Die irreführenden Informationen der Bundesregierung über die Ukraine – Teil 1

Der Westen habe sich 2014 in der Ukraine nicht eingemischt, Rechtsextreme dort seien ohne Einfluss. Und der Sturz von Präsident Janukowitsch sei kein Putsch gewesen – all das behauptet die Bundesregierung seit Jahren. Nur sind diese Behauptungen falsch.

von Jochen Mitschka

Als im Jahr 2015 die Informationen im Internet im Vergleich zu denen in den Massenmedien immer weiter auseinander liefen, erstellte das Auswärtige Amt im Februar einen "Realitätscheck", um die "Behauptungen" im Internet zu widerlegen. Diese "Prüfungen" wurden dann über eine Veröffentlichung in der jungen Welt bekannt gemacht. Tatsächlich jedoch bestätigten diese Vorläufer von "Faktenchecks" nur, was die Satire-Sendung "Die Anstalt" bereits thematisiert hatte: Die vollkommen einseitige Kriegsberichtserstattung der Medien – und natürlich auch von "der Politik".

Nach fünf Jahren kann man das Fazit ziehen, dass die Aussagen der deutschen Regierung historisch gesehen einfach zum allergrößten Teil falsch waren. Dabei hatte sich das Auswärtige Amt zum Teil auf ein Papier der Konrad-Adenauer-Stiftung vom Mai 2014 gestützt, das erstaunliche Übereinstimmungen aufweist, jedoch noch wesentlich weniger Punkte bespricht. (Jedenfalls war die Übernahme vermutlich kostengünstiger als die Auftragsvergabe an eine Beraterfirma.)

Hier nun also die ersten Punkte aus dem Papier im Teil 1 einer Artikelserie – und seien Sie nicht überrascht, wenn Sie kaum glauben können, was Sie lesen werden. Prüfen Sie einfach die Quellen und ob den Nachrichten widersprochen wurde – oder ob sie einfach in den meisten deutschen Medien schlicht gar nicht oder nur einseitig "interpretiert" auftauchten.

In der Folge werde ich die einzelnen "Erklärungen" des Auswärtigen Amtes also ausführlich widerlegen. Zunächst zitiere ich Thesen (fett kursiv) und die Antworten der Regierung darauf  (kursiv), um dann selbst darauf mit Belegen zu kommentieren.

"1. These: Der Westen hat sich in die inneren Angelegenheiten der Ukraine eingemischt und zur Absetzung der legitimen Führung Janukowitsch beigetragen.

Richtig ist: Konkreter Anlass für die Maidan-Proteste ab Herbst 2013 war die überraschende Entscheidung der ukrainischen Regierung am 21.11.2013, die langjährigen Verhandlungen über das EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen auszusetzen. Noch kurz zuvor hatte Präsident Wiktor Janukowitsch das Ziel einer Zeichnung des Abkommens im November 2013 bekräftigt. Viele Bürger der Ukraine fühlten sich durch dieses Vorgehen getäuscht und reagierten mit Protesten u. a. auf dem Maidan in Kiew. Diese friedlichen Demonstrationen entwickelten sich zu Massenprotesten, die auch Forderungen nach umfassender Achtung rechtsstaatlicher Prinzipien, Korruptionsbekämpfung und einem Ende des gewaltsamen Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten aufnahmen. Westliche Politiker sprachen sich für eine friedliche Lösung aus und riefen die ukrainische Regierung zur Wahrung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit auf. Die Ukraine hat sich international gegenüber ihren Partnern zur Wahrung dieser politischen Grundfreiheiten und Menschenrechte verpflichtet."

Darauf lautete bereits im Februar 2015 meine Antwort: Bei der "Argumentationshilfe" der Bundesregierung gegen diese These vergaß sie einige Kleinigkeiten, die nicht unwesentlich sind.

a) Die USA

investierten 5 Milliarden US-Dollar in die Destabilisierung der Regierung. Die stellvertretende US-Außenministerin (bekannt durch ihren Ausspruch "Fuck the EU") erklärte selbst stolz, dass man über 5 Milliarden Dollar in die "Demokratisierung" des Landes gesteckt hätte. Das war aber nur ein Teil des Geldes, das in die Ukraine floss, um Politiker wie Jazenjuk oder den Schokoladenkönig Poroschenko zu überzeugen.

Nicht nur Politiker, sondern auch Krawallmacher und Demonstranten wurden Berichten zufolge bezahlt, letztere um sich unter die friedlichen Demonstranten zu mischen und Zusammenstöße zu provozieren. Im Counterpunch konnte man schon am 29. Januar 2014 lesen: "Ukraine und die Wiedergeburt des Faschismus". In dem Artikel wird die tiefe Verflechtung von Neo-Nazis mit den oppositionellen Kräften beschrieben, ohne dass dies aber die Unterstützer in den USA abgeschreckt hätte. Ob die Behauptungen stimmen, dass der in einem Video Gezeigte, tatsächlich ein CIA-Agent ist (Das Video ist inzwischen gelöscht), blieb ungeklärt, weil nach dem Putsch viele Beweise vernichtet wurden, die nicht von Internet-Benutzern anderweitig gesichert worden waren. Aber ein späterer Bericht der BBC und die darin gemachten Zeugenaussagen bestätigen zumindest einige der Behauptungen. Darauf komme ich in einem anderen Punkt noch einmal zurück.

Eine weitere Quelle der Erkenntnis wäre die Liste der Unterstützer der Arsenij Jazenjuk Stiftung. Diese Homepage des Premierministers der Ukraine, dessen Ernennung von Frau Nuland in einem Telefonat mit ihrem Botschafter in Kiew besprochen wurde, existiert klugerweise auch nicht mehr. Überhaupt ist interessant, wie Frau Nuland die später tatsächlich "zufällig" gerade so zusammengesetzte Regierung skizziert hatte. Bedenkt man, dass die USA ja angeblich keinerlei Einfluss genommen hätten, laut der Bundesregierung jedenfalls.

Interessant ist auch, dass eine der ersten Forderungen des IWF war, so schnell wie möglich und so viel wie möglich vom ukrainischen Staatseigentum zu privatisieren. Und auch, dass der Sohn des US-Vizepräsidenten eine führende Position in einem Konzern bekleidete, der ausgerechnet im Osten des Landes auf riesige Fracking-Gewinne hoffte, war sicherlich ein Zufall.

"Der Westen hat sich in die inneren Angelegenheiten der Ukraine eingemischt und zur Absetzung der legitimen Führung Janukowitsch beigetragen." – also diese Feststellung soll unter Betrachtung der genannten Tatsachen, falsch sein? Nun, vielleicht sollte man einmal auch die Rolle der Bundesregierung in diesem Spiel etwas näher betrachten.

b) Deutschland

Der Einfluss der Konrad-Adenauer-Stiftung und der CDU, mit ihrem Politikzögling Vitali Klitschko, scheint der Bundesregierung kurze Zeit später entgangen zu sein. Und dann gab es ja noch peinlicherweise die Leaks über E-Mails, die zwischen Klitschko und dem litauischen Präsidenten-Berater Laurynas Jonavičius ausgetauscht wurden. Dabei wurde deutlich, dass Vitali "Konditionen" akzeptierte, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. Und schließlich schreibt er:

Ich denke wir haben den Weg geebnet für eine radikalere Eskalation der Situation. Ist es nicht an der Zeit für entschiedenere Aktionen? Ich möchte auch bitten über die Möglichkeit einer stärkeren Finanzierung nachzudenken, um unsere Unterstützer für ihre Dienste zu bezahlen.

Fünf Jahre nach dem Putsch in Kiew wurden die "Verschwörungstheorien" im Internet zu geschichtlichen Tatsachen. Dank eines Artikels in der New York Times wissen wir inzwischen, dass die abschließende Besprechung des gewaltsamen Putsches ausgerechnet in der deutschen Botschaft stattfand. Während zeitgleich der deutsche Außenminister noch einen Vertrag für die friedliche Lösung des Konfliktes als Garantiemacht unterzeichnete. Es stellt sich die Frage: Wenn Janukowitsch gewusst hätte, dass die Garantien von Deutschland und Frankreich das Papier nicht wert waren, auf dem sie standen, hätte er dann auch seine Sicherheitskräfte abgezogen oder abziehen lassen? Durch diesen Rückzug entstand ein Kräftevakuum, in das die gewalttätigen Putschisten eindrangen und den gewalttätigen Sturz der Regierung verursachten.

Es war am 20. Februar und schon dunkel, als der deutsche Botschafter Besuch bekam. Es waren der US-Botschafter Pyatt und andere NATO-Diplomaten sowie Andrei Parubij, der den bewaffneten Aufstand leitete. Er war derjenige, welcher für die tödlichen Schüsse vom 18. Februar verantwortlich war. Er erschien in einem gefleckten Kampfanzug mit einer Sturmhaube. So findet man in der New York Times folgenden Bericht, und seine Worte darin waren deutlich:

"… Während die Außenminister von Deutschland und Polen und ein hochgestellter französischer Diplomat sich mit Mr. Janukowitsch trafen, um am Donnerstagabend dem 20. Februar, einen Waffenstillstand im Büro des Präsidenten zu vereinbaren, trafen sich in der deutschen Botschaft auch Mr. Pyatt mit Andrei Parubij, dem Chef der Sicherheitskräfte der Demonstranten, und sie erklärten diesem, er solle die Lwiw-Waffen aus Kiew fern halten.

'Wir sagten ihm: 'Lassen Sie diese Waffen nicht nach Kiew kommen. Falls sie kommen sollten, würde das die ganze Situation verändern', erinnerte sich Mr. Pyatt zu Parubij gesagt zu haben, der zu dem Treffen mit einer schwarzen Sturmhaube gekommen war.

In einem kürzlich geführten Interview in Kiew leugnete Mr. Parubij, dass die in Lwiw übernommenen Waffen jemals nach Kiew gelangt wären, aber fügte hinzu, dass die Aussicht ein mächtiger Hebel war, um sowohl auf das Lager von Mr. Janukowitsch als auch die westlichen Regierungen einzuwirken.

'Ich warnte sie, dass falls die westlichen Regierungen nicht härtere Schritte gegen Janukowitsch unternahmen, der ganze Prozess wieder sehr bedrohliche Dimensionen annehmen könnte', sagte er (Parubij)."

Aber die Waffen waren bereits nach Kiew gekommen, und das war auch öffentlich während der Live-Übertragung vom Maidan auf der Bühne erklärt worden.

Der Bürgerkrieg war vorprogrammiert. Am 18. Februar waren 28 Menschen getötet worden, darunter Polizisten der Bereitschaftspolizei Berkut. Das war Tag der Heckenschützen, die auf Polizisten UND Demonstranten schossen. Und längst gehen – wie eingangs erklärt – wissenschaftliche Analysen und investigative Journalisten davon aus, dass für die Toten diejenigen verantwortlich sind, die dann die Macht im Staate übernahmen. Und trotzdem marschierte der deutsche Bundespräsident, Arm in Arm mit einem Verbündeten der Hauptverdächtigen, zum Gedenken der Toten am ersten Jahrestag der Morde auf der Straße.

Besonders die USA bloßstellend ist die Tatsache der engen Kooperation der NATO und der USA nicht nur mit Parubij, sondern auch mit dem Rechten Sektor, der noch 2015 als Nazi-Bataillon vom US-Kongress mit einem Bann belegt worden war. Und diese enge Beziehung wird nicht nur in Kees van der Pijls Buch über den Abschuss von Flug MH-17 erklärt, sondern hält bis heute an:

Eine Abordnung von Militärs der USA und anderer NATO-Länder hat sich Ende November 2017 mit Befehlshabern des rechtsradikalen ukrainischen Asow-Bataillons zur Lageplanung getroffen, wie Asow stolz auf seiner Webseite azov.pressverkündete und mit den entsprechenden Bildern belegte.

Die Einmischung geht natürlich noch weiter. Ein Beispiel ist die Erklärung von Vize-Präsident Joe Biden, dass er einen Kredit in Höhe von einer Milliarde Dollar von der Entlassung des Generalstaatsanwaltes abhängig gemacht hat.

Während also die Bundesregierung noch 2015 behauptete, dass ausländische Mächte bei dem Machtwechsel in der Ukraine im Jahr 2014 keine Rolle gespielt hätten, war das nicht nur die Unwahrheit, sondern verschleierte auch die Tatsache, dass Deutschland selbst sehr wohl und sehr intensiv über die Botschaft und über die Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Medien und der deutschen Politik, zusammen mit Vitali Klitschko, an der Vorbereitung und Durchführung des Putsches in Kiew beteiligt war. Und dass sie auch nach dem erzwungenen Regierungswechsel noch mit rechtsradikalen Gruppen gegen Anti-Maidan-Gruppen kooperierte.

Weiter mit der nächsten Regierungserklärung:

"2. These: In Kiew sind Faschisten an der Macht.

Richtig ist: An den Maidan-Protesten beteiligten sich radikale Gruppen, einige davon mit rechtsextremer Gesinnung. Diese machten zahlenmäßig jedoch nur einen kleinen Anteil an den Protestierenden (bis zu zweiMio. gleichzeitig landesweit) aus. An der nach dem Machtwechsel am 27.2.2014 gebildeten Übergangsregierung waren diese Gruppierungen nicht beteiligt.

Die nach dem Machtwechsel an der Übergangsregierung beteiligte Partei Swoboda, die dem rechtsnationalen Spektrum zuzuordnen ist, scheiterte bei der Parlamentswahl im Oktober 2014 ebenso an der Fünf-Prozent-Hürde wie der "Rechte Sektor". An der am 27.11.2014 bestätigten neuen ukrainischen Regierung sind beide Parteien nicht beteiligt. () Bereits bei der Präsidentenwahl am 25. Mai 2014 hatte sich gezeigt, dass rechtsnationale Kräfte keine entscheidende Rolle in der ukrainischen Politik spielen. So erhielt der Kandidat der Swoboda, Tjahnybok, nur 1,16 Prozent und der Kandidat des "Rechten Sektors", Jarosch, nur 0,7 Prozent der Stimmen."

Schon im August 2018 hatten rechtsextremistische Kräfte bereits zweimal erfolgreich der Regierung ein Ultimatum gestellt. Im April 2015 findet man weitere Details zu einer der treibenden faschistischen Kräfte in der Ukraine.

Parubij selbst ist auch ein bekannter Neo-Nazi, der die Sozial-Nationale Partei der Ukraine im Jahr 1991 gegründet hatte. Diese Partei benutzte Neo-Nazi-Symbole und stützte sich auf extremistischen Nationalismus in der Ukraine. Parubij gründete auch einen paramilitärischen Abkömmling dieser Partei, die 'Patrioten der Ukraine'. Er setzte sich dafür ein, dass der Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera, der mitverantwortlich für Tausende von Morden war, rehabilitiert wurde, und (Anm.: posthum) den Titel 'Held der Ukraine' verliehen bekam. Und das, obwohl Bandera auch für die massenhafte Ermordung von Juden und ethnischen Polen verantwortlich war, mit dem Ziel, eine ethnische Säuberung der Ukraine durchzuführen.

Parubij, der also ruhigen Gewissens als einer der führenden Neo-Nazis der Ukraine bezeichnet werden kann, ist (nun) also Minister für Nationale Sicherheit. Also (damit) ausgerechnet verantwortlich für einen Bereich, der besonders durch gewalttätigen Rechtsextremismus gefährdet ist.

Im April 2016 wählte das Parlament der Ukraine diesen Mann zum drittwichtigsten Mann im Staat, zum Parlamentspräsidenten, also zum Vorsitzenden der gesetzgebenden Werchowna Rada.

Aber das deutsche Außenministerium erklärt den deutschen Bundestagsabgeordneten ernsthaft, dass es keinen nennenswerten Rechtsradikalismus in der Ukraine gäbe? Sollen wir wirklich glauben, dass das Außenministerium diese Informationen nicht hatte, oder dass es die Brisanz dieser Umstände nicht erkannte?

Jedenfalls widerspricht selbst eine interessante Äußerung des Botschafters der Ukraine in Deutschland der Bundesregierung, der die rechtsextremistischen "Freiwilligenbataillone" als so wichtig einschätzte, dass er meinte, die ganze Armee wäre längst zusammengebrochen, gäbe es die Neo-Nazis nicht. Leider wurde das Video dieser wichtigen Aussage des ukrainischen Botschafters bei Günther Jauch inzwischen "wegen Verstoß gegen die Youtube-Nutzungsbedingungen" gelöscht, aber es gibt noch eine Beschreibung davon.

Aber fangen wir weiter vorne an. Die Bundesregierung hatte behauptet, dass die Erfolge von Rechtsextremen bei Wahlen minimal wären. Schauen wir uns die Zusammensetzung des Parlaments, der Werchowna Rada an. Ein Fund im Internet hilft dabei:

Der rechtsradikale Populist Oleh Ljaschko der Radikalen Partei ist neu im Parlament und ein Mitglied der regierenden Koalition. Er ist Mitbegründer der Nazi-Kampfverbände Regiment Asow und Bataillon Schachtar. Ljaschko wurde bei der Parlamentswahl in der Ukraine am 26. Oktober 2014 mit seiner Radikalen Partei fünftstärkste Kraft in der Werchowna Rada.

Dann haben wir die beiden Anführer des Rechten Sektors, Dmytro Jarosch und Boryslaw Bereza, die übrigens von Interpol steckbrieflich gesucht werden. Sie wurden direkt gewählt und vertreten ihren Wahlbezirk als Parlamentarier. Dazu der Nazi und Anführer der Asow, Andrei Bilezkyj, der auch direkt gewählt wurde und ein Teil der Koalition (mit der Volksfront) von "Jaz, die Ratz", Victoria Nulands auserwähltem Regierungschef und Washingtons Marionette Arsenij Jazenjuk (…) ist.

Dazu noch Andrei Parubij, Gründer der ukrainischen "NSDAP", der Sozial-Nationalen Partei der Ukraine, die sich in Swoboda umgetauft hat, um damit weniger offensichtlich wie Nazis aussehen. Er ist auch Abgeordneter im Parlament und sogar Vizevorsitzender der Rada. Der Hammer ist: Er steckt mutmaßlich hinter den Scharfschützen, die genau vor einem Jahr auf die Demonstranten und auf die Polizei geschossen haben, und gab den Befehl dazu!

Gehen wir noch mal zurück zum Text des Auswärtigen Amtes:

"So erhielt der Kandidat der Swoboda, Tjagnibok, nur 1,16 Prozent". Was sagt Wikipedia zur Swoboda (Allukrainische Vereinigung "Swoboda")? "Bei der Präsidentschaftswahl in der Ukraine 2014 stimmten landesweit 1,16 Prozent der Wähler für Oleh Tjahnybok, den Parteivorsitzenden und Kandidaten der Swoboda." (laut Wikipedia: Allukrainische Vereinigung "Swoboda", Stand 2018.) Aha, also ging es nicht um Parlamentswahlen, sondern um Präsidentschaftswahlen. Präsidentschaftswahlen sind aber sehr auf Personen fokussiert. Viel wichtiger für den Einfluss einer politischen Richtung ist das Abschneiden bei den Parlamentswahlen. Wie sieht es dort aus? Wikipedia weiter:

Bei der Parlamentswahl 2012 erreichte die Partei mit 10,4 % der Wählerstimmen ein überraschend hohes Resultat. Damit zog sie mit 37 Mandaten erstmals in die Werchowna Rada ein. Bei der Parlamentswahl 2014 erzielte sie lediglich 4.71% und verfehlte damit die 5% Hürde, konnte aber 6 Direktmandate gewinnen. (…) In den vorgezogenen Regionalwahlen im Gebiet von Ternopil am 15. März 2009 erreichte "Swoboda" 35 Prozent der Stimmen und erlangte im Gebietsparlament 50 der insgesamt 120 Sitze. (…) 2014 war die Partei an der Übergangsregierung von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk beteiligt.

Demnach hatte sich das Auswärtige Amt offensichtlich die am besten zum Narrativ passenden Wahlergebnisse herausgesucht und dabei die Relevanz der Wahl für die gestellte Frage vollkommen außer Acht gelassen.

Was man dem Auswärtigen Amt nicht vorwerfen kann, ist, hier womöglich von der Linie der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika abgewichen zu sein. Denn die behauptet auch, dass es kein rechtsextremistisches Problem in der Ukraine gäbe. Offensichtlich gibt es nicht nur "Gute Terroristen" wie in Syrien, sondern auch "Gute Nationalisten". In diesem Artikel der Huffington Post kann man allerdings nach nur 3 Sekunden Google-Suche Informationen über Rechtsextreme in der Ukraine finden.

Für Anfänger: Andrei Parubij, der neue Generalsekretär des Ukrainischen Sicherheitsrates, war einer der Gründer der Neo-Nazi-Partei 'Sozial Nationale Partei der Ukraine' (SNPU), auch als 'Swoboda' bekannt.

Das wird das Auswärtige Amt vielleicht interessieren. Da es offensichtlich nicht weiß, dass man auch Neo-Nazi sein kann, wenn man aus einer rechtsextremistischen Partei ausgetreten (und in eine andere eingetreten) ist. Und dass er das immer noch ist, wurde auch im September 2018 wieder aktenkundig, als Parubij Hitler einen großen Demokraten nannte. Aber jetzt weiter aus der Huffington Post:

Und sein Stellvertreter, Dmytro Jarosch, ist der Anführer einer Partei mit dem Namen Rechter Sektor, der nach Aussagen des Historikers Timothy Stanley, 'die alten Fahnen der Ukrainischen Nazi-Kollaborateure bei seinen Demonstrationen wehen lässt'.

Also, liebes Auswärtiges Amt, auch hohe Beamte, die Neo-Nazis sind, haben politischen Einfluss, nicht nur Abgeordnete der Rada.

Der ranghöchste Rechtsextremist ist der stellvertretende Premierminister Oleksandr Sych, der auch Mitglied der Swoboda ist, und der glaubt, dass Frauen 'einen Lebensstil pflegen sollten, der das Risiko, vergewaltigt zu werden reduziert, d.h. keinen Alkohol zu trinken und sich nicht in fragwürdiger Begleitung zu bewegen'.

Ein stellvertretender Premierminister wird als Neo-Nazi bezeichnet, aber die Bundesregierung behauptet, Rechtsextreme hätten keinen Einfluss auf die Regierung.

Nun kommt aber Telesur, ein linker staatlicher südamerikanischer Sender, zu der Auffassung, dass die ukrainische Regierung nicht nur beeinflusst wird, sondern von den rechtsextremistischen Elementen sogar abhängig ist. Das sagt ein venezolanischer Fernsehsender, der allerdings keine Verbindungen zur NATO pflegt.

Was verbreiten denn deutsche Zeitungen mit einer Redaktion, von der man seit der Satire-Sendung "Die Anstalt" weiß, dass sie erhebliche Verbindungen zu NATO- und transatlantischen Lobbygruppen unterhält? Wird hier in der Zeit, allerdings intellektuell verklausuliert, nicht das Gleiche erklärt?

Diese problematische Beziehung zwischen dem Innenministerium und den Neonazis untergräbt die Glaubwürdigkeit der neuen ukrainischen Regierung, sowohl international als auch in der Ukraine. (…) Unter Trojan als Chef der Kiewer Polizei wird die Verfolgung von hate crimes kaum effizienter werden. Und die hartnäckige Tradition der Vetternwirtschaft ist dem Aufbau einer starken Demokratie nicht zuträglich.

Nun, dann schauen wir mal, was die Bild zu Neo-Nazis in der Ukraine sagt:

Doch die politisch akzeptierte und finanzierte Rechtsaußen-Miliz hat eigene Pläne, stieß schon Wochen vor den gespenstischen Fackelzügen eine finstere Drohung aus: Sobald der Krieg im Osten des Landes zu Ende sei, werde ihr 'Kampf um Kiew' beginnen.

Deutlicher werden die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten:

Die Regierung in Kiew setzt in ihrem Kampf gegen die Rebellen auf eine gefürchtete Neonazi-Truppe. Es ist unklar, ob finanzielle Hilfe aus der EU auch beim Asow-Bataillon ankommt. Dessen Kämpfer fordern ganz unverhohlen die Errichtung einer Diktatur.

Egal, wo man recherchiert (außer bei Äußerungen der Bundesregierung), stößt man am Ende sinngemäß auf eine Meinung wie diese: "Rechtsextremisten beherrschen weite Teile der Polizei, des Militärs, der Justiz, und ihr Einfluss ist so groß, dass die Regierung ohne ihre Unterstützung nicht mehr existieren würde." Das war schon zum Zeitpunkt der Erstellung des Papiers durch das Auswärtige Amt eindeutig. Einige Jahre später sind es geschichtlich bestätigte Fakten, die durch die Bundesregierung falsch dargestellt wurden.

Anlässlich der Einrichtung einer Kommission des EU-Parlaments, welche die nationalsozialistischen Bewegungen in der Ukraine untersuchen soll, hat die stalkerzone.org einige Informationen über die Szene veröffentlicht, die schockierend sein dürften, falls man bisher von einer "unwesentlichen Bewegung" ausgegangen war. Der Bericht beginnt mit der Beschreibung von Nazi-Horden und ihren Schlachtrufen auf dem Maidan über die Hooligan-Szene, die von rechten Parteien integriert wurde, zu Soldaten und Milizen, die mit Hitlergruß und Hakenkreuz posieren bis hin zu Bildern von Politikern mit eindeutigen Nazi-Symbolen.

Die Newsweekschreibt über die "Ukraine unter Bedrohung von rechtsextremen Extremismus" und Reuters titelt "Commentary: Ukraine's neo-Nazi problem". Unter dem Suchbegriff "Far right extremist Ukraine" findet man über Suchmaschinen Hunderte von Einträgen. Sie berichten von Übergriffen, Morden, Zerstörungen und Einflussnahme auf die Politik. Im Juli 2018 erschien ein Artikel über die Neo-Nazi-Szene in der Ukraine, der bestätigte, dass sich nichts gegenüber der Situation vor vier Jahren geändert hat. Deshalb sehe ich die Darstellung des Auswärtigen Amtes von 2015 als in die Irre führend an. Und es wäre verwunderlich, wenn dem Auswärtigen Amt die einschlägigen Informationen zu keinem Zeitpunkt vorgelegen hätten.

Ein schlimmer Aspekt des Rechtsextremismus insbesondere in den Sicherheitsbehörden des Landes, ist die Folter. Im Jahr 2018, also vier Jahre nach der "Revolution der Würde" berichtete der UNO-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, dass in der Ukraine landesweit Folter eingesetzt wird.

Auf einer Konferenz "Menschenrechte und Medienfreiheit in der Ukraine" erklärte die Linksfraktion im Bundestag, dass Neonazis nichts anderes sind jene berüchtigten "Freiwilligenbataillone" in der Ukraine, und dass diese nach wie vor foltern: 

Diese Erfahrung bestätigte zeitgleich mit der Konferenz auch der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer. Nach einer zwölftägigen Reise durch das Land berichtete das Büro des Hohen Kommissars der UNO für Menschenrechte, dass in der Ukraine landesweit Folter angewandt wird. Folterungen finden häufig in den Haftanstalten des Geheimdienstes SBU statt oder bei 'inoffizieller' Inhaftierung durch Einzelpersonen und 'Freiwilligenbataillone', sagte Melzer. 

Kommen wir zur nächsten Regierungserklärung über die Zustände in der Ukraine:

"3. These: Die Absetzung von Präsident Janukowitsch und die Einsetzung der Übergangsregierung waren ein Staatsstreich

Richtig ist: Nach der Gewalteskalation auf dem Maidan zeichnete Präsident Janukowitsch ein durch Vermittlung von Frankreich, Polen, Deutschland und Russland zustande gekommenes Memorandum zur friedlichen Beilegung der Krise. Nach der Zeichnung ist Präsident Janukowitsch in der Nacht vom 21. auf den 22.2.2014 aus Kiew geflohen. Auch die Mehrzahl der Minister hatte die Hauptstadt verlassen, so dass es keine handlungsfähige Regierung und kein handlungsfähiges Staatsoberhaupt gab. Parlamentssprecher Rybak legte sein Amt nieder. In dieser Situation stimmte das Parlament als de facto einzig handlungsfähiges und demokratisch legitimiertes Verfassungsorgan am 22.2.2014 mit 328 Stimmen ohne Gegenstimme dafür, Neuwahlen für das Präsidentenamt für den 25.5.2014 anzusetzen. Es enthob dabei den Präsidenten nicht durch ein förmliches Impeachment-Verfahren nach Art. 111 der Verfassung seines Amtes, sondern stellte einen Staatsnotstand aufgrund von dessen Unfähigkeit zur Amtsausübung fest, da er sich »in verfassungswidriger Weise seinen Amtspflichten entzogen habe«. Eine solche Situation ist in der ukrainischen Verfassung nicht explizit geregelt, so dass das Parlament als de facto einzig handlungsfähiges Verfassungsorgan die Notlage in Analogie zu Art. 108 (2) der Verfassung, der die krankheitsbedingte Amtsunfähigkeit regelt, behob. In der Folge wählte das Parlament am 23.2.2014 den neuen Parlamentspräsidenten Turtschinow mit 285 Stimmen zum amtierenden Übergangspräsidenten. Am 27.2.2014 wählte das Parlament dann Arseni Jazenjuk zum Ministerpräsidenten der Übergangsregierung."

Also das Außenministerium sagte, dass ja mit dem Regierungswechsel alles seine Ordnung habe. Schuld wären nicht die gewalttätigen Auseinandersetzungen, die Schüsse auf dem Maidan, (…), sondern Präsident Janukowitsch, der sich nicht ermorden lassen wollte, der einfach geflohen war. Weshalb es logisch ist, dass dann diejenigen, die die Gewalt ausgeübt haben, das Recht hätten, im Parlament einen neuen Premierminister zu wählen. Also da war ein "Staatsnotstand" entstanden, und diejenigen, die ihn erzeugt hatten, konnten dann eben außerverfassungsmäßige Mittel benutzen, um sich und andere zu neuen Machthabern wählen zu lassen.

Sie sagen, dass das nicht stimme, dass also die Gewalt gar nicht von den jetzigen Machthabern ausgegangen wäre? Da muss ich Sie leider enttäuschen. Denn nicht nur die Demonstrationen, sondern sogar die Schüsse auf dem Maidan sind – mehreren unabhängigen Untersuchungen zufolge – dem Regime anzulasten, welches danach in Kiew die Macht übernommen hatte.

Da ist der zweiteilige Dokumentarfilm "Wer waren die Todesschützen?" (hier Teil 1 und Teil 2), eine ARD-Produktion vom 10. April 2014. Dann ist da die Untersuchung von Stefan Korinth, im Dezember 2014 bei Heiseveröffentlicht. Und es gibt eine BBC-Dokumentation vom 12. Februar 2015, in der deutlich wurde, wer das Schießen auf dem Maidan bewusst provozierte und dass die CIA sehr wohl eine Rolle dabei spielte.

Eine Untersuchung des kanadisch-ukrainischen Historikers und Politikwissenschaftlers Ivan Katchanovski von der Universität Ottawa "The 'Snipers' Massacre' on the Maidan" ist als wissenschaftlicher Artikel bei academica.edu erschienen. Dies ist das wichtigste Dokument, auch weil Katchanovski die Ergebnisse ständig weiter durch neue Erkenntnisse ergänzt. Und seine Ergänzungen und Twitter-Hinweise auf neueste Entwicklungen bestätigen nicht nur seit Jahren seine ersten Untersuchungsergebnisse, sondern werfen insbesondere die Frage auf, warum die EU keine neutrale, unabhängige internationale Untersuchung fordert.

Selbst das ZDF, das gerne Material aus einem "antirussischen Propaganda-Netzwerk" verwendet, konnte in einer seiner Sendungen nicht anders, als zu berichten, dass ihr Zimmer von Maidankämpfern gestürmt worden war, die dann vom Fenster aus auf den Maidan geschossen hatten. Aber natürlich wisse niemand, wer zuerst geschossen hatte. Und sowohl ARD als auch ZDF berichteten gerne, ohne zu hinterfragen, die Erklärungen des Regimes, das nach dem Putsch entstanden war.

Kurz nach der letzten Präsidentschaftswahl blitzte die Hoffnung auf, dass die Ukraine selbst vielleicht die Maidanschüsse aufarbeiten könnte, als der scheidende Präsident Poroschenko von der Staatsanwaltschaft vorgeladen wurde, um über seine Beziehungen zu den Schützen des Maidan auszusagen. Aber es steht zu befürchten, dass es Kräfte geben wird, die das verhindern.

Während die Bundesregierung verbreitete, die Abstimmung am 22. Februar 2014 wäre legal gewesen, gibt es heute eigentlich keine ernsthaften Vertreter dieser These mehr. Darum war die Abstimmung in der Rada am 22. Februar 2014 illegal:

Nachdem die Sicherheitskräfte schon am Freitagabend abgezogen wurden, wurde das ukrainische Parlament von bewaffneten rechtsextremen Banden umzingelt und eingenommen. Kaum waren die Polizisten in Kiew weg, gab es für die Schlägerbanden des rechten Sektors kein Halten mehr. Sie haben das Regierungsviertel und das Parlament unter ihre Kontrolle gebracht, und wenn man den letzten öffentlichen Aussagen Janukowitschs glaubt, so hat es zwar aus der Regierungsfraktion ein paar Überläufer gegeben, aber viele würden mit ihren Familien erpresst und bedroht(.) Parlamentarier, die nicht dem rechten Sektor angehören und ins Parlament gehen wollen, werden vor dem Parlament verprügelt und verschwinden. Beispiel: der Abgeordnete Vitali Gruschewski auf dem Weg ins Parlament. Der Saaldiener bei der Arbeit.

Der Vorsitzende des ukrainischen Parlaments Volodymyr Rybak trat unter Bedrohung zurück. Nachdem er trotzdem verprügelt und weiter bedroht wird, flüchtete er aus dem Parlament, wobei sein Auto von Maskierten beschossen wurde.

Und hier ein Videodokument (Anmerkung: dieses Video ist heute "wegen Urheberrechtsverletzungen" bei Youtube nicht mehr verfügbar.), aus dem klar hervor geht, wie die Sache zuletzt gelaufen ist – jedenfalls nach Janukowitschs Version vom 22. Januar in Charkow – Interview zur Lage der Parlamentarier des ukrainischen Parlaments nach der Vereinbarung; insbesondere ab Min. 7:00 aufpassen u. danach ab Min. 8:00 verstärkt aufpassen, ab 9:00 sieht man, wie das Parlamentsgebäude von "Demonstranten" umzingelt wurde. (…)

An diesem Tag, dem 22. Februar, mussten alle anwesenden Abgeordneten im Parlaments-Gebäude verbleiben, bis alle 'notwendigen' Gesetze verabschiedet werden konnten, andernfalls drohte ihnen draußen Prügel und Schlimmeres. Abgeordnete verschwanden auf dem Weg ins Parlament, manche wurden gefangengenommen, manche vertrieben. Ihre Ausweise, die auch Stimmkarten sind, wurden ihnen weggenommen und für die Abstimmung 'benutzt'.

Den meisten Weggefährten von Janukowitsch wurde mit Tod und Gefängnis gedroht! Es gab Fahndungslisten und es wurde sogar Kopfgeld angeboten, kein Wunder das viele Abgeordnete überliefen. Das Verfassungsgericht wurde ebenfalls ausgetauscht.

Hier: die Bänke der linken Abgeordneten im Parlament sind leer. Hier ein ukrainischer Parlamentsabgeordneter bei der demokratischen Abwahl des Präsidenten. [Anmerkung: Interessant ist auch, wie abgestimmt wurde.]

Unter der Aufsicht und in Anwesenheit von US-Diplomaten hatte das ukrainische Parlament, die Rada Verkhvna am 22. und 23. Februar 2014 einen illegitimen Staatsstreich ausgeführt.

Die Bildung einer neue(n) "Regierung" war illegal und verstößt gegen Geist und Buchstaben des am Freitag, den 21. Februar geschlossenen Abkommens zur Bildung einer nationalen Einheitsregierung in grober Weise. (…)

Die Informationen in dieser Quelle werden nicht bestritten, aber eben auch nicht erwähnt. Sie fallen in der Berichterstattung in den EU- und NATO-konformen Medien praktisch vollständig unter den Tisch. Niemand interessiert sich für sie. Warum hatte das Außenministerium in seiner "Argumentationshilfe" nichts von der Gewalt geschrieben, mit der die – sowieso illegale – Abstimmung in der Rada erzwungen worden war? Warum nichts von den Manipulationen bei der Abstimmung, den trotzdem fraglichen Mehrheiten usw. usf. ?

In allen Berichten der Maidan-"Revolution" wird die Gewalt, die von Demonstranten und insbesondere den Neonazis ausging, ausgeblendet. Tatsächlich aber war die Gewalt das tragende Element der Machtergreifung. Kann es legal sein, wenn eine Minderheit in einem Land, das EU-Mitglied werden will, mit Waffengewalt die Macht an sich reißt? Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass demokratische Neuwahlen  für die Nachfolge eines ebenfalls demokratisch gewählten Systems bereits vereinbart waren und eine Machtübertragung ohne Blutvergießen hätte stattfinden können?

Dass dann in den östlichen Provinzen diese Putschregierung nicht anerkannt wurde, zeigt weiter, dass es wohl keineswegs eine "Revolution" war. Denn eine solche wäre vom ganzen Volk gegen eine Elite geführt worden. In Kiew aber führte eine Gruppe von Oligarchen und Neo-Nazis einen Putsch gegen eine gewählte Regierung. Sie hatte das Momentum einer legalen Demonstration gegen Korruption und Oligarchenmacht genutzt, um mit Gewalt die Macht im Staat zu erlangen. Und sie wollten nicht auf den ungewissen Ausgang demokratischer Wahlen warten.

Bewaffnete Kräfte haben sowohl auf Polizisten als auch auf Demonstranten geschossen. Unliebsame Politiker wurden verfolgt, verprügelt, mit dem Tode bedroht. Da der Präsident sich verpflichtet hatte, keine Gewalt einzusetzen, und dies danach auch nicht tat, besetzten radikale Kräfte öffentliche Gebäude. Und diejenigen, die das Chaos verursacht hatten, ließen dann von den noch verbliebenen Delegierten der Werchowna Rada passend abstimmen.

Das beschreibt der Außenminister der Bundesrepublik Deutschland so: "Es enthob dabei den Präsidenten nicht durch ein förmliches Impeachment-Verfahren nach Art. 111 der Verfassung seines Amtes, sondern stellte einen Staatsnotstand aufgrund von dessen Unfähigkeit zur Amtsausübung fest,..." Wobei die legitimen Gründe für eine "Unfähigkeit zur Amtsausübung" in der Verfassung allerdings keineswegs eine gewaltsame Vertreibung vorsahen.

Geoliticobeschreibt schon im Jahr 2015 dagegen wesentlich realistischer, was passiert war: 

Nach einer Befragung vom 2.12. gaben nur 28% der Demonstranten als Grund ihres Protestes die Ablehnung des EU-Vertrages an, von denen auch nur die wenigsten die Inhalte kannten. Verschiedene Videos zeigen große Mengen ukrainischer Jugendlicher, die Schlange stehen, um sich als Demonstranten gegen 20 Dollar pro Tag anheuern zu lassen (…)

Von Anfang an waren die Demonstrationen nicht nur friedlich. Videos zeigen, wie Polizisten-Mannschaften, die sich völlig defensiv verhielten, mit Pfefferspray, Faustschlägen, Schlagstöcken, Pflastersteinen und Molotowcocktails unentwegt angegriffen und (vergeblich) provoziert wurden. (…)

Die Verschwörung der USA und der EU zum Sturz der prorussischen Regierung Janukowitsch wurde vollends an das Licht der Weltöffentlichkeit gezogen, als Russland am 6. Februar 2014 ein abgehörtes Telefonat zwischen Victoria Nuland und dem US-Botschafter in Kiew Geoffrey R. Pyatt ins Netz stellte. Darin klärten beide ab – also während Janukowitsch noch im Amt war! – dass nicht der von der EU, insbesondere Deutschland, aufgebaute Boxer Wladimir Klitschko in die künftige Regierung  solle, sondern dass Jazenjuk Ministerpräsident werden müsse. Pyatt wurde beauftragt, die Dinge entsprechend in die Wege zu leiten. (…)

In den darauffolgenden Monaten und Jahren wurde diese Erklärung der Ereignisse immer weiter zur historischen Faktenlage. So hatte der ehemalige US-Präsident Obama in einem TV-Interview selbst bestätigt, dass der Staatsstreich in Kiew ein "US-Deal" war. Der Gründer der US-"Denkfabrik" Stratfor, manchmal auch "privater Geheimdienst" genannt, nannte es den "offensichtlichsten Putsch in der Geschichte". Selbst der ukrainische Hauptprofiteur, der damalige Präsident Poroschenko, räumte ein, dass es ein Putsch war.

Mit anderen Worten, das Auswärtige Amt hatte lediglich die wünschenswerte Interpretation der Geschichte erzählt, nicht die vollständige und nicht die wahre. Dass die wahren Sachverhalte nicht bekannt waren, wäre eine abenteuerliche Vermutung, die voraussetzen würde, dass das Auswärtige Amt über weniger Informationen verfügt hätte, als jene anderen Kommentatoren. Aber vielleicht war die Aussage des Auswärtigen Amtes auch nur ein Versuch, von der eigenen Rolle bei dem Staatsstreich abzulenken? Ein Planungstreffen, das die finale Phase des Umsturzes einleiten sollte, fand nämlich in der deutschen Botschaft in Kiew statt, und zwar am 20. Februar. Das war noch vor den Verhandlungen von Ex-Außenminister Steinmeier mit Janukowitsch.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der deutsche Botschafter im Auftrag von Steinmeier leitete in seiner Botschaft in Kiew ein Treffen, das die letzte Phase des gewaltsamen Umsturzes einleiten sollte, während Steinmeier selbst sich vorbereitete, mit Janukowitsch über eine friedliche Transition durch vorgezogene Wahlen zu unterhalten.

An dem Treffen in der deutschen Botschaft nahmen der US-Botschafter Pyatt und andere NATO-Diplomaten teil. Außerdem war Andrei Parubij, der rechtsextreme Kopf des bewaffneten Aufstandes anwesend. Er erschien im Kampfanzug und mit Sturmhaube und drohte. Und der Mann ist nicht nur nach Ansicht von Katchanovski für die tödlichen Schüsse des Tages und am 18. Februar 2014 verantwortlich. So findet man es auch in dem oben bereits auszugsweise zitierten Bericht in der New York Times.

Am 17. August 2018 beschrieb Chris Kanthan noch einmal zurückblickend, wie der von den USA organisierte Coup in der Ukraine stattfand. Der Autor beschreibt die Einflussnahme hinter den Kulissen, die Finanzierung durch Soros, NED und McFaul – neben den bekannten 5 Milliarden Dollar Nulands – und geht dann zurück in die Geschichte, zeigt also die folgerichtige Entwicklung seit dem Kalten Krieg auf, beschreibt das Agieren der rechtsextremistischen Provokateure und erklärt dann schließlich, wer für die Schüsse auf dem Maidan verantwortlich war.

Die Regime-Change Operationen der USA entzündeten auch nutzlose Kampfhandlungen, hysterische Russophobie und zerstörerische Sanktionen. Die EU hat innerhalb der letzten vier Jahre mehr als 100 Milliarden Dollar an Handelsumsätzen verloren. Und die Vereinigten Staaten haben Russland tiefer in den Orbit Chinas genötigt. So, wie die anderen NeoCon-Abenteuer im Irak und Syrien, wird die Einmischung in der Ukraine als ein weiteres zerstörerisches und rücksichtsloses Kapitel in die armselige Geschichte der US-Außenpolitik eingehen.

Und man möchte hinzufügen, dass sich die Regierungen der EU – wenn auch teilweise widerwillig – zu Helfern in dieser Aktion gemacht haben.

Fazit

Soviel zu den ersten drei Narrativen, welche von der Bundesregierung verbreitet wurden. Man kann diese sicher unter dem Attribut "glaubhaft abstreitbar" abheften. Und dass solche Narrative von fast allen Regierungen der Welt immer wieder mal verbreitet werden. Das Problem in Deutschland ist jedoch, dass bei einem Überhandnehmen des Zurückgreifens auf die "glaubhafte Abstreitbarkeit" wider besseres Wissen nicht nur die Glaubwürdigkeit einer Regierung, sondern des demokratischen Systems insgesamt in Frage steht. Wenn immer öfter Regierungspolitik – womöglich gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung – mittels "glaubhafter Abstreitbarkeit" besseren Wissens durchgesetzt wird, kommt es früher oder später zu einem Vertrauensbruch zwischen den Regierenden und denen, die sich als Beherrschte fühlen.

Im nächsten Teil der Artikelserie werde ich über die vierte bis achte These berichten. (4. These: In der Ukraine werden ethnische Russen und Russischsprachige diskriminiert und unterdrückt. Russen in der Ukraine haben Russland daher um Schutz und Unterstützung gebeten. 5. These: Die Krim war immer "russisch". 6. These: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und das Referendum legitimieren die Abspaltung und Eingliederung der Krim und Sewastopols in die Russische Föderation. 7. These: Der Westen misst im Fall der Unabhängigkeit des Kosovo und der Abspaltung der Krim mit zweierlei Maß.  8. These: Bei dem Konflikt in der Ukraine handelt es sich um einen Konflikt zwischen der (faschistischen) Regierung in Kiew und lokalen Separatisten, Russland hat damit nichts zu tun.)

 Hinweis: Diese Artikelserie wurde zum großen Teil mit Hilfe von Texten aus meinem Buch "Schattenkriege des Imperiums – Das Ukraine-Narrativ" erstellt.

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