Pressefreiheit – Analyse eines westlichen Werteverfalls

In den westlichen Staaten verschiebt sich die Bedeutung der Pressefreiheit. Aus der Freiheit über alles zu berichten, worüber andere nicht wollen, dass berichtet wird, wird die erzählerische Freiheit, etablierte Narrative phantasievoll zu füllen. Eine Beweisführung.  

von Gert Ewen Ungar

Es ist im Kern ein ungeheuerlicher Vorgang: Die britische Medienaufsicht Ofcom verurteilt RT zu einer Strafe von 200.000 Pfund. Der Vorwurf lautet, RT habe die Position der britischen Regierung bei der Berichterstattung im Fall Skripal und zum Krieg in Syrien nicht angemessen berücksichtigt. Noch einmal langsam zum besseren Verständnis: Es geht nicht darum, dass RT nachweislich falsch berichtet hätte. Die Strafe wird außergerichtlich von der Behörde verhängt, weil RT die Position der britischen Regierung im Falle Skripal und in Bezug auf Syrien nicht angemessen repräsentiert und damit das Gebot der Ausgewogenheit verletzt habe.

In Russland kommentierte man, die Strafe sei freilich bezahlbar, allerdings sei sie vermutlich nur ein Testballon. In der Tat ist die Entwicklung aus mehreren Gründen bedenklich. Die Kriterien, die hier angelegt werden, sind schwammig und öffnen der Willkür Tür und Tor. Was heißt nicht angemessen? Eine quasi staatliche Behörde beurteilt die Angemessenheit der Berichterstattung über die Regierung? Solche Vorgehensweisen erwartet man von autoritären Regimen, aber nicht von Gesellschaften, die sich der EU-Charta und westlichen Werten verpflichtet fühlen.

Wäre Derartiges in Russland passiert, würde die Tagesschau vermutlich mit einem eigenen Brennpunkt aufwarten, die Gazetten wären voller Empörung über den "Machthaber Putin", und die transatlantischen Thinktanks und NGOs würden sich entsprechend aufplustern. In diesem Fall allerdings bleibt es ruhig, denn es handelt sich um Großbritannien. Der deutsche Mainstream berichtet in kleinen Meldungen neutral bis ausgesprochen verständnisvoll gegenüber der Maßnahme der britischen Behörde. Garniert wird das mit den üblichen Vokabeln gegenüber RT, das ein "Propaganda-Instrument des Kreml" sei und die Pressefreiheit nur ausnutze. Dazu sei angemerkt, Pressefreiheit lässt sich nicht ausnutzen, sondern nur ausfüllen. Was ausbleibt, ist die Darstellung, was für einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit dieses Vorgehen darstellt.

Das ist erstaunlich, denn es geht hier um die Grundlage journalistischen Arbeitens. Wer sich angesichts solcher Vorgänge in Sicherheit wiegt, hat schon verloren und ein Grundrecht preisgegeben. Der deutsche Journalismus wiegt sich in seiner Breite offenkundig in Sicherheit.

Es geht im Fall von RT nicht einmal um tatsächlich nachgewiesene Falschberichterstattung, sondern nur um das doch recht schwammige Kriterium der Ausgewogenheit, die die britische Behörde zudem noch für einzelne Sendungen und nicht für einen gesamten Zeitraum beanstandet. Das Einblenden von Bannern, auf denen die Position der Regierung wiedergegeben wird, gilt der Behörde zudem nicht als ausreichend.

Es ist objektiv betrachtet ein veritabler Skandal, was hier passiert ist. Ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit. Dass es dabei so ruhig bleibt, liegt am weitgehenden Konsens über die Richtigkeit der Maßnahme - gerade auch in der deutschen Presse.

Weitgehend unterlassen wurde auch die Berichterstattung über die Schließung russischsprachiger Webseites im Baltikum. In Litauen wurde die von der Agentur Rossija Sewodnja betriebene Seite baltnews.lv blockiert. Begründung: Die Seite verletze die territoriale Integrität – Achtung, jetzt kommt's - der Ukraine. Wie eine Webseite die territoriale Integrität eines anderen Landes verletzten kann, wird Geheimnis der litauischen Behörden bleiben. Auch Sputnik wurde schon Opfer der eigenwilligen baltischen Auslegung des Begriffs der Pressefreiheit und musste sich zensieren lassen. Die litauische Version der Webseite war bis vor Kurzem wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen gesperrt.

Nun mag man ironisch einwenden, bei den baltischen Staaten handelt es sich um ganz junge Demokratien, die um die Bedeutung der zentralen Werte sicherlich noch nicht so viel wissen. Allerdings werden sie es durch den laxen Umgang der EU mit den zum Teil recht gravierenden Verletzungen der EU-Grundrechtecharta so schnell auch nicht lernen. Und da die Grundwerte, insbesondere die Pressefreiheit, innerhalb der EU ohnehin auf dem Rückzug sind, wird das wohl auch nicht notwendig sein. Die EU scheitert im Moment ganz gründlich an sich selbst und ihren eigenen Werten.

Um die Pressefreiheit steht es jedenfalls bescheiden, wie man an den angeführten Beispielen ablesen kann. Man könnte jetzt noch auf den Umgang des deutschen Journalisten-Verbandes mit RT verweisen. Der Verband setzt sich nicht für eine Verbreiterung und Ausweitung des medialen Spektrums, setzt sich nicht für mehr Pluralität ein, sondern für weniger, betreibt aktiv dessen Verengung und rät davon ab, RT eine Sendelizenz zu erteilen. Die Begründung lautet, RT verbreite Fake News. Der Bitte um Belege für die These kam der Vorsitzende des Verbandes wiederholt nicht nach, muss sich für seine Aussagen daher auch entschuldigen. Er wiederholt sie dennoch regelmäßig und hält die eigentlich nicht belegbare Behauptung aufrecht.

Aber das wäre dann wohl ein bisschen viel Fokus auf RT, weshalb das Beispiel an dieser Stelle nicht breitgetreten werden soll, obwohl es viel über den Zustand des deutschen Journalismus sagt. Daher jetzt zu einem anderen Fall, an dem sich ebenfalls der Zustand des deutschen Journalismus ablesen lässt. Es geht um Julian Assange.

Julian Assange ist zweifellos ein herausragender Journalist, der das Material, das im zugespielt wird, vollständig publiziert, womit er einen herausragenden Beitrag zu Information und Meinungsbildung leistet. Er ist deshalb herausragend, weil durch sein Wirken Dinge publiziert wurden, von denen andere nicht wollten, dass sie publiziert werden. Es handelt sich um Journalismus im eigentlichen Sinne der Definition, denn alles andere ist schließlich PR.

Assange hat die ihm von Chelsea Manning zugespielten Dokumente über Verbrechen der US-Armee im Irak ebenso veröffentlicht wie die E-Mails von Hillary Clinton, die belegen, wie sie Konkurrenten ihrer eigenen Partei hintergangen hat.

Zu Assange hat die Tagesschau einen Beitrag von Silvia Stöber veröffentlicht, den die NachDenkSeiten gebührend kritisiert haben. Mit diesem Beitrag hat Stöber den Begriff des Journalismus deutlich nach rechts verschoben. Wie schon vielfach in anderen Zusammenhängen, arbeitet sie auch hier unter Berufung auf dubiose Quellen und unter Auslassung jedes Belegs und aller Fakten, die nicht zu ihrer These passen. Und die These ist bei Stöber in diesem Fall die, dass Assange aus Groll gegen Clinton deren E-Mails veröffentlicht habe und es "die Russen" gewesen seien, die Assange unterstützt haben. Belege gibt es dafür freilich keine. Die Beweisführung hält sich auf der Ebene des Hörensagens auf. Generell ist Stöbers Haltung die, dass der transatlantische Liberalismus der richtige Weg ist - für immer und für alle. Fakten, die das relativieren oder widerlegen, werden negiert oder einfach nicht zur Kenntnis genommen, interne, durch den Liberalismus selbst bedingte Krisen und Verwerfungen wie das Auseinanderdriften der EU als von außen, vornehmlich von Russland angezettelt interpretiert. Der Status quo und sein Erhalt ist für Stöber der zentrale Motor ihrer journalistischen Arbeit. Sie repräsentiert damit eine Form des Journalismus, dem mit der Einführung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein Riegel vorgeschoben werden sollte: den Staatsfunk. Natürlich ist die Organisationsform heute grundsätzlich anders als zur Zeit des Reichspropagandaministeriums.

Das Gebot der Staatsferne ist in den Statuten verankert, es gibt Gremien mit Aufsichtsfunktion. Allerdings ist das Resultat nicht grundsätzlich unterschiedlich. Der Feind steht immer noch im Osten. Insbesondere bei den großen, politisch relevanten Themen versagen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten im Hinblick auf Objektivität und Neutralität – kurz, an ihrem eigentlichen Auftrag, und werden zu Propagandaschleudern. Mit Literatur zu diesem Thema lassen sich inzwischen ganze Regale füllen.

Das Versagen hat damit zu tun, dass sich die Staatsferne zwar im Finanzierungsmodell, aber eben nicht in den Personalien äußert. Stöber und Co. dürfen für die Tagesschau eben nur deshalb publizieren, weil sie in die Enge des dort zugelassenen Sagbaren passen. Das Meinungsspektrum dort ist offensichtlich von unglaublicher Dürftigkeit. Diversität und Vielfalt in den Ansichten spielen bei der Personalauswahl ganz eindeutig keine Rolle, obwohl genau das eigentlich der Fall sein sollte. Fern von wirtschaftlichem und politischem Druck sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk Vielfalt abbilden. Dass er genau das nicht tut, lässt sich dann allabendlich um acht bewundern: mediale Einfalt und grundsätzliches Versagen bei komplexen Themen, weil die Realität mit dem Narrativ kollidiert.

So hält Stöber und mit ihr die Tagesschau noch immer die Geschichte von der staatlichen russischen Einmischung in die US-Wahlen aufrecht, obwohl es dafür keinerlei Beweis gibt. Also bläht sie Spekulationen zu Fakten auf. Mit Journalismus im eigentlichen Sinne hat das natürlich nichts zu tun, es sind GEZ-finanzierte Verschwörungstheorien.

Es geht nur noch darum, Geschichten, die wir über uns und andere erzählen, aufrechtzuerhalten und als wahr zu behaupten. Es hat etwas Religiöses, Unaufgeklärtes und Dogmatisches, was hier als Berichterstattung und Journalismus verkauft wird.

Erstaunlich weit entfernt von den Fakten ist auch das "Disinformation Review" der Europäischen Union. Die dahinterstehende Organisation East StratCom Task Force ist mit 16 festen Mitarbeitern und einem Jahresbudget von drei Millionen Euro gut ausgestattet. Sie wurde 2015 vom Europäischen Rat ins Leben gerufen und richtet sich in seinem Auftrag direkt gegen Russland und dessen "Desinformationskampagnen". Die Organisation soll darüber hinaus die Politik der EU in den östlichen Staaten Europas erklären. Mit anderen Worten, es ist eine reine Propagandaeinrichtung staatlicher Natur, denn der Europäische Rat besteht aus den Regierungen der Nationalstaaten der Union. Man hat die Möglichkeit, sich auf der Webseite in einen Newsletter einzutragen, und wird dann wöchentlich über die Desinformationskampagnen Russlands benachrichtigt. Richtig fündig wurde die mit Steuergeld finanzierte Organisation noch nicht. Damit allerdings das Narrativ von der russischen Einmischung erhalten bleibt, muss die Organisation selbst Fake News produzieren. So verbreitet das Disinformation Review  die Nachricht, russische Medien säten Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der ukrainischen Wahlen, obwohl die OSZE die Wahl nicht beanstandet habe. Sie verlinkt als Quelle eine über dreistündige Diskussionsveranstaltung des russischen Perwy kanal (Erster Kanal), bei der durchaus kontrovers diskutiert wurde.

Es ist richtig, dass die OSZE die Durchführung der Wahl insgesamt nicht beanstandet hat, allerdings ist die Argumentation russischer Medien und auch in der verlinkten Diskussion eine andere. Die Argumentation ist, dass alle in Russland lebenden Ukrainer und die Menschen im Donbass von der Wahl ausgeschlossen worden sind. In der Bürgerkriegsregion Donbass fanden keine Wahlen statt, in Russland war die Einrichtung von Wahllokalen für die dort lebenden Ukrainer nicht vorgesehen. Die darauf aufbauende Argumentation wurzelt in diesen Tatsachen. Es ist natürlich schwierig, einer Wahl demokratische Korrektheit zu bescheinigen, wenn ein großer Teil der Wähler von vornherein ausgeschlossen war. Die russischen Medien sind daher schon deutlich näher an den Fakten als das Propagandainstrument der EU. Allerdings nur, wenn man meint, Pressefreiheit solle es möglich machen, einem breiten Publikum Fakten zur eigenen Meinungsbildung zur Verfügung zu stellen.

All diese Vorgänge deuten auf einen Shift, eine Veränderung in der Deutung des Begriffes Pressefreiheit hin. Pressefreiheit, so wird hier deutlich, wird zunehmend ausgelegt als die erzählerische Freiheit der Presse, das herrschende Narrativ zu füllen. In den beanstandeten Fällen ist genau das nicht passiert. Die Berichte von RT und Assange wichen vom Mainstream ab. RT stellt die regierungsamtliche Geschichte infrage, Russland habe einen ehemaligen Spion aus ungeklärten Motiven vergiften wollen.

Es gibt dafür eine Strafe. Assange stellt infrage, dass wir mit unseren militärischen Interventionen in anderen Ländern etwas anderes als den Tod bringen. Er wird mit 175 Jahren Haft bedroht. Beide stellen infrage, dass Regierungen in Fällen, die sie selbst betreffen, die Wahrheit sagen. Eigentlich eine Standardannahme journalistischen Arbeitens. Guter Journalismus weicht ganz allgemein von der Geschichte ab, die wir uns über uns selbst erzählen und gerne hören. Freie Gesellschaften sind in weit größerem Umfang in der Lage, dies zuzulassen. Je unfreier, desto enger wird das zugelassene Meinungsspektrum. Unser Journalismus wird immer unfreier.

Hier zeigt sich, wie schwer sich westliche Staaten, aber auch die Medien selbst und ihre Vertretungen inzwischen mit Pressefreiheit tun. Hier zeigt sich auch, worin Pressefreiheit künftig bestehen wird: in affirmativen Berichten zur regierungsamtlichen Verlautbarungen. Die Tagesschau zeigt uns mit Stöber, was journalistisch auf uns zukommt.

Es ist eben nicht mehr so, dass im Westen, in den Staaten des transatlantischen Bündnisses und der EU die Freiheit der Presse vollumfänglich gewahrt und gewährt wird. Im Gegenteil erodiert diese Freiheit immer schneller. Beteiligt daran, das ist das eigentlich Schockierende, sind zu ganz wesentlichen Teilen die Medien selbst.

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