von Hannes Hofbauer, Wien
Die Vorgeschichte ist schnell zusammengefasst. Da will der Adelssprössling und Wiener Vizebürgermeister Johann Gudenus, dessen Vater kurz zuvor gestorben war, im Jahr 2017 Ländereien aus der Erbschaft verkaufen und sucht nach Investoren. Dabei tappt er in eine fein präparierte Falle, die nach geheimdienstlich gestricktem Kompromat aussieht.
Über Monate wird mit einer vermeintlichen lettisch-russischen Oligarchen-Nichte Vertrauen aufgebaut, bis es auf einem gemieteten Anwesen auf der Insel Ibiza längst nicht mehr nur um Ländereien geht, sondern um den Kauf der größten österreichischen Tageszeitung, die mögliche Privatisierung von Wasser und Bauaufträge im großen Stil. Unter kräftiger Mithilfe des zurückgetretenen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache demaskiert sich die Rechtspartei, die immer den sprichwörtlichen kleinen Mann im Munde führt, als Vermittler von Kapitalinteressen. Immerhin ging es in dem heimlich aufgezeichneten "Ibiza-Video" um dreistellige Millionen-Euro-Beträge.
Drei Tage nach der Veröffentlichung des ungustiösen Filmmaterials ist die österreichische Koalitionsregierung Geschichte. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) forderte nach dem Rücktritt von Strache noch jenen von Innenminister Herbert Kickl, dem harten Mann in der FPÖ. Und hier führt die Spur nach Deutschland. CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer drängt Kurz indirekt, die Koalition aufzulösen, und SPD-Chefin Nahles fordert gleich Neuwahlen in Österreich.
Sie folgen damit nachrichtendienstlichen Stimmen, die seit Monaten vor Kickl gewarnt und die Einstellung der Zusammenarbeit in Aussicht gestellt haben, weil der Innenminister dabei war, das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) politisch umzupolen. Kurz gehorcht, macht den Rücktritt von Kickl zur Bedingung für die Fortführung der Koalition, wohl wissend, dass die FPÖ dem nicht zustimmen wird. Daraufhin entlässt Bundespräsident Van der Bellen auf Vorschlag von Kurz alle FPÖ-Minister mit Ausnahme der parteifreien, aber von Strache nominierten Außenministerin Karin Kneissl. Sogenannte Experten übernehmen die Ressorts.
Neuwahlen sind für September angesetzt, obwohl sie – dem vorgesehenen Zeitlauf entsprechend – bereits im Juli stattfinden könnten. Das Argument, Wahlen mitten im Sommer wären unzumutbar, weil viele Menschen im Urlaub seien, ist angesichts der Staatskrise, in die das Land schlittert, unverständlich. Zuvor wird es jedenfalls bereits am Montag, dem 27. Mai, einen Misstrauensantrag gegen die nunmehrige de facto ÖVP-Alleinregierung geben, eingebracht von der kleinen ex-grünen Liste "Jetzt".
Stimmen SPÖ und FPÖ dem Antrag zu, muss Präsident Van der Bellen einen neuen Kanzler suchen. In beiden Parteien gibt es – unterschiedliche – Pro- und Kontra-Argumente. Für den Misstrauensantrag spricht in der SPÖ, dass man Kurz nicht eine monatelange Bühne als Kanzler bieten will, von der aus er den bevorstehenden Wahlkampf bestreitet. Dagegen spricht die "Staatsräson" und dass man nicht als Verantwortlicher für noch chaotischere Zustände dastehen will.
Bei den FPÖ-Abgeordneten könnte das Rachegefühl ausschlaggebend sein, warum man dem Misstrauensantrag zustimmt. Immerhin hat Kurz die gesamte FPÖ-Ministerriege vor die Tür gesetzt. Auf der anderen Seite steht das Argument, vielleicht nach der nächsten Wahl – mit einer anderen Mannschaft – wieder als Juniorpartner für die Kurz-ÖVP zur Verfügung zu stehen. Letzteres trieb die kleine ultraliberale Truppe der Neos zur Erklärung, Kurz und seinem teilweise neuen Team keinesfalls das Misstrauen aussprechen zu wollen.
Tatsächlich könnte die kommende Regierung eine Koalition von ÖVP und Neos sein. Denn ein Zugewinn von Kurz scheint sicher, die 50-Prozent-Marke jedoch unerreichbar. Die Neos stünden für strenge Sparmaßnahmen, weitere soziale Einschnitte und insgesamt für ein Zurückdrängen des Staates bereit. Auf ihrem aktuellen Plakat prangen die Konterfeis von Strache, Gudenus und Putin über dem Schriftzug "Europa schützen". Ihre anti-russische Ausrichtung würde auch den EU-Granden in Brüssel gut gefallen.
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