen in die Zukunft Deutschlands verhindern.
Es mag sein, dass der Jurist Altmaier und die Hotelfachfrau Karliczek von diesen Zusammenhängen tatsächlich keine Ahnung haben. Aber die mit den Banken verbandelten Lobbyisten der Parteien - Alice Weidel (AfD), Christian Lindner (FDP), Friedrich Merz (CDU) - wissen das allzu gut. Sie veräppeln ihre Wähler mit ihren populistischen Parolen in vollem Wissen, dass sie makroökonomisch falsch sind.
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Steigt der Zins würde Draghi vermutlich vor Glück vom Stuhl rutschen, denn all seine Unternehmungen zielen seit Jahren darauf, die Volkswirtschaften der Eurozone dazu zu bringen, das Geld, das er ihnen nachwirft, auch aufzunehmen und für Investitionen zu verwenden. Mit den aufgenommenen Krediten könnte Deutschland im Rahmen des Klimaschutzes umgebaut werden und technologisch zu den inzwischen maßgeblichen Ländern wie China aufschließen.
Dadurch entstünden hochwertige Arbeitsplätze, die Löhne würden steigen. So würde sich durch den sich daraus ergebenden Konsum auch die Inflation in Richtung der 1,9 Prozent bewegen, die als Inflationsziel für den Euroraum ausgegeben ist. Das wäre nur gesund.
In einem zweiten Schritt könnte man den Finanzmärkten mit geeigneten Maßnahmen ihre Macht nehmen und sinnvolle Aktivitäten von schädlichen trennen und diese gesetzlich massiv einschränken.
Es ist im Grunde recht einfach. Allerdings wird all das nicht passieren. Aus geistiger Verhärtung, aus Unvermögen, aus Arroganz und institutionalisierter Korruption.
Deutschland wird an der Schwarzen Null gegen alle Vernunft und gegen alle Offerten festhalten, wird auf Austerität bestehen und wird die EU weiter ein Stück weit in Richtung Abgrund treiben. Die weltweite Rezession wird den Exportweltmeister Deutschland mit aller Härte treffen, was zu vermehrter Sparanstrengung führen wird, wodurch sich die Krise noch weiter verschärft. Der Fachkräftemangel in den deutschen Ministerien und Fachausschüssen hat ein erschreckendes Ausmaß erreicht. Anders ist ein Vorstoß wie die Klimaanleihe Altmaiers in einem Umfeld mit negativen Zinsen nicht erklärbar. Es ist pathologisch, was in Deutschland passiert.
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