Ukraine vor der Wahl: Ein lachender Dritter?

Am 31. März sind in der Ukraine Präsidentschaftswahlen. Die Menschen sind verarmt, der Krieg ist nicht beendet, während Korruption und Oligarchen weiter florieren. Wer kann die Marschroute des Landes aus der Sackgasse manövrieren? Die Lage ist ernster denn je!

von Anastasija Bojko

Er ist 80 Zentimeter lang, der Wahlzettel. 39 Präsidentschaftskandidaten wollen die Ukraine in eine lichte Zukunft führen. Manche Wahlprogramme sind dick, manche dünn, doch eins haben sie gemeinsam: die unerschütterliche Überzeugung der Kandidaten, den Krieg im Osten des Landes siegreich zu beenden, die Krim "heim in die Ukraine" zu holen, das Leben der Menschen substantiell zu verbessern. In der ukrainischen Wählerschaft wächst daher die große Skepsis allen Kandidaten gegenüber. Die sakramentale Frage heutiger Tage im Land lautet: "Wen soll ich wählen?"

Die Gründe für Zweifel an den Wahlversprechungen sind offensichtlich: In den vergangenen fünf Jahren wurde der Krieg im Osten nicht beendet, obwohl ihn der amtierende Präsident Petro Poroschenko innerhalb von Stunden triumphal durchziehen wollte. Das rapide gesunkene Lebensniveau der Ukrainer macht keine Anstalten, sich in eine andere Richtung zu bewegen. Der für schwache Wirtschaften so entscheidende Wechselkurs zum Dollar sprang von 8 Griwna im Jahr 2013 auf heute 27. Daher wird die vom Establishment groß gefeierte Visafreiheit für die Länder der Europäischen Union durch die sich verbreitende Armut konterkariert: Man hat das Recht, auf Malle seinen Urlaub zu verbringen, die Moneten reichen aber nicht aus. Besagter Wechselkurs hat auch direkte Auswirkung auf die alltäglichen Preise im Inland: Mit dem fallenden Griwna-Kurs verteuert sich alles ziemlich kongruent.

Der ständig am Rande der Zahlungsunfähigkeit balancierende Staat ist gezwungen, bei den auswärtigen Geldgebern Anleihen zu machen – inzwischen Dutzende von Milliarden Dollar. Die Finanziers (exemplarisch der IWF) stellen aber für ihre Wohltaten Bedingungen, unter anderem den Gaspreis betreffend. Dadurch verteuerte sich Erdgas für den privaten Endverbraucher innerhalb von fünf Jahren um das zwölffache. Im Mai 2019, also nach der Wahl, ist eine neue Preiserhöhung angekündigt. In diesem Winter bekamen Mieter monatliche Heizkostenabrechnungen, die die Löhne bis zur Hälfte auffraßen und Durchschnittsrenten bei weitem überstiegen. Da Russland in der Ukraine als Aggressor gebrandmarkt ist, wurde eine ziemlich ideologiebehaftete Lösung für den Erdgaseinkauf gefunden: Man kauft russisches Gas nicht bei Russen, sondern lässt es zuerst in die Slowakei, nach Ungarn und Polen transportieren und kauft erst dort "slowakisches", "ungarisches" und "polnisches" Gas.

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Viele Bürger haben kein Verständnis für solche Kunstgriffe, die den Verbrauchern das Geld direkt aus der Tasche ziehen. Sie weisen darauf hin, dass viele andere Waren ohne jegliche Probleme die russisch-ukrainische Grenze passieren und die Handelsbilanz dieser "sich bekriegenden" Staaten mehrere Milliarden Dollar ausmacht. Deshalb vermuten sie in diesen neuartigen "Gas-Schemen" die große Korruptions-Komponente.

Korruption ist das Wort, das die derzeitige Präsidentschaftswahlkampagne prägt. Vor kurzem veröffentlichten ukrainische Journalisten Dokumente, die eindeutig belegen, dass der staatliche Waffenhandelskonzern "Ukroboronprom" die für die ukrainische Armee nötigen Ersatzteile beim russischen Feind kauft. Das werteten einige Ukrainer als besondere ukrainische Schläue und Gerissenheit: Mit russischen Waffen die Russen bekämpfen.

Viel weniger aber begeisterte, dass die Staatsdiener, darunter auch Intimfreunde des Präsidenten Poroschenko, diese Ersatzteile an die Armee über Strohfirmen zum Vierfachen des Einkaufspreises lieferten und keine geringen Margen in die eigene Tasche steckten.

Daraufhin haben ukrainische Nationalisten, die 2014 einen Stoßtrupp beim Aufstand gegen den damaligen Präsidenten Janukowytsch gebildet hatten und die viele Jahre die Politik Poroschenkos mittrugen, begonnen, Poroschenko regelrecht zu verfolgen. Ungünstigerweise hatte er irgendwann einmal mit einem Anflug von Pathos versprochen, allen, die die Armee beklauen, "die Hände abzuhacken". Deshalb begrüßen jetzt überall Vertreter der rechts-nationalen Partei "Nationaler Korpus" ihren Präsidenten mit Plakaten und Rufen wie "Wo sind die abgehackten Hände, Herr Präsident?".

Mit diesen Händen ist es eine leidige Sache: Eine der in dieses korrupte Verfahren involvierten Strohfirmen ist eine Kiewer Werft, die Poroschenko selbst gehört. Vielleicht brachten deshalb gewissenhafte Bürgerinnen und Bürger eine Woche vor der Wahl Grabkränze zur Präsidentschaftsadminstration – als kleine Volksprognose für die politischen Perspektiven des Amtsinhabers.

Aber politisch ist der quicklebendige Petro Poroschenko noch lange nicht tot. Trotz alledem gilt er als einer der aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten. Obwohl er in den Umfragen (die oft gekauft sind und kaum die reellen Wünsche der Bevölkerung widerspiegeln) mal den zweiten, mal den dritten Platz belegt, meinen viele sogenannte "Durchschnitts"-Bürger und (oft auch von den Parteien gut bezahlte) "Experten", dass das alte Staatsoberhaupt auch das neue sein wird.

Diese Ansicht resultiert aus der Tatsache, dass man in den letzten Monaten und Wochen eine für die, schon immer nicht ganz transparente, ukrainische Demokratie nie dagewesene Kampagne für Poroschenko führt. Diese beinhaltet massive Propaganda auf allen Poroschenko persönlich gehörenden oder mit der Administration des Präsidenten "liierten" Fernsehkanälen, gleichzeitig auch eine Schmutzkampagne gegen seine nächsten Konkurrenten und ein ominöses Sammeln von persönlichen Wählerdaten. Aber auch der banale Aufkauf der Stimmen verarmter Menschen gehört dazu, wie man in der Ukraine sagt, "für Buchweizen" – Bürger wurden oft für ihr "richtiges" Wahlverhalten mit einem Kilo Buchweizen belohnt.

Der Kampf um den Präsidentschaftsposten wurde von Poroschenko generalstabsmäßig vorbereitet. Unter drei Dutzend Kandidaten befinden sich mehrere sogenannte "technische Kandidaten" des heutigen Präsidenten. Einer von ihnen heißt Jurij Wolodymyrowytsch Tymoschenko, ein Nichts in der ukrainischen politischen Landschaft. Woher die mehr als umgerechnet 80.000 Euro stammen, die dieser ehemalige Verkäufer und LKW-Fahrer für die Kandidatenregistrierung locker machte, bleibt bis heute ein Rätsel. Aber für Poroschenko ist er sehr nützlich: Da er fast genauso heißt wie Poroschenkos Herausforderin Julija Tymoschenko, ist zu erwarten, dass einige ältere Bürgerinnen und Bürger in den schlecht beleuchteten Wahllokalen und mit kaputten Brillen fälschlicherweise ein Kreuz bei dem männlichen J. W. Tymoschenko setzen. Diese mickrigen Prozentchen können im Votum am 31. März entscheidend werden.

Poroschenko scheute keine Ausgaben, um so viel "technische Kandidaten" wie möglich zu registrieren. In den Umfragen liegen viele von ihnen bei 0,0 Prozent. Der Sinn der "Geldverschwendung" liegt darin, dass jeder, auch der letzte Kandidat, seine Vertreter in die Wahlkommissionen schicken darf, die dort, "um den Geldgeber vereint", die Fälschung der Wahlen immens erleichtern werden.

Vermutlich um diese erschlichenen Prozente wird es auch nach der Wahl gehen. Da die Mitbewerber einander ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern werden, werden die Resultate sicherlich nicht ohne weiteres anerkannt. Daher ist auch eine blutige Austragung der Differenzen nicht ausgeschlossen.

Der Hauptfavorit des Präsidentschaftswettbewerbs ist seit Monaten ein gewisser Wolodymyr Selenskyj. Die von den sinnentleerten Worten der "professionellen" Politiker ermüdeten Wähler setzen auf diesen Schauspieler und Kabarettisten, der sich mit der (recht bitteren) Komödie "Diener des Vokes" einen Namen gemacht hat – als einfacher Lehrer, der rein zufällig zum Präsidenten der Ukraine geworden ist. Jetzt will er es tatsächlich wissen! Er hat gar kein Programm, hinter ihm steht eine eher "papierene" Partei. Aber das Volk liebt ihn, und der italienische Komiker Beppe Grillo hat mit seiner "5-Sterne-Bewegung" bewiesen, dass man auch als Kabarettist Wahlen gewinnen kann.

Also, Wolodymyr Selenskyj, ein durchaus sympathischer Mann mit guten Aussichten auf Erfolg und nur einem Manko: Bis jetzt hat er nicht überzeugend dargelegt, dass er eine Vorstellung davon hat, was er mit der gewonnenen Wahl anstellen will.

Oh doch, einen Programmpunkt hat er. Einmal sagte er: "Der Präsident der Ukraine sollte ein Mensch mit Anstand sein. Punkt."