von Klaus Hartmann
Unterhalb der Latte von einem "Faschismus", den es dort zu bekämpfen gälte, ging da gar nichts. Am besten also – den Spieß umdrehen und die Geschichte auf den Kopf stellen: unsere dunkle (deutsche) Vergangenheit verpflichte uns geradezu – wieder Krieg zu führen. Klingt absurd, lief aber genauso ab.
Die NATO-Aggression war auch ein Musterbeispiel dafür, wie die Bevölkerung in einen Krieg hineingelogen wird. Das deutsche Regierungspersonal gab für den NATO-Krieg das Letzte. Außenminister Joseph Fischer verkaufte den Krieg unter der Losung "Nie wieder Auschwitz!". Deutsche Widerstandskämpfer, unter ihnen Esther Bejarano, Kurt Goldstein und Peter Gingold, wehrten sich in Zeitungsanzeigen gegen Fischers "neue Auschwitzlüge":
Wir Überlebenden von Auschwitz und anderen Massenvernichtungslagern verurteilen den Missbrauch, den Sie und andere Politiker mit den Toten von Auschwitz, mit dem von Hitlerfaschisten im Namen der deutschen Herrenmenschen vorbereiteten und begangenen Völkermord an Juden, Sinti und Roma und Slawen betreiben. Was Sie tun, ist eine aus Argumentationsnot für Ihre verhängnisvolle Politik geborene Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen Verbrechens. Weltfrieden und internationale Sicherheit werden jetzt gefährdet, indem gegen ein Gründungsmitglied der UNO Krieg geführt wird, Krieg von deutschem Boden aus. [...] Sich als Begründung für einen solchen Krieg auf Auschwitz zu berufen, ist infam.
Der frühere CIA-Agent Robert Baer kommentiert: "Als deutscher Politiker hätte er eigentlich über ein gewisses historisches Gespür verfügen sollen bezüglich solcher unsachlichen Vergleiche." Fischer aber machte weiter auf "Antifaschist" und nannte die Kriegsgegner "Weißwäscher eines neuen Faschismus".
Bundeswehrgeneral Heinz Loquai, für die OSZE in Jugoslawien unterwegs, analysierte: "Die deutsche Politik hat den Krieg gegen Jugoslawien damit gerechtfertigt, die NATO habe gegen einen an den Kosovo-Albanern sich vollziehenden Völkermord bzw. eine humanitäre Katastrophe eingreifen müssen. Die meisten Medien transportierten bzw. verstärkten diese Botschaft. Sie hat sich heute verfestigt." Er verweist auf "Die Zeit"‘: "angesichts eines drohenden Genozids im Kosovo" habe es sich‚ "bei Lichte besehen" um "einen moralisch legitimierten Krieg" gehandelt, an gleicher Stelle ist von "völkermörderischem Gemetzel" und "akutem Genozid" die Rede. Olaf Scholz, damals Generalsekretär der SPD behauptet, mit dem Militäreinsatz der Bundeswehr habe Deutschland bei der "Bekämpfung von Völkermord" geholfen.
Ludger Volmer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt: "Alle Analysen deckten sich in dem Befund, daß ohne Reaktion die Serben glauben würden, sie hätten nun freie Bahn für ihre Vertreibungs- und Vernichtungspolitik." Alle Analysen? Keineswegs – Heinz Loquai lobt in seinem Buch "Der Kosovo-Konflikt – Wege in einen vermeidbaren Krieg" die "exzellenten Berichte der deutschen Botschaft in Belgrad", doch Volmer hielt sie lieber unter Verschluss: "Die Bitte, einige Berichte auszugsweise für diese Studie zitieren zu dürfen, wurde vom Auswärtigen Amt abschlägig beschieden. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Ludger Volmer, begründete dies wie folgt: 'Die Berichterstattung der Botschaft Belgrad zum Thema Kosovo stellt immer noch eine politisch sensitive Materie dar, deren Veröffentlichung unerwünschte politische Auswirkungen haben könnte'."
Unerwünschte Auswirkungen? Die nannte man früher "Wehrkraftzersetzung" und "Defätismus". Die arbeiten dem Feind in die Hände und können daher nicht geduldet werden, früher nicht, und 1999 auch nicht: Loquai wurde wegen seiner Kritik an der deutschen Kriegsbeteiligung von Scharping abberufen, obwohl sich die OSZE für sein Verbleiben eingesetzt hatte.
Eine zentrale Rolle auf dem mit Lügen gepflasterten Weg in den Krieg spielte Kriegsminister Scharpings Behauptung, "dass schon im Dezember 1998 eine systematische Säuberung des Kosovo und die Vertreibung der Kosovo-Albaner geplant waren...". Als "Beweis" präsentierte er Anfang April 1999 auf einer Pressekonferenz den sogenannten "Hufeisenplan": Auf einer Landkarte wurden Stellungen serbischer Sicherheitskräfte so miteinander verbunden, dass die Linie die Form eines Hufeisens beschrieb, womit die "Stoßrichtung" gegen die Bevölkerung "bewiesen" sein sollte. Allerdings bewies das "Dokument" zunächst etwas anderes, nämlich die schlechten Sprachkenntnisse der Verfasser.
Der Bundeswehr-Generalinspekteur von Kirchbach behauptete, dass der Plan "Potkova" heiße, was serbisch "Hufeisen" bedeuten würde. Leider falsch: So bezeichnet man ein Hufeisen auf Kroatisch, in Bulgarien würde es "Podkova" heißen, auf Serbisch hingegen "Podkovica". Aber das merkten die Plan-Erfinder dämlicherweise nicht. Denn nach der dank Deutschland erfolgreichen Sezession Kroatiens wurde auch die bisher geltende gemeinsame Sprache "serbokroatisch" getilgt und die regionalen Dialekte zu eigenständigen "Sprachen" aufgeblasen. In Deutschland galt fortan "kroatisch" als "die Balkansprache", und so sind die deutschen "Generalplaner" eben mal Opfer ihres eigenen antiserbischen Chauvinismus geworden.
Der "Hufeisenplan" sollte angeblich vom serbischen Generalstab stammen, tatsächlich hat ihn Scharping aus Fischers Außenministerium, und dem wurde er in Sofia vom bulgarischen Geheimdienst zugespielt, wie der "Spiegel" Anfang 2000 offenbarte. Die bulgarische Regierung drängte auf NATO-Mitgliedschaft – und war offenbar daher um Gefälligkeiten bemüht. Der Öffentlichkeit vorgezeigt wurde der "Plan" naheliegenderweise nie – man musste eben fest an ihn glauben. Manche Richter urteilten eher "ungläubig" – so das Oberverwaltungsgericht Münster am 24. Februar 1999: "Für ein geheimes Programm oder einen auf serbischer Seite vorhandenen stillschweigenden Konsens, das albanische Volk zu vernichten, zu vertreiben oder sonst in der vorstehend beschriebenen extremen Weise zu verfolgen, liegen keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte vor".
Heinz Loquai: "Ich kann nur sagen, dass der Verteidigungsminister bei dem, was er über den Hufeisenplan sagt, nicht die Wahrheit sagt." Scharping besteht aber darauf: "Die militärischen Aktivitäten der NATO dienen einem politischen Ziel, nämlich die Abwendung einer humanitären Katastrophe beziehungsweise die Verhinderung ihres weiteren Anwachsens." Ganz anders der Lagebericht der OSZE-Mission vom 17. März 1999, also eine Woche vor Kriegsbeginn, in dem es hieß: "Es gibt zur Zeit keine so genannte humanitäre Katastrophe, und eine solche ist auch nicht zu erwarten, wenn die Hilfsmaßnahmen fortgesetzt werden."
Und die Erwiderung Loquais: "Zur Rechtfertigung des Krieges gegen Jugoslawien behaupteten deutsche Politiker, schon Mitte März 1999 hätten jugoslawische Truppen eine Großoffensive im Kosovo begonnen. Auch die Medien berichteten einige Tage vor Beginn des Krieges darüber. Welche Lage herrschte nun tatsächlich wenige Tage vor Kriegsbeginn im Kosovo? Die OSZE, die mit ca. 1.400 internationalen Beobachtern vor Ort in der Provinz war, fasste ihre Erkenntnisse für den 17. und 18. März 1999 wie folgt zusammengefasst: 'Die Lage ist über die ganze Provinz hinweg angespannt, aber ruhig.' Von einer jugoslawischen Großoffensive hatten offenbar auch die Nachrichtenexperten des deutschen Verteidigungsministeriums nichts bemerkt. Am 22. März, also zwei Tage vor Beginn des Luftkrieges gegen Jugoslawien, stellen die Nachrichtenexperten u.a. fest: 'Entgegen Medienberichten sei derzeit weiterhin keine Großoffensive jugoslawischer Sicherheitskräfte in Kosovo erkennbar'."
Der Film von Jo Angerer und Mathias Werth "Es begann mit einer Lüge", ausgestrahlt am 8. Februar 2001 in der ARD, trägt den Untertitel "Wie die NATO im Krieg um Kosovo Tatsachen verfälschte und Fakten erfand". Darin wird Scharping (vom 27. März 1999) zitiert: "Wir wären ja auch niemals zu militärischen Maßnahmen geschritten, wenn es nicht diese humanitäre Katastrophe im Kosovo gäbe mit 250.000 Flüchtlingen innerhalb des Kosovo, weit über 400.000 Flüchtlingen insgesamt, und einer zurzeit nicht zählbaren Zahl von Toten."
Loquai setzt den Legenden entgegen: "Faktum ist, dass in keinem der Berichte der OSZE oder der Experten des militärischen Nachrichtenwesens von einer derartigen Situation die Rede ist. Noch am 22. März 1999, d. h. zwei Tage vor Kriegsbeginn, heißt es in einer Lageanalyse des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr: "Tendenzen zu ethnischen Säuberungen sind weiterhin nicht zu erkennen." Drei Tage vorher hatte das Auswärtige Amt festgestellt: "Von Flucht, Vertreibung und Zerstörung im Kosovo sind alle dort lebenden Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen."
Die Friedensforscher Prof. Dr. Dieter Lutz und Dr. Reinhard Mutz vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg stellen zur NATO-Unterstützung für die albanische UÇK fest: "Die NATO aber hat sich... im Kosovo-Konflikt sehenden Auges zum Instrument einer auch mit den Mitteln von Terror und Mord nach Unabhängigkeit und Macht strebenden UÇK gemacht, zumindest aber machen lassen." Und sie nennen die Stichworte "Massaker von Rogova", "Massaker von Račak", "KZ von Pristina" oder auch den "Hufeisenplan" als Beispiele für die gezielte Täuschung der Bevölkerung in Deutschland.
In "Es begann mit einer Lüge" heißt es: "Bilder von Massengräbern zum Beispiel standen der NATO nicht zur Verfügung." Was tun? Die "Panorama"-Sendung vom 18. Mai 2000 zitiert aus Scharpings "Kriegstagebuch": "Es ist abscheulich. Diese Lumpen und Verbrecher bringen wahllos Menschen um, rauben ihre Opfer aus, vertreiben sie oder vergewaltigen die Frauen. Umso unverantwortlicher, dass einige öffentlich immer wieder einen Stopp oder eine Pause der Luftangriffe fordern." Zum "Beweis" zeigt er Bilder von einem "Massaker" von Rugovo, Ende Januar 1999: 23 Tote Albaner, nebeneinander: "Auf dem Flug zum NATO-Gipfel in Washington hatten mir Mitarbeiter die Bilder von getöteten Kosovo-Albanern gezeigt. Beim Anschauen der Fotos Übelkeit. Ist Entsetzen steigerbar? Später bitte ich meine Mitarbeiter, die Bilder für eine der Pressekonferenzen vorzubereiten. (…) Wir haben sehr gut recherchiert und uns Bildmaterial besorgt, das OSZE-Mitarbeiter am Morgen gemacht haben zwischen sieben und acht Uhr."
"Panorama" weiter: "Fernsehbilder von genau diesem Morgen. Tatsächlich: ein OSZE-Mann, mit grüner Jacke, Henning Hensch, ein deutscher Polizeibeamter, erster internationaler Ermittler vor Ort." Doch der Fotograf widerspricht dem Kriegsminister: "Es war nicht so. Die Leichen haben da zwar gelegen, aber sie sind dort hingebracht worden von den serbischen Sicherheitsbehörden, nachdem die eigentliche Tatortaufnahme – und das hängt wieder zusammen mit diesem Ermittlungsrichter – abgeschlossen war, nachdem beschlossen war: wir bringen die Leichen jetzt weg." "Der Beweis durch Fernsehbilder: Zuerst liegen die Leichen verteilt im Ort, wie nach einem Gefecht. Keine Zivilisten, sondern UÇK-Kämpfer. Nach diesen Aufnahmen dann werden die Leichen zusammengetragen und fotografiert. Und genau diese Fotos hält Minister Scharping für Beweise eines Massakers." Loquai: "Also zu einem Massaker hat es eigentlich der deutsche Verteidigungsminister dann interpretiert."
Im Mai 1999 wusste Scharping, "dass im Dorf Izbica bis zu 200 Personen ermordet und die Leichen verscharrt worden sein sollten ... Bald darauf hatten wir Bilder zur Verfügung, die eindeutig frische Grabfelder in Izbica und auch im Nachbarort Krasnika zeigten." Nach Kriegsende fanden UN-Ermittler an den bezeichneten Orten – keine Leichen. Scharpings kongenialer Partner, der NATO-Sprecher Jamie Shea, wusste von "einem der größten Massengräber im Kosovo" in Ljubenić bei Peć. Dort hätten serbische Streitkräfte in aller Eile 350 Leichen vergraben. UN-Ermittler inspizierten den Ort und fanden sieben Leichen. Die UÇK-Propaganda behauptete, dass in einem riesigen Massengrab in der Trepča-Mine 6.000 Kosovo-Albaner ihr Leben verloren hätten. Nach dem Krieg fanden UN-Ermittler nicht die Spur eines einzigen Opfers. Angeblich massakrierte kosovo-albanische Intellektuelle traten 14 Tage nach ihrem vermeintlichen Lebensende quicklebendig in Berlin bei einer Pressekonferenz auf.
Zwecklügen für die Rechtfertigung des Krieges, Kriegszweck-Lügen ohne Zahl. Scharping, der es darin zur traurigen Meisterschaft brachte, wurde dafür mit dem Schmähtitel "der irre Rudi vom serbischen Fötengrill" verspottet. Hintergrund ist seine abenteuerliche Schilderung am 22. April 1999 im deutschen Fernsehen, dass "ermordeten Schwangeren der Bauch aufgeschlitzt wird und der Fötus erst gegrillt und dann in den Bauch zurückgelegt wird." Die Serben hätten "mit abgeschlagenen Köpfen von Kindern Fußball gespielt", und dann fantasierte Scharping auch von einem "Konzentrationslager in Pristina".
Im erwähnten Film "Es begann mit einer Lüge" heißt es: "Pristina, die Hauptstadt des Kosovo, war Schauplatz einer perfiden Propagandageschichte: Im Mittelpunkt stand das Fußballstadion." Scharping (am 28. März 1999): "Wenn ich höre, dass im Norden von Pristina ein Konzentrationslager eingerichtet wird …" Und damit es niemand überhört: "Ich sage bewusst KZ". Davon fanden weder Aufklärungsdrohnen eine Spur noch der im Filmbeitrag befragte kosovo-albanische Politiker Shaban Kelmendi, der von seinem Haus direkt auf dieses Stadion blicken konnte, und "keinen einzigen Gefangenen oder eine Geisel" gesehen hat.
General a. D. Heinz Loquai, OSZE-Beobachter zu dieser Scharping-Erfindung: "Hier muss ich mich wirklich beherrschen, weil der Vergleich mit Auschwitz und der Situation im Kosovo eine ungeheuerliche Behauptung ist. Man muss sich als Deutscher schämen, dass deutsche Minister so etwas getan haben, denn ein normaler Mensch, ein normaler Deutscher, wird vor Gericht zitiert, wenn er in derartigem Ausmaße Auschwitz verharmlost. Und dass ein deutscher Minister von KZs im Kosovo sprach, ist auf der gleichen Linie … ich finde es im Grunde genommen ungeheuerlich, dass gerade Deutsche diese Vergleiche gewählt haben."
Abschließend muss der Autor dieses Beitrags einräumen, dass die in der Überschrift (Münchhausen 2.0) gezogene Parallele zu Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen nicht ganz passend ist. Erstens war der historische "Lügenbaron" ein echter Adliger, während Scharping lediglich mit Kristina Gräfin Pilati von Thassul zu Daxberg in einem Pool plantschte, was "schöne" Bilder für die Klatschpresse hergab; diese Bilder des "Turtelpaares" waren dann allemal ein größerer "Aufreger" als Scharpings Lügen und der verfassungswidrige Krieg. Als verbindend könnte man sehen, dass auch Münchhausen im Krieg war, doch während Scharping kämpfen ließ, kämpfte der Baron selbst, wurde Leutnant und Rittmeister. Scharpings Krieg ging gegen einen Verbündeten Russlands, Münchhausen kämpfte im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg und im Russisch-Schwedischen Krieg auf der russischen Seite. Aber die Hauptsache: Baron Münchhausen hatte bei seinen Lügen keine Menschen auf dem Gewissen, "unsere" heutigen Lügner hingegen Tausende.
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Der Autor ist Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes, Präsident der Weltunion der Freidenker, und Co-Vorsitzender des Internationalen Komitees Slobodan Milošević(gemeinsam mit Ramsey Clark, USA, und Sergej Barburin, Russische Föderation)