von Andreas Richter
Nein, über den Spiegel zu schreiben, ist dieser Tage kein besonderes Vergnügen. Kaum war in der vergangenen Woche auf RT Deutsch ein Artikel erschienen, in dem beleuchtet wurde, auf welch zweifelhafte Weise das angebliche Nachrichtenmagazin für die Aufrüstung in Deutschland trommelt, legte der Spiegel nach: mit einer Titelgeschichte unter der Überschrift "Moskaus Marionetten", in der die vermeintliche russische Einflussnahme auf Deutschland enthüllt wird. Das Ganze kommt recht bombastisch daher, um jeden Zweifel im Keim zu ersticken:
Gemeinsame Recherchen von Spiegel, ZDF, der britischen BBC und der italienischen Zeitung La Repubblica offenbaren, wie Moskau die westeuropäischen Demokratien schwächen und sich dafür die Unterstützung rechter Parteien sichern will. Geleakte E-Mails und Dokumente geben einen tiefen Einblick, wie solche Strategien für eine Einflussnahme auf den Westen entstehen, wie sie in Putins Machtbereich gelangen und welcher Instrumente man sich für die Umsetzung bedient.
Die NachDenkSeiten haben den Artikel bereits am Montag auf vorbildliche Weise genauer auseinander genommen und analysiert. Weil RT Deutsch vom Spiegel als Teil von "Moskaus Informationskrieg" beschrieben wird, soll aber auch an dieser Stelle noch einmal darauf eingegangen werden.
Zunächst zum Inhalt des Spiegel-Titels: Liest man die neunseitige Geschichte, an der sage und schreibe zehn leibhaftige Spiegel-Journalisten mitgewirkt haben sollen, bleibt ein schaler Nachgeschmack. Selbst wenn man inhaltliche Zweifel am dort Behaupteten außen vor lässt, löst der Text selbst in keiner Weise ein, was Überschrift und Titelbild versprechen. Die Überschrift, das reißerische Titelbild und gleichermaßen alle weiteren Illustrationen im unheilvollen Schwarz-Rot gehalten, die mit einer Collage gar den Bundestag in Flammen setzen, was offenbar Assoziationen an den schändlichen Reichstagsbrand wecken soll.
Leitmotiv ist Russlands Präsident Wladimir Putin als Puppenspieler, der bei der AfD als seiner Marionette die Strippen zieht. Was der Artikel "herausfindet", ist ein einzelner AfD-Abgeordneter, Markus Frohnmaier, der händeringend die Nähe zu russischen Ansprechpartnern sucht, ohne mit seinen Anliegen wirklich durchzudringen. Zunächst eine sensationelle Enthüllung: Ein Mitarbeiter eines Hinterbänklers der Duma schreibt in einer Mail an die Präsidialverwaltung über einen AfD-Hinterbänkler, dieser werde ganz bestimmt unter "absoluter Kontrolle" stehen. Und dann aber... ach nein: Das war es schon.
Dazu noch ein paar der üblichen Bemerkungen über bereits bekannte Russland-Kontakte von AfD-Politikern, ein paar der beliebten Klischees über russische Hacker und Medien, mehr nicht. Daraus ließe sich bei einem neuen "Vorkommnis" vielleicht eine Meldung machen. Aber den "Vorgang" zu einer Titelgeschichte mit diesem Drumherum aufzublasen - das wäre vermutlich selbst Claas Relotius noch etwas zu fade vorgekommen. Sei es drum, der Spiegel macht es, Relotius ist ja zum Ausschmücken nicht mehr da.
Bei den Quellen wird es nicht weniger peinlich, da fischt das Blatt im Trüben. Die "geleakten" E-Mails und Dokumente erhielt die Kooperative des renommierten Magazins und der illustren Premium-Medien vom sogenannten Dossier-Center in London, das exklusiv von einem bekennenden Putin-Erzfeind, dem russischen Milliardär Michail Chodorkowski finanziert wird. Erklärtes Ziel des Centers ist es, "die kriminelle Organisation, die vom Kreml aus operiert", bloß zu stellen. Es ist wohl nicht zu gewagt zu vermuten, dass die "schwer belastenden" E-Mails aus dem russischen Präsidialamt und dem Außenministerium - sollten sie denn tatsächlich authentisch sein - wohl kaum von Wladimir an Michail gesandt wurden, sondern selbstverständlich ganz seriös von gewissen britischen Diensten "besorgt" wurden.
Betrachtet man die Spiegel-Geschichte als großes Mosaik, also zusammen mit den auch in diesen Tagen erschienenen Räuberpistolen von Le Monde und Time, beide übrigens mit auffallend ähnlicher graphischer Untermalung, so drängt sich Interessierten eine Frage auf: Hat da wohl im Hintergrund wiederum die schillernde Integrity Initiative mitgewirkt, die vorgibt, stets heldenhaft gegen "russische Desinformation" kämpfen zu müssen? Die viel spannendere nächste Frage wäre dann, an wessen Fäden wohl der Spiegel hängt.
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Auch an dieser Stelle stellen sich im übrigen wieder mehrere Fragen nach den doppelzüngigen Standards. Einmal in Hinblick auf den Inhalt des Spiegel-Artikels. Ein Großteil der Entscheider in Politik und Medien in Deutschland - übrigens auch bei AfD-Politikern - ist fest in transatlantischen Netzwerken eingesponnen. Das bleibt auch in Trump-Zeiten der Normalfall, an dem der Mainstream nichts auszusetzen hat, nur Kontakte nach Russland werden zuverlässig skandalisiert.
Dann zweitens zum Zustandekommen der Story: Wenn RT Deutsch - hypothetisch - mit "gehackten" Informationen aus dem Kanzleramt über die Beeinflussung von CDU-Politikern durch US-Vertreter berichten würde, was wäre das dann? Etwas ganz anderes, natürlich.
Und noch eine Bemerkung zu RT Deutsch: Laut Spiegel geben sich AfD-Politiker bei RT als "Stammgäste" förmlich die Klinke in die Hand. Das ist zwar Unsinn, leicht zu überprüfen mittels der Suchmaske auf der Webseite von RT Deutsch. Auch Markus Frohnmaier beispielsweise wurde in über vier Jahren der Existenz von RT Deutsch nur zweimal interviewt. Einmal Ende 2016 sowie vor einem Jahr auf der Krim im Rahmen des Internationalen Wirtschaftsforums Jalta. Richtig ist durchaus, dass Politiker der AfD und Der Linken bei RT häufiger zu Wort kommen als "etabliertere" Parteien. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass die Mehrheit der Politiker von CDU, FDP und Grünen Interview-Anfragen von RT Deutsch ablehnen oder unbeantwortet lassen, aber durchaus auch nicht alle.
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Die Reaktionen auf die sensationellen "Enthüllungen" des Spiegel über "Putins Marionetten" fielen auch im Mainstream dennoch erstaunlich verhalten aus. Zwar war das ZDF dabei, als "investigativer Partner" versteht sich. Claus "Stormy" Kleber, der am vergangenen Donnerstag schon - aus Spaß - einen Krieg mit Russland herbeizureden versuchte, nutzte natürlich die nächstbeste Gelegenheit am Freitag, um noch einmal über einen Krieg mit Russland zu schwadronieren. Frontal 21 folgte am Montag, darüber hinaus mit taz und Tagesspiegel eigentlich nur noch die üblichen Verdächtigen.
Die große "Enthüllungsgeschichte" war eben selbst für die Verhältnisse des großen, sturmerprobten Hamburger Magazins ausgenommen seicht gestrickt. Damit also noch einmal zurück zum Spiegel selbst: Für einige Zeit, einige Wochen nur, konnte man glauben, das Magazin könnte unter neuer Leitung an alte Traditionen anknüpfen und zum investigativen Journalismus zurückfinden. Titel wie etwa diese zum Recycling-Schwindel und jene zum Einfluss der Beraterfirmen gaben zu solch leiser Hoffnung Anlass.
Davon kann nun wohl doch keine Rede mehr sein. Spätestens mit dem Dackel- und dem Hakenkreuz-Titel war man wieder auf derzeitigem "Normal"-Niveau. Mit der Nullnummer der vergangenen Woche, die neben unbeirrbaren Spiegel-Glaubensfanatikern und eingeschworenen Transatlantikern nur noch wenige Leser überzeugt haben dürfte, wird sich vermutlich der Niedergang des Blattes weiter fortsetzen. Was immerhin zur Hoffnung Anlass gibt, nicht mehr zu oft über den Spiegel und derart fragwürdige Enthüllungen schreiben zu müssen.
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