von Zlatko Percinic
Kiew erhöhte im Streit um einen neuen Gastransitvertrag mit Moskau den Druck. Vize-Außenministerin Olena Zerkal meinte, dass man "höchstwahrscheinlich" keine Einigung bis zum 31. Dezember 2019 erzielen werde und deshalb Gas für die Notversorgung gespeichert werden sollte. Dafür bietet die Ukraine insbesondere den osteuropäischen Mitgliedern der EU die Möglichkeit an, die riesigen Gasspeichermöglichkeiten zu nutzen.
Kiew behauptete schon seit Längerem, dass Russland die Absicht hege, den 2009 geschlossenen Zehnjahresvertrag auslaufen lassen zu wollen und durch Projekte wie Nord Stream 1+2 und Turkish Stream das Gas über andere Kanäle zu den Endkunden liefern zu wollen. Die Ukraine würde dann wichtige Einnahmequellen aus dem Transitgeschäft verlieren und das Land noch weiter von internationalen Krediten abhängig werden.
Deshalb bestand vor allem Deutschland, als Quasi-Schutzmacht der Ukraine seit dem Putsch im Februar 2014, darauf, dass das Transitsystem aufrechterhalten bleibt. Die EU-Kommission sollte als neutraler Vermittler einen Kompromiss erarbeiten, was bisher allerdings nicht gelungen ist. Maroš Šefčovič, der slowakische Vizepräsident der EU-Kommission und Verhandlungsführer in Energiefragen, positionierte sich bei den Verhandlungen auf der Seite der Ukraine und – wenig überraschend – zum Vorteil der EU.
Zankapfel bei den Verhandlungen ist nicht nur der Transitpreis, sondern insbesondere die Umsetzung des Dritten Energiepakets der EU in der Ukraine. Die EU möchte mehr Kontrolle über die Gasversorgung erlangen und Gazproms Monopolstellung in Sachen Versorgung, Erzeugung und Netzbetrieb brechen. Solange das russische Gas weiterhin über die Ukraine geliefert wird, muss es natürlich durch das Netz des ukrainischen staatlichen Energiekonzerns Naftogaz fließen, welches allerdings veraltet und anfällig für Störungen ist. Um Investitionen in die Modernisierung der Gasversorgung in der Ukraine sicherzustellen, braucht Kiew selbstverständlich das Gas und die Einnahmen daraus.
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Da die EU-Kommission beim Bau von Nord Stream 2 durchaus über Hebel verfügt und diese auch anwendet, um die Fertigstellung hinauszuzögern, übt Brüssel so ebenfalls Druck auf Moskau aus. Denn wenn die zweite Röhre der Nordseepipeline nicht bis Ende 2019 fertiggestellt wird, wonach es zurzeit aussieht, dann ist sowohl Russland als auch die EU-Abnehmer von russischem Gas weiterhin von dem ukrainischen Transit abhängig.
Wenn somit bis zum 31. Dezember keine Einigung erzielt wird, müsste Gazprom zumindest vertraglich die Gaslieferung via Ukraine einstellen. Selbstverständlich würde dann die gesamte Medienlandschaft hierzulande mit kräftiger Unterstützung von Politikern jeglicher Couleur in Schnappatmung verfallen und Russland beschuldigen, Europa als Geisel ihrer Energiepolitik zu nehmen. Das ist natürlich allen Beteiligten bewusst, weshalb die Aussagen der ukrainischen Vize-Außenministerin Zerkal hochproblematisch sind. Obwohl auch die ukrainische Bevölkerung von einem Lieferstopp betroffen wäre, kann die neue Regierung von Wladimir Selenskij vorübergehend auf Zeit spielen, wohlwissend, dass nicht etwa Kiew, sondern Moskau für kalte Wohnungen in Europa verantwortlich gemacht wird.
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