von Andreas Richter
Die evangelische Kirche hat in einem Kommentar der AfD das Recht auf gesellschaftliche und politische Akzeptanz abgesprochen und quasi im Vorbeigehen den DDR-Sozialismus als autoritären und rassistischen Nationalismus abqualifiziert. Diese Aussagen finden sich in einem Papier, das der Studienleiter der Evangelischen Akademie Berlin, Pfarrer Heinz-Joachim Lohmann, als Antwort auf das sogenannte Kirchenpapier der AfD verfasst hat.
Pfarrer Lohmann stellt die AfD anhand einiger Zitate in die Tradition der NSDAP. Die Partei stehe für Umsturz und "politische Willkür, Gefängnis für die Verantwortlichen". Weil Deutschland heute ein Rechtsstaat sei, habe die AfD das Recht, ihre Vorstellungen zu vertreten und an Wahlen teilzunehmen. Das Recht auf gesellschaftliche und politische Akzeptanz ergebe sich daraus aber nicht.
Die AfD hatte der evangelischen Kirche vorgeworfen, sich wie in früheren Zeiten dem Zeitgeist zu unterwerfen und mit den Mächtigen zu paktieren. Konkret nennt das Papier die Kaiserzeit, die NS-Diktatur und die DDR. Heute unterwerfe sich die Kirche "linksgrünem Doktrinarismus".
Lohmann setzt diesen Vorwürfen theologische und historische Argumente entgegen. Die theologischen sind im Grunde beliebig. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass man für fast jede Auffassung ein passendes Bibelzitat findet. Wo sich wirklich keines findet, etwa für die Begründung der Akzeptanz von Homosexualität, bemüht der Pfarrer den "Geist des Neuen Testaments".
Interessant wird es bei der historischen Argumentation. Hier geht der Pfarrer hart mit dem Verhalten seiner Kirche während der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und der NS-Zeit ins Gericht, unter anderem wirft er ihr vor, den "Vater Jesu Christi mit einem deutschen Nationalgott" verwechselt zu haben.
Gleichzeitig nimmt Lohmann für die Kirche in Anspruch, aus ihren Fehlern gelernt zu haben, und präsentiert ihre heutige Haltung etwa bei den Themen Migration und Rechtsextremismus eben als Konsequenz aus diesen Fehlern.
Den Vorwurf der AfD, sich auch mit der DDR-Führung verbrüdert zu haben, weist der Pfarrer brüsk zurück. Seiner Kirche sei es gelungen, "Freiräume zu eröffnen und zu erhalten, Menschen gegen staatliche Repression zu unterstützen"; der Vorwurf der AfD-Funktionäre, auf deren westliche Herkunft er verweist, sei "sachlich falsch und menschlich perfide". Und weiter:
Eigentlich soll es auch nur davon ablenken, dass der scheinbar große Erfolg der AfD im Osten darauf beruht, dass der DDR-Sozialismus im Herzen ein autoritärer und rassistischer Nationalismus war. Die Mauer sorgte nicht nur dafür, dass die Bürger nicht hinauskamen, sondern auch kaum jemand herein. Vietnamesen und Mosambikaner wurden in der ehemaligen DDR oft übelsten rassistischen Beleidigungen ausgesetzt, und der autoritäre Charakter des Systems ist unbestritten. Genau auf diese Ressentiments greift die AfD zurück.
Zu diesen Ausführungen von Pfarrer Lohmann ist nun einiges anzumerken; zunächst, auch wenn dies in dem Papier nur ein Nebenaspekt ist, kurz zu seiner Darstellung der DDR. Die Bezeichnung "autoritärer und rassistischer Nationalismus" für die DDR ist vollkommen unzutreffend, sie ist eine Beleidigung für die damals Regierenden und für die große Mehrheit der DDR-Bürger, die weder Rassisten und Nationalisten waren noch sind.
Im Herzen des DDR-Sozialismus stand selbstverständlich die wirtschaftliche und soziale Ordnung. Natürlich war die DDR ein deutscher Staat, auch wenn der Begriff der Nation für sie nie unproblematisch war. Natürlich war die DDR autoritär, und es gab auch Rassismus. Allerdings wurde dieser von staatlicher Seite nicht gefördert, sondern bekämpft. Dem in den Schulen gelehrten Patriotismus ging alles Chauvinistische ab; das vermittelte Menschenbild war ein humanistisches.
Wenn der Pfarrer ein Randphänomen zum zentralen Element der Gesellschaft umschreibt, verfälscht er die Geschichte. Dass er die Zustände in der alten Bundesrepublik nicht einmal erwähnt, in der die alten, ohne Zweifel rassistisch verseuchten Eliten nach 1945 im Gegensatz zur DDR einfach weitermachen konnten, macht es nicht besser.
In Schutz nehmen muss man die Kirche allerdings vor dem Vorwurf der AfD, sich mit der DDR-Führung verbrüdert zu haben. Sicher gab es wenigstens in den letzten Jahren der DDR eine gute Arbeitsbeziehung zwischen den Kirchenfunktionären und ihren staatlichen Gegenübern. Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, dass die evangelische Kirche der DDR insgesamt ablehnend gegenüberstand. Nicht umsonst kamen aus diesem Milieu die auf Bundesebene erfolgreichsten ostdeutschen Politiker, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der frühere Bundespräsident Joachim Gauck.
Mit seiner Darstellung verfolgt der Pfarrer natürlich einen Zweck: Er rückt die DDR in die Reihe jener "bösen" Akteure, die dem Nationalismus anhingen, und setzt sie in die Lücke zwischen NS-Regime und AfD. Das ist natürlich ein Taschenspielertrick, denn in einem zentralen Punkt trifft die AfD ins Schwarze: Die Kirche vertritt und vertrat – mit der genannten Ausnahme der DDR-Zeit – stets die Ideologie der Mächtigen, den Zeitgeist.
Was Pfarrer Lohmann als Lernprozess darstellt, nämlich die Abkehr seiner Kirche vom Konzept der Nation und dem Nationalismus, spiegelt in Wirklichkeit die Haltung der Mächtigen wider. Für sie ist der Nationalstaat von gestern, sie haben neue, grenzüberschreitende Vehikel gefunden, um ihre Interessen zu befördern. Für die kleinen Leute, denen die Eliten die Nation seinerzeit – auch mithilfe der Kirche – zum Teil erst einprügeln mussten, bleibt die Nation weiterhin der politische Rahmen, der ihnen Sicherheit, Wohlstand und Mitbestimmung verspricht. Der Pfarrer spricht vom "Versagen gegenüber der Arbeiterbewegung" und versagt gegenüber deren Nachfahren erneut. Er erwähnt das Versagen beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs und erwähnt mit keinem Wort – wie auch die AfD nicht – die internationale Gewaltordnung, die die massenhafte Migration erst erzeugt hat.
Lohmann verrät in seinem Papier übrigens auch eine interessante Vorstellung von Demokratie. Er leitet aus seinen historischen und theologischen Ausführungen ab, was richtig sein soll, nämlich die "Weltoffenheit". Dass aber über eine konkrete Politik auch auf dem Gebiet der Migration kontrovers diskutiert und abgestimmt werden sollte, und zwar auch außerhalb der Kirchengemeinden, sagt er an keiner Stelle. Das entspricht zwar dem Vorgehen des politisch-medialen Mainstreams, zeigt aber, dass dem Pfarrer selbst autoritäres Denken nicht fremd ist.
Was bleibt zu sagen zu diesem seltsamen Papier? Pfarrer Lohmann will die AfD widerlegen und bestätigt sie wenigstens zum Teil doch indirekt. Er bastelt sich eine schiefe Argumentation zurecht und verfälscht dafür die DDR-Geschichte. Doch letztlich ist der Gegensatz zwischen Volk und Eliten eben kein Konstrukt der AfD, er ist real und auch eine Spiegelung der realen materiellen Interessen, gerade auch beim Thema Migration. Dass die evangelische Kirche hier so klar aufseiten der Mächtigen Stellung bezieht und mithilft, Kritiker als Verbreiter von "Hass und Hetze" in die rechte Ecke zu stellen, zeigt, wie wenig sie aus ihren "Sünden" von 1914, 1919 und 1933 gelernt hat. Muss man noch betonen, dass sie sich auch bei diesen Gelegenheiten auf der Seite des "Guten" sah?
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