von Em Ell
Das Problem mit der Korruption ist, dass es sich um eine Regierungsform handelt, die manchmal legal und manchmal illegal ist. Es ist legal, dass ehemalige Minister und ehemalige Präsidenten in Vorständen von Energieunternehmen landen, aber das ist Korruption. Diese Unternehmen kaufen Politiker.
Was wir mit den 'Kloaken des Staates' [vergleichbar dem 'Tiefen Staat' im Deutschen – Anm. Red.] gesehen haben, sind machtvolle Wirtschaftsinteressen, die Medien benutzen, die mit Geld gekauft werden und falsche Beweise fabrizieren, um eine Regierung zu verhindern, an der Podemos beteiligt ist.
Kurzum: Korruption als Regierungsform. Das ist der Kern dieser Botschaft von Pablo Iglesias, dem Vorsitzenden des linken Parteienbündnisses Unidas-Podemos, an die Millionen seiner spanischen Landsleute vor den Bildschirmen, die am Montag und Dienstag zur besten Sendezeit die beiden Fernsehdebatten der vier Spitzenkandidaten zur vorgezogenen Parlamentswahl verfolgt haben. An diesem Sonntag wird in Spanien gewählt. Und Korruption spielt dabei buchstäblich die entscheidende Rolle. Nicht nur die hier als zweites angesprochene unmittelbare Korruption und konzertierte Rufmordkampagne mit dem so skandalösen wie kriminellen Einsatz des "Tiefen Staates" und der gekauften Medien gegen unliebsame politische Gegner der spanischen Linken (und ebenso der katalanischen Nationalisten), den höchste Stellen der rechten Vorgängerregierung unter Mariano Rajoy orchestriert hatten und der in ebendiesen Medien kaum vorkommt.
Korruption als Regierungsform, das ist nichts Neues, sondern für alle Demokratien des Westens Essenzielles. Schließlich wusste schon Aristoteles vor über 2.000 Jahren, dass man wohl kaum die Mehrheit der Besitzlosen über das Gemeinwesen und damit das Wohl der Minderheit der Besitzenden entscheiden lassen kann. Also steckt dort, wo Demokratie draufsteht, nur eingeschränkt Demokratie drin. Im antiken Griechenland wie im modernen Westen. Das System ist daher von Anfang an und von Grund auf korrumpiert, durch diejenigen, denen es gehört und die damit und dafür über die nötigen Mittel und Wege verfügen.
"Spain is different" – keinesfalls. Lediglich auf seine eigentümliche, spezifisch spanische Weise.
Grassierende Korruption, gekaufte Medien, politische Polizei und politische Justiz – Strukturen und Verbindungen, die eher an Mafiastaaten und Diktaturen erinnern als an eine "modellhafte Demokratie", als die sich das offizielle und offiziöse Spanien gerne präsentiert und vierzig Jahre nach dem Ende des spanischen Faschismus während der Franco-Diktatur selbst feiern möchte.
Wie andernorts überlagern sich allerdings auch in Spanien Korruptionen auf zwei Ebenen. Das neoliberale Modell der globalen politischen und wirtschaftlichen "Alternativlosigkeit" trifft auf das heimische Geflecht alteingesessener Pfründe und Machtcliquen, das in Spanien mit dem Übergang ("Transición") von der Franco-Dikatur in die "Demokratie seit 1978" lediglich zeitgemäß aktualisiert und um das eine oder andere Mitglied aus dem Fußvolk erweitert wurde. Ein jeder dieser alten und neuen Elite machte seinen Schnitt, die weltläufig und neoliberal-modern Korrupten mit Spanien (Privatisierungen, Seilschaften und Drehtüren etc.), die national und regional traditionell Korrupten in Spanien (Bestechungen, Vetternwirtschaft, schwarze Kassen etc.), Überschneidungen nicht ausgeschlossen. Immer im Namen der "Patria", zum Wohle ihrer Nation, der spanischen, der katalanischen. Nur dass all diese Superpatrioten schamlos ihre eigenen Leute ausplündern, für die sie doch so patriotisch und gegen all die Feinde und Zerstörer ihres nationalen Gemeinwesens kämpfen – à la española, à la catalana.
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Bis zum Ausbruch der neoliberalen Krise 2008 lief dieses "spanische" und "katalanische Modell" verdammt gut und – buchstäblich – wie geschmiert. Umso mehr in den Jahren der Blasenökonomie (Bauboom, Finanzialisierung etc.) des "wirtschaftlichen Wunders", die die damalige rechte Regierung von José María Aznar entfesselte und die tatsächlich und weltweit "modellhaft" war. Einmal in Fahrt, ließ sich solch rauschende Spekulationsparty zudem kaum stoppen, denn – auch jenseits der Eliten – alle und damit zu viele machten ihren Schnitt. Selbst der einfache typisch spanische Eigenheimbesitzer wurde über Nacht im Spekulationsboom reich und reicher. Ein Land und ein Volk auf der Überholspur. Mit dem Platzen der Blase (zuerst in den USA, dann in Spanien) fuhr das Ganze dann absehbarerweise gegen die Wand. Diejenigen, die am Steuer saßen, versuchten eilig, sich und ihre Pfründe in Sicherheit zu bringen. Die Masse der Beifahrer ließen sie mit dem kapitalen Schaden und auf der Straße protestierend allein – unter fürsorglicher Aufsicht der Sicherheitskräfte, um die alternativlose Rechnung für das havarierte Spekulationsvehikel in Form neoliberaler Pannenpolitik der "Bankenrettungen" und des sozialen Kahlschlags weiter von ihr eintreiben zu können.
"Das ist keine Krise, sondern Betrug!" ("¡No es una crisis, sino una estafa!"), protestierte die geprellte Bevölkerung so massiv wie massenhaft und ließ damit bei den herrschenden Eliten und ihren politischen Repräsentanten und medialen Wasserträgern alle Alarmglocken schrillen. Umso lauter, als sich ab 2014 der Volkszorn mit der Gründung und dem Wahlerfolg der neuen linken Partei Podemos kanalisierte und institutionalisierte. Das wie in etlichen anderen westlichen Demokratien lange übliche doch längst kriselnde systemkonforme Quasi-Zweiparteiensystem aus Konservativen (PP) und Sozialdemokraten (PSOE), ein sich an der Regierung ablösendes eingespieltes Tandem rechter und linker "Volksparteien", war damit auch in Spanien am Ende. Die politische Linke war gespalten. Derart, dass der brodelnde soziale Unmut die neue linke Partei Podemos als stärkste politische Kraft ins spanische Parlament und sogar an entscheidende Schaltstellen der Macht in der Regierung und dem Staatsapparat zu spülen drohte.
Höchste Zeit also, einmal mehr zu einer auch andernorts beliebten Allzweckwaffe zu greifen – dem Nationalismus.
Hier allerdings kommt die besondere spanische Note des Ganzen ins Spiel. Zum einen hat sich diese Wunderwaffe gerade in Spanien bestens und nachhaltigst gegen linkes Unwesen bewährt – mit dem Militärputsch, dem "Bürgerkrieg" und der faschistischen Diktatur der Franco-Zeit (insgesamt im Zeitraum von 1936 bis 1978). Zum anderen braucht es für die Belebung des Nationalismus in Spanien keine Feinde von außen. Die hat man praktischerweise im eigenen Haus, speziell den gemeinen Katalanen und – umgekehrt – den gemeinen Spanier.
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Hinzu kommt, da wie dort und nicht zuletzt als ein lebendiges Erbe der Franco-Zeit und der noch viel älteren Eliten, denen sie diente, die aberwitzige endemische Korruption.
Damit konnte auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen und sozialen Krise das Schauspiel der Eliten mit einem neuen Akt der nationalistischen Vernebelung beginnen. Den Anfang machten diesmal die Katalanen. Die korrupte rechte und besonders neoliberale katalanische Regionalregierung kaperte die protestierenden Massen, indem sie die Unabhängigkeit von Spanien als oberste Priorität und Allheilmittel gegen die tiefe soziale und wirtschaftliche Krise in Katalonien beschwor und sich an die Spitze der katalanischen Separatisten setzte. Damit ließ sich trefflich von der seit dem Ausbruch der Krise offen zutage tretenden Korruption und besonders neoliberalen "Reformpolitik" in Katalonien ablenken.
Die korrupte und besonders neoliberale spanische rechte Regierung ließ sich nicht lange bitten und beschwor ihrerseits als oberste Priorität den nationalen Ausnahmezustand angesichts der drohenden Zerstörung Spaniens durch die katalanischen Separatisten und all jener, die mit ihnen gemeinsame Sache machen könnten. Denn damit ließ sich trefflich von der seit dem Ausbruch der Krise offen zutage tretenden Korruption und besonders neoliberalen "Reformpolitik" in Spanien ablenken. Fast. Schließlich gingen die Dimensionen ihrer Korruption und der von ihrer Politik in den Jahren des Booms maßgeblich provozierten und im Weiteren verschärften Krise in Spanien auch der spanischen Rechten buchstäblich an die Substanz.
Das Wahlvolk in Aufruhr. Die alte Linke (PSOE) abgestürzt da abgestraft für ihren Verrat an der eigenen Klientel durch ihre Wende zur "alternativlosen Austeritätspolitik". Eine alternative Linke (Podemos) landesweit auf der Straße und auf dem Weg an die Regierung. Eine rechte Regierung (PP), unpopulär durch ihre gebrochenen Wahlversprechen und Verschärfungen der "neoliberalen Reformagenda" und tödlich gezeichnet von ihrer eigenen und aus dem Ruder gelaufenen Korruption. Die alte Rechte also ebenfalls im Absturz.
Wir brauchen eine Art "Podemos der Rechten", sprachen die Eliten, und zauberten flugs mit der Partei Ciudadanos eine eigene "Protestpartei" hervor, und zwar im doppelten Sinne – einerseits als eine "Protestpartei von rechts", als Entsprechung und als Konkurrenz zu Podemos als Protestpartei von links, sowie anderseits als eine "Protestpartei für die Rechten", als Alternative zur korrupten und abgewirtschafteten PP. Was die alte Rechte verliert, gewinnt die neue Rechte. Womit letztlich alles hübsch beim Alten und in der Familie bleibt. Und zwar wortwörtlich. Denn sowohl Kader als auch Anhängerschaft von Ciudadanos stammen zum größten Teil aus der PP.
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Damit war auch die politische Rechte gespalten. Doch diese neue, alte Rechte in Form von Ciudadanos sollte sich in der ganz speziellen spanischen Gemengelage aus endemischer Korruption und internen Nationalismen als ein besonders wirksamer und gefãhrlicher weiterer Spaltpilz erweisen. Denn ihre Ursprünge hat Ciudadanos in Katalonien, gegründet als Stimme des spanischen Nationalismus gegen den zunehmenden katalanischen Nationalismus. Sie konnte sich damit umso lauter und glaubhafter in der "nationalen Frage" sowohl gegen den katalanischen Separatismus als auch gegen die vermeintliche Nachgiebigkeit der spanischen alten Rechten der PP unter Mariano Rajoy positionieren und etablieren und dadurch in Spanien wie in Katalonien die politische Ausrichtung der Rechten und das politische Klima insgesamt "nationalistisch" radikalisieren.
Man beachte, dass und wie es sich dabei – wie andernorts in solchen Demokratien – der Regierungsform (und damit den tatsächlichen Besitz- und Machtverhältnissen) entsprechend letztlich und zwangsläufig um Auseinandersetzungen innerhalb der Rechten handelt – hier zwischen den spanischen und katalanischen und innerhalb der spanischen Rechten und deren Machteliten –, die entscheidend die Geschicke und Schicksale ihrer Länder und Gesellschaften bestimmen. In einem sich sozial wie politisch derart aufheizenden Klima, mit veritablen und justiziablen Rufmordkampagnen gegen politische Gegner der Linken und der Katalanen ließ die Spaltung und nationalistische Radikalisierung der spanischen Rechten den Geist des Nationalismus schließlich vollends aus der Flasche.
Der Geist der Franco-Zeit und des spanischen Faschismus erhob nun laut seine eigene Stimme mit der neuen ultrarechten Partei Vox. Auch diese neue Rechte ist die alte und Fleisch vom Fleische der PP. Wie bei Ciudadanos stammen Kader und Anhängerschaft von Vox zum größten Teil aus der PP.
So stehen da nunmehr die drei rechten Brüder PP, Ciudadanos und Vox nebeneinander und krakeelen medial befeuert um die Wette, wer der rechteste (im doppelten Sinne) von ihnen ist, und bestimmen mit ihrem Schauspiel und ihrem Familien(wett)streit maßgeblich das politische Klima und die politische Debatte im ganzen Land. Umso ohrenbetäubender, seit der Block der drei Rechten durch den unerwarteten und unerwartet deutlichen Wahlerfolg von Vox in Andalusien erstmals die Linken der PSOE in deren traditioneller Hochburg von der Macht verdrängen konnte.
Was in Andalusien gelang, soll nun in ganz Spanien gelingen. Politisch liegen die drei rechten Geschwister und Kinder des "Aznarismus" im Wesentlichen (machtstrukturkonform) auf der gleichen Linie: Neoliberalismus und Neokonservatismus im Allgemeinen sowie Identifikation mit dem Regime der Transición der Franco-Zeit (und dadurch mit dieser und dem "soziologischen Franquismus" selbst) im Besonderen.
Die entscheidende Frage ist, wer von den dreien die Nase vorn haben wird und ob alle drei zusammen auf die nötige Mehrheit zur Regierungsbildung kommen. Denn – Ironie der Geschichte – das Wahlregime des demokratischen Spaniens ist noch ein unmittelbares Erbe aus der undemokratischen Franco-Zeit und als solches für eine geeinigte Rechte und gegen eine gespaltene und – siehe die Rufmordkampagnen – zu zersetzende Linke konzipiert. Die drohende Aufspaltung der rechten Wählerschaft kann damit selbst in sicheren rechten Hochburgen (vor allem in ländlichen Gebieten), in denen früher exklusiv die PP dominierte (und durch den Zuschnitt der Wahlkreise im Ergebnis überproportional Mandate gewann), diesmal zur Stimmenmehrheit und damit zu (überproportional zusätzlichen) Parlamentssitzen für die Linken speziell von der PSOE führen.
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Der linke Block aus der alten Linken der PSOE und der neuen Linken von Unidas-Podemos konnte sich in seiner erfolgreichen Kooperation zum Sturz der rechten Vorgängerregierung von Mariano Rajoy – über ein erfolgreiches konstruktives Misstrauensvotum Ende Mai 2018 (infolge einer Gerichtsentscheidung zur Korruption seiner Partei) – und zur Bildung und Stützung der Minderheitsregierung von Pedro Sánchez konsolidieren, insbesondere mit ihrer im Kontrast zur lärmenden Rechten wohltuenden und unverzichtbaren Dialogbereitschaft untereinander und in der "katalanischen Frage" sowie der spürbar sozialen Ausrichtung ihrer Regierungsmaßnahmen, die maßgeblich auf den Einfluss von Unidas-Podemos zurückgeht.
Dies berührt eine weitere entscheidende Frage, die unmittelbar mit dem Wahlergebnis und der sich daraus ergebenden Machtverteilung zwischen dem rechten und dem linken Block sowie innerhalb der jeweiligen Blöcke zusammenhängt.
Sollten die Prognosen zutreffen, dass der rechte Block zwar sein Stimmenpotenzial ausschöpfen kann, er jedoch insgesamt nicht die nötige Mehrheit zur Regierungsbildung erreicht, nicht zuletzt wegen der Aufspaltungen der Wählerstimmen und dadurch "negativen Effekte" (bzw. verlorenen positiven Effekte) auf den Gewinn bisher sicherer rechter Parlamentssitze für die PP, dann kommt es für mögliche Regierungskonstellationen unter Umständen maßgeblich auf die Stärke der neuen Rechten von Ciudadanos an.
Denn auch wenn alle Umfragen Pedro Sánchez und seine PSOE als klaren Wahlsieger sehen, so ist dennoch ungewiss, ob und mit wem er weiterregieren kann. Sollte Ciudadanos stark genug werden, dass es für eine Regierungsbildung mit der PSOE reicht, dann wird dieser dritte Block des sogenannten "Großen Zentrums" erneut ins Rampenlicht rücken – aus "Staatsräson" und daher als "vernünftige" Option "patriotischer Pflicht".
Schließlich war und ist sie die bevorzugte Konstellation der wirtschaftlichen, politischen und medialen Machteliten – nicht nur in Spanien. Wie andernorts, eine "große Koalition" der Mitte und der Vernunft, des Status quo und des Weiter-so, gegen die "Extreme", die man zuvor selbst durch seine "alternativlose" neoliberale Politik provozierte (die alternative Linke wie Podemos) und auf den Plan rief (die Ultrarechte wie Vox).
Damit wäre dann die Etablierung der neuen Rechten von Ciudadanos tatsächlich ein abschließend gelungenes politisches und mediales Manöver der Machteliten. Vergessen wir nicht, dass bei allem nationalistischen Getöse, das die Korruption hin und wieder von rechts lostritt, um sich selbst dahinter zu verstecken, sie gerade von ihrem Verstecktsein – von der Diskretion und vom Informellen – lebt und darin gedeiht. Eine große Koalition der Mitte ist da im Großen und Ganzen allemal geräuschloser und dienlicher als ein um die Wette lärmender Block rechter Schreihälse.
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Als Teil dieses Manövers in Richtung "Großes Zentrum" (zumal für kommende Wahlen) darf man getrost das aktuelle Wahlkampfgetöse von Ciudadanos mit der wiederholten demonstrativen Ablehnung einer zukünftigen Regierungsbildung mit der PSOE von Pedro Sánchez werten. Das ist lediglich Ausdruck der simplen Wahlstrategie, dort nach Wählerstimmen zu fischen, wo sie zu holen sind. Die Phase der gespielten Ambivalenz, in der sich Ciudadanos als weder rechts noch links und als Scharnier zwischen den zerfallenden Volksparteien PP und PSOE positionierte, sind angesichts der gegenwärtigen partei- und wahltaktischen Konstellationen vorbei. Ciudadanos war und ist ein Teil der alten Rechten der PP, im neuen Gewand. Es ist für Ciudadanos (und für die Option "Großes Zentrum") angesichts einer erodierenden PP weitaus einträglicher, im frei werden Stammland nach Stimmen zu jagen als auf fremden Territorium der PSOE.
Die alteingesesse Parteielite der PSOE hatte bereits einmal eine alternative linke Regierungmöglichkeit unter Beteiliung von Podemos erfolgreich sabotiert und Pedro Sánchez 2016 als Parteivorsitzenden heimtückisch abserviert. Er kam zurück, gegen den Parteiapparat und gegen die Medien – mithilfe der Parteibasis. Und er hat für die jetzige Wahl die Kandidatenliste seiner Partei entsprechend mit seinen Gefolgsleuten besetzt. Seine Machtbasis in der Partei und der zukünftigen Parlamentsfraktion ist damit zwar gestärkt, doch der politische und mediale Druck in Richtung "Mitte" und damit Ciudadanos – auch in seiner eigenen Partei – wird weiterhin vorhanden und nicht zu unterschätzen sein, wenn das Wahlergebnis rechnerisch sowohl eine Regierungsbildung mit Ciudadanos als auch mit Unidas-Podemos erlauben sollte.
Pablo Iglesias hat also recht und allen Grund, für seine Partei Unidas-Podemos als unverzichtbaren Garanten für eine linke Politik zu werben.
Und er hat recht und allen Grund, von einer tatsächlichen und entscheidenden Wahl zu sprechen – trotz und gerade wegen all der demokratischen Mängel und der von ihm eingangs zitierten Beschreibung der Korruption als Regierungsform.
Denn hätten solche Wahlen keinen Einfluss, dann würde die Machtelite nicht derart massiv in die Beeinflussung der politischen und medialen Landschaft investieren, wie sie es – mit legalen wie illegalen Mitteln – tut.
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Spanien hat also diesmal tatsächlich eine Wahl und ist entsprechend rechts wie links mobilisiert. Nicht zuletzt nach dem Ergebnis der Regionalwahlen in Andalusien, das für die Rechten wie die Linken ein Weckruf war – ein Erfolg für die einen, der spanienweit wiederholt werden soll, und ein Debakel für die anderen, das es diesmal unbedingt zu vermeiden gilt.
Es wird sich insbesondere mit dem Abschneiden der Ultrarechten von Vox zeigen, wie stark der reaktionäre und faschistische Geist der Franco-Diktatur und die tatsächlich fortschrittlichen Entwicklungen im heutigen Spanien jeweils sind. Selbst innerhalb der Rechten stößt Vox mit seinem im Wortsinne rückwärtsgewandten Programm der Abwicklung regionaler Autonomien (und damit regionaler Machtstrukturen und -interessen) und der Behandlung der in Spanien grassierenden Gewalt gegen Frauen an deutliche Grenzen. Hier steht wahrlich viel auf dem Spiel.
Auch beim weiteren Umgang mit der "katalanischen Frage" und der wirtschaftlichen und sozialen Krise steht viel auf dem Spiel. Sowohl der Block der Rechten aus PP, Ciudadanos und Vox als auch der Block des "Großen Zentrums" aus PSOE und Ciudadanos stehen auf beiden Feldern für eine Verschärfung des Status quo aus Nationalismus und Neoliberalismus. Einzig die gegenwärtig regierende Kooperation aus PSOE und Unidas-Podemos verspricht hier wie dort eine gewisse Entspannung und Verbesserung der Situation, einen konstruktiven nationalen Dialog und ein Umsteuern der neoliberalen "Reformagenda". Dass Letzteres – auch in Rahmen der neoliberalen "Alternativlosigkeit" – mit einem gewissen Erfolg möglich ist, zeigt der Blick über die Grenze nach Portugal.
Es könnte allerdings auch so kommen, dass weder die vereinigte Rechte noch die vereinigte Linke (und nicht einmal das "Große Zentrum") eine eigene Regierungsmehrheit erreichen und ein explizites Wählervotum genau die Konstellation bestätigt, die das erfolgreiche Misstrauensvotum gegen die PP-Regierung von Mariano Rajoy ermöglicht hatte: Eine Regierungskooperation von PSOE und Unidas-Podemos, gestützt auf die Parteien des baskischen und des katalanischen Nationalismus. Letztere hatten zwar durch ihre Ablehnung des Haushaltsgesetzes entscheidend zu diesen vorgezogenen Parlamentswahlen beigetragen. Dennoch wäre eine solche Konstellation und speziell die Position und Regierungsarbeit von Pedro Sánchez und dessen Ausrichtung der PSOE nunmehr ausdrücklich durch ein solches Wahlergebnis legitimiert.
Das Geschrei vom "Verräter Pedro Sánchez", der zusammen mit den katalanischen "Putschisten" und den "Kommunisten" von Unidas-Podemos "Spanien zerstören will", das bisher so martialisch wie ohrenbetäubend aus den Hälsen und den medialen Megaphonen des versammelten Blocks der Rechten kam, würde damit zwar keinesfalls verstummen. Doch eben dieses Geschrei könnte sich nun weniger auf das Wählervotum berufen als der nötige und unvermeidliche politische Dialog in der "katalanischen Frage" und das für die einfache Bevölkerung so nötige weitere Umsteuern der asozialen neoliberalen Kahlschlagpolitik der zurückliegenden Jahre.
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Wer nun meint, das könne einem doch alles spanisch vorkommen, da es sich ohnehin um Petitessen an der europäischen Peripherie handelt, dem sei ein Blick auf die Landkarte und die Geschichte (und damit die Dimension des spanischen Imperiums und Kulturraums) ans Herz gelegt. Die Iberische Halbinsel und speziell Spanien ist von eminenter geostrategischer Bedeutung, sowohl als Tor und Brücke zu Europa, Afrika und dem Nahen Osten als auch zu Lateinamerika. Die USA haben – als Nachfolger der Briten – nicht ohne Grund schon seit den Anfängen der Franco-Zeit dort nichts anbrennen lassen und entscheidend ihre Finger im Spiel.
Die spanische Rechte wie auch maßgebliche Teile der PSOE und der spanischen Wirtschaft sind klar transatlantisch ausgerichtet, was sich insbesondere beim gegenwärtigen Wiederaufleben der Monroe-Doktrin der USA und der entsprechenden Positionierung Spaniens zeigt. Auch in Europa stellen sich mit der zunehmenden Präsenz der chinesischen Projekte der "Neuen Seidenstraße" und der 5G-Technologie entscheidende Fragen und Weichen zwischen West und Ost. So haben mit Griechenland, Portugal und Italien Staaten im unmittelbaren Umfeld Spaniens ihre Bereitschaft erklärt, sich an der "Neuen Seidenstraße" zu beteiligen. Spanien hat sich bislang nicht offiziell dazu geäußert. Auch im aktuellen Wahlkampf gab es zu alldem und der Außenpolitik insgesamt lediglich – nichts.
Und nicht zuletzt stellen sich über diese Wahlen und Spanien hinaus grundsätzliche Fragen zur "Korruption als Regierungsform" und ihrer Weiterentwicklung – bei der Spanien lediglich ein besonders illustrativer Fall für allgemeingültige da essenzielle Strukturen und Mechanismen der Macht und ihrer Ausübung in westlichen "Demokratien" ist. Auch und gerade angesichts des Einsatzes und Erfolges sozialer Medien und Medienkampagnen im Internet à la Bolsonaro und Trump, bei dem es um die Verbreitung und Durchsetzung der Politik von gestern mit den modernsten Mitteln von heute geht. Steve Bannon, der ehemalige Wahlkampfleiter von Trump, bastelt mittlerweile auf dem alten Kontinent an seinem Projekt einer europaweiten Neuen Rechten. Mit Vox ist er auch in Spanien aktiv.
Das alles kann und darf einem zu Recht und aus gutem Grund mehr als nur spanisch vorkommen.
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Weiterführende Informationen
- "Spain: Engañados e intervenidos" – Documental / Versión resumida
- Joan Garcés – Entrevista sobre soberanía e intervención – ejemplo Chile e España
- Las cloacas de Interior – Documental
- Entrevista completa a David Jiménez, exdirector de 'El Mundo' y autor del libro 'El director'
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- Spanien und seine franquistische Vergangenheit – Das Tal der Gefallenen
- Spanien: Von Diktatur, Geopolitik und der Krise der Parteiendemokratie – Teil 1 / Teil 2 / Teil 3
- 40 Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur: "Der Tote packt den Lebenden" – Teil 1 / Teil 2 / Teil 3
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- Die Probleme und Fehler der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung
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