von Thomas Schwarz
Zur von Spiegel, ZDF und BBC in den vergangenen Tagen "aufgedeckten" russischen "Einflussnahme" auf die Bundespolitik, die "weiter als bisher bekannt" gehe, lässt sich aktuell nur eines mit Sicherheit sagen: Nichts Genaues weiß man nicht. Der mediale Umgang mit dem ungeklärten Vorgang lässt sich aber bereits politisch-moralisch einordnen, wie das etwa Jens Berger auf denNachDenkSeiten tut:
Spiegel, ZDF, BBC und Co. berichten auf Basis von Dokumenten, die von einem Thinktank stammen, das von Chodorkowski finanziert wird. Interessant ist dabei vor allem: Diese Dokumente sind mehr als 10.000 Mails von einem russischen Diplomaten und mehr als 4.000 Mails aus der russischen Präsidialverwaltung. Spiegel und Co. bezeichnen diese Mails als "geleakt" … was nichts anderes heißt, als dass sie gehackt wurden. Schon "erstaunlich", das genau die Medien, die Zeter und Mordio schrien, als "russische Hacker" den Medien gehackte Dokumente der US-Demokraten zuspielten, nun selbst Dokumente verwerten, die wohl von "britischen Hackern" stammen, die ziemlich sicher nicht allzu weit entfernt vom GCHQ sitzen. Ein Prachtbeispiel für doppelte Standards.
Russiagate: Mögliche Irrelevanz hält Medien nicht von Kampagnen ab
Diese Analyse ist einerseits treffend – sie setzt aber andererseits eine Relevanz und Authentizität der betreffenden Dokumente voraus. Das könnte vorschnell sein. Denn diese Eigenschaften der Kampagne und der Dokumente sind noch nicht angemessen gesichert. Dass solche Unwägbarkeiten für viele Redakteure beim Thema "russische Einmischung" aber kein Grund sind, Vorsicht walten zu lassen, das macht ein anderer jüngerer Artikel von Jens Berger deutlich, in dem er die monatelange Kampagne zum "Mueller-Bericht" und zur russischen "US-Einmischung" als das bezeichnet, was sie ist: "Mueller – der Super-GAU für die Glaubwürdigkeit der Mainstreammedien".
Es ist momentan nicht auszuschließen, dass sich auch die Causa um den AfD-Politiker Markus Frohnmaier zu einem solchen "Super-GAU" für Spiegel und ZDF entwickeln wird. Wohl auch wegen der lauernden Gefahr, durch ein forsches Aufspringen auf die noch unklare Geschichte weiter an Glaubwürdigkeit zu verlieren, war das Presse-Echo auf diese "Sensation" zwar infam und unseriös – insgesamt aber weniger hysterisch, als man hätte erwarten können.
Mieten und Moral: Es darf (kurz) über Verstaatlichung geredet werden
Es gibt momentan kaum ein innenpolitisches Thema, das die Defizite des "freien Marktes" brutaler offenlegt als die Wohnungsdebatte. Das Versagen jenes Marktes ist beim Mieten-Komplex so deutlich, dass für einen kurzen Moment sogar die Verstaatlichung von Wohnungskonzernen (scheinbar) ernsthaft diskutiert werden darf.
Inwiefern diese aufsehenerregende Sozialisierungs-Debatte reale Auswirkungen haben wird – und nicht etwa reine Ablenkung vom "linken" Versagen in der Berliner Wohnungspolitik bleiben wird –, das bleibt abzuwarten. Um Enttäuschungen vorzubeugen, täten die Bürger aber gut daran, zunächst nicht mit einer baldigen Verstaatlichung großer Unternehmen in Deutschland zu rechnen.
Verstaatlichung: Rechtliche Eindeutigkeit wird verunklart
Von dieser Skepsis gegenüber der realen Wirkung der Sozialisierungs-Debatte abgesehen, waren die großen Mieter-Demos am Samstag ein wichtiges Zeichen des Unmuts in einer zumindest moralisch klaren Angelegenheit. Und sogar auf juristischer Ebene scheint die Sache mit der Verstaatlichung ziemlich eindeutig, denn Artikel 15 des Grundgesetzes sagt:
Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden …
Zudem gilt der Grundsatz, dass Bundesrecht Landesrecht bricht – also selbst einer Verstaatlichung entgegenstehende Passagen der Berliner Landes-Rechtssprechung würden dem Artikel des Grundgesetzes unterliegen. Wie der Jurist Helge Sodan versucht, diese Klarheit doch noch zu vernebeln, das kann man imDeutschlandfunk nachvollziehen. Man muss aber auch erwähnen, dass Martin Zagatta dort die richtigen Fragen stellt und nachhakt.
Keine Änderung – trotz Verstaatlichung?
Da der Deutschlandfunk in seinen Artikeln sowohl positive als auch negative Beispiele der Mieten-Berichterstattung liefert, soll der Blick auf das Thema in dieser Kolumne auf die Beiträge des Senders beschränkt werden. In einem anderen Beitrag lenkt etwa Ulrich Ropertz vom Mieterbund den Blick auf finanzielle Unwägbarkeiten einer Verstaatlichung: "Zu welchem Preis würde die Vergesellschaftung denn dann tatsächlich umgesetzt werden, das heißt, wie viel muss an die Unternehmen bezahlt werden, wenn man sie vergesellschaftet?" Ropertz dämpft auch die Erwartungen auf reale Verbesserungen für die Mieten, selbst für den unwahrscheinlichen Fall einer tatsächlichen Verstaatlichung: "Das ist noch ein relativ weiter Weg, also von jetzt auf gleich ändert sich zunächst einmal nichts."
Eines der wiederkehrenden "Argumente" gegen eine Verstaatlichung von Wohnungskonzernen ist die Aussage, durch die Sozialisation würde "keine einzige neue Wohnung geschaffen." Es ist dem Deutschlandfunk wiederum anzurechnen, dass er diesem Mantra die gut begründete Position von Michael Prütz entgegenstellt, der einer der Initiatoren des Volksbegehrens zur Verstaatlichung ist:
Wir haben das auch nie behauptet, dass neue Wohnungen dadurch entstehen, aber wir sagen, durch die Enteignung werden 400.000 bis 500.000 Mieterinnen und Mieter in der Stadt geschützt, gewinnen Planungs- und Lebenssicherheit, und infolge dieser Enteignung werden sich auch kleinere Vermieter mehr an die vernünftigen Regeln halten, die wir alle wollen.
Zurückhaltende Medien: Bürgerwut zu Mieten soll kanalisiert werden
Insgesamt kann man zumindest Teilen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine gewisse Ausgewogenheit beim Mieten-Thema bescheinigen. So schloss auch Claus Kleber im heute-journal vom Samstag die Berichterstattung mit den Worten: "Ein großes, ein wichtiges Thema."
Das macht jedoch auch skeptisch. Denn diese (zum Teil) überraschend mieter- und bürgerfreundliche Berichterstattung ist mutmaßlich auch der Eingangs beschriebenen moralischen Eindeutigkeit des Themas geschuldet: Es gibt hier einfach momentan wenig Spielraum für verzerrende Propaganda. Zudem soll mutmaßlich die gerechte Bürgerwut kanalisiert werden, die Menschen sollen sich nicht noch zusätzlich an einer unverschämten Berichterstattung reiben.
Claus Klebers Krieg gegen Russland
Nochmals kurz zurück zu Claus Kleber: Seinen unfassbaren Auftritt, als er am Donnerstag mit einem fiktiven Krieg gegen Russland NATO-Sympathien wecken wollte, hat RThier schon kommentiert:
Guten Abend, zu Wasser und zu Luft sind heute Nacht amerikanische, deutsche und andere europäische Verbündete unterwegs nach Estland, um die russischen Verbände zurückzuschlagen, die sich dort wie vor einigen Jahren auf der Krim festgesetzt haben.
Dieser Totalausfall von Kleber und der gesamten Redaktion leitet über zum letzten Thema dieser Woche – dem NATO-Jahrestag.
NATO-Jahrestag: Geschichtsklitterung und schlechte Stimmung
An der Berichterstattung zum 70. Jahrestag der NATO sind in dieser Woche vor allem zwei Aspekte aufgefallen. Zum einen die erwartungsgemäße Geschichtsklitterung im Zusammenhang mit den beim "Jubiläum" unvermeidlichen historischen Rückschauen. Zum anderen eine leichte Eintrübung des sonst aufreizend triumphalen Tenors in der Meinungsmache zur NATO.
Der letztere Punkt speist sich aus einer tiefen Verunsicherung auf transatlantischer Seite, was die Zukunft der NATO angeht. Die Süddeutsche Zeitung etwa schreibt zur Frage, "wofür steht der Klub, und wer trägt welche Last?", stellvertretend für viele Medien:
Der Streit ist so furios, dass die Jubiläumsfeier ohne die Staats- und Regierungschefs der Mitglieder abgehalten wird. Besser man lässt sie jetzt nicht aufeinander los, sie müssten die Frage sonst beantworten. Mission creep nennt man den Zustand beim Militär, die schleichende Zersetzung von Moral und Auftrag; sie ist der Anfang vom Ende.
Alte Verbrechen sollen hinter "neuen Bedrohungen" verschwinden
Zum zweiten Aspekt fiel auf, dass detaillierte Rückblicke auf die NATO-Historie, die sich höchst kritisch hätten gestalten müssen, möglichst vermieden werden sollten. Anstatt also gründliche Analysen der zahlreichen NATO-Vergehen gegen das Völkerrecht anzustellen, solle der Blick auf die "neuen Bedrohungen" gerichtet werden, wie das etwa der Spiegel praktiziert:
Im Süden werden Migration und Terrorismus mittlerweile als die eigentliche Bedrohung gesehen. Im Osten blickt man sorgenvoll auf ein Russland, das 2014 die Krim annektiert und den INF-Vertrag über das Verbot atomar bestückter Mittelstreckenwaffen gebrochen hat. Mit China ist zudem eine neue ernst zu nehmende Militärmacht erwachsen, die ihren eigenen sicherheitspolitischen Interessen etwa im Südchinesischen Meer bislang meist ungehindert nachgeht.
Wenn der Blick dennoch in die Vergangenheit gerichtet wurde, so in einer höchst verkürzenden Weise, wie es wiederum die Süddeutsche Zeitung (SZ) exemplarisch umsetzte:
Die NATO war das ausführende Instrument dieser Sicherheitsarchitektur, durch die ein Gebäude aus gemeinsamen Werten und Interessen entstand. Wer sich unter dem Schirm der NATO versammelte, bekannte sich in der Regel zu einer liberalen Werteordnung und zur Demokratie.
Dass sich unter den NATO-Mitgliedern einst auch Militärregierungen befanden, war laut SZ zweitrangig angesichts der Notwendigkeit, der Sowjetunion Paroli zu bieten. Die Zeitung gerät verzerrend ins Schwärmen: So habe "die demokratisierende Kraft der Allianz früher oder später" auch in diesen Diktaturen "gewirkt".
Einkreisung Russlands oder "Unterstützung" junger Demokratien?
Ganz im Sinne dieser mutmaßlichen Geschichtsklitterung betätigt sich auch der Spiegel, indem die NATO-Ausbreitung nach Osten als "Unterstützung" junger Demokratien bezeichnet wird:
Die nach Demokratie strebenden osteuropäischen Staaten wurden unterstützt, indem man für sie NATO-Partnerprogramme auflegte. Diese Zusammenarbeit mündete schließlich 1999 in der Aufnahme von Polen, Tschechien und Ungarn in das Bündnis, 2004 folgten Rumänien, Bulgarien, die Slowakei, Slowenien, Lettland, Estland und Litauen, 2009 Kroatien und Albanien, 2017 Montenegro.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen Jugoslawien wird vom Magazin dagegen in zwei Sätzen abgefertigt:
Militärisch griff die NATO in Konflikte um das zerfallene Jugoslawien ein. So unterstützte sie in Bosnien-Herzegowina die Vereinten Nationen mit Lufteinsätzen und führte 1999 den Kosovokrieg gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien.
Medien zur NATO: Romantisierung der Geschichte, Verzerrung der Gegenwart
Diese Verkürzung und Romantisierung der NATO-Geschichte setzt sich indirekt in der Beurteilung der Gegenwart fort. Die Behauptung, alle Welt wolle Deutschland endlich militärisch "groß sehen", wird weiter verbreitet: "Heute ist es zu einem der vordringlichsten Anliegen der NATO geworden, die Deutschen groß zu machen. Sie sollen, so sehen es die Alliierten, endlich damit aufhören, sich selbst kleinzuhalten und dafür jene militärischen Fähigkeiten entwickeln, die Deutschlands politischer und wirtschaftlicher Bedeutung entsprechen."
Da möchte auch dieBild-Zeitung nicht nachstehen, die behauptet: "Doch neben der zweifelhaften Rolle der Türkei verdirbt vor allem ein Thema die gute Stimmung bei den Feierlichkeiten: Deutschland."
Medien liefern Schützenhilfe für Sanktionspolitik
Es wäre die Aufgabe des deutschen Außenministers Heiko Maas (SPD), dieser Stimmungsmache entgegenzutreten. Doch der referiert laut Bild brav, dass Deutschland etwa eine maßgebliche Rolle bei der Truppenverlegung der NATO in die östlichen Mitgliedsstaaten spiele und in Ulm eine neue NATO-Kommandozentrale aufbaue. Solchen Äußerungen aus der Politik wird in den Medien vorgebaut – etwa durch einen Kommentar der Tagesschau, der die angesprochene "Truppenverlegung in die östlichen Mitgliedsstaaten" mit den bekannten Ressentiments gegen Russland rechtfertigen möchte.
Dieser Schützenhilfe für Sanktionspolitik haben sich in dieser Woche auch kleinere Medien angeschlossen. So schlägt die Stuttgarter Zeitung Russland wegen der "Annexion" der Krim die volle Verantwortung für das Abkühlen der Diplomatie zu. Schamlos werden diverse Konflikte verzerrt dargestellt: "In Georgien wie auch in der Ukraine sorgt der Kreml für eine kontrollierte Destabilisierung." Wenig Hoffnung muss man sich auch auf distanzierte Berichte zur NATO im Reutlinger Generalanzeiger machen. Denn der entdeckt in der NATO-Historie "eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte. Das stärkste Militärbündnis steht allen Unkenrufen zum Trotz besser da, als viele annehmen mögen. Es stellt sich den neuen Herausforderungen im Osten. (…) Die NATO hat allen Grund, 70 Jahre Schutz und Frieden in den Mitgliedsstaaten zu feiern."
Es war nicht alles schlecht
Hat man sich durch die hier zitierten Beiträge gekämpft, so tut es gut, sich mit einer Dosis Realität wieder zu grundieren. Das macht zum Beispiel diese hier präsentierte Grafik zu den NATO-Verbrechen gegen das Völkerrecht möglich. Es reicht dieser Tage auch ein Blick ins von der NATO zerrüttete Libyen, um all die Propaganda-Phrasen des Angriffs-Bündnisses augenblicklich platzen zu lassen.
Da angemessene Betrachtungen zur NATO in den großen Medien nicht aufzufinden sind, sei hier auf einige kritische Artikel zum Bündnis verwiesen. So beschreibt Wolfgang Bittner auf den NachDenkSeiten, dass "sich das Nordatlantische Verteidigungsbündnis mehr und mehr zu einem aggressiven Angriffsbündnis entwickelt hat, das – unter Missachtung ihrer Statuten – von den USA für ihre Imperialpolitik benutzt und missbraucht wird."
Trotz Propaganda: NATO verliert Zuspruch
Und Hermann Ploppa rückt auf Telepolis den Charakter der Feierlichkeiten und der begleitenden Berichterstattung ins rechte Licht:
Dass dennoch die Geburtstagsparty eher im engsten Familienkreis der Außenminister der 29 NATO-Länder stattfindet, liegt am nicht anwesenden Ehrengast. US-Präsident Trump hatte nämlich der NATO bescheinigt, sie sei obsolet, also auf Deutsch: veraltet. (…) Trotzdem wird die Reihe der Troubadoure, die dem angejahrten Burgfräulein ihre Minnelieder singen, nicht so schnell abreißen. Der Refrain dieser NATO-Lobgesänge besteht dabei aus immer denselben Narrativen, also aus zusammenhängenden Erzählungen.
Es liegt wohl auch an Beiträgen wie jenen von Bittner und Ploppa, dass sich der Ruf der NATO trotz medialer Schützenhilfe rapider verschlechtert. So sagt das Ergebnis einer aktuellen Umfrage zur NATO von YouGov, dass 2019 nur 54 Prozent der Deutschen eine Mitgliedschaft der Bundesrepublik im Verteidigungsbündnis befürworten würden. Zwei Jahre zuvor seien es noch 68 Prozent gewesen.
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