von Zlatko Percinic
"Wir haben gewonnen und packen unsere Koffer", so könnte man die neue Gesetzesvorlage zum Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan umschreiben. Die Initianten, die Senatoren Rand Paul (Republikaner aus Kentucky) und Tom Udall (Demokrat aus New Mexico), sprechen dabei durchaus ein gewaltiges Problem an: Wann ist die Zeit für einen Abzug von Soldaten aus einem Kriegsgebiet gekommen?
Senator Udall bringt es mit seiner Erklärung auf den Punkt:
Bald werden US-Angehörige der Streitkräfte in Afghanistan stationiert, um in einem Krieg zu kämpfen, der noch vor ihrer Geburt anfing. Während wir diesem Wendepunkt entgegenblicken, ist es endlich an der Zeit, unsere Herangehensweise zum längsten Krieg in der Geschichte unseres Landes zu ändern.
Das ist ein wichtiger Aspekt, gerade für eine Freiwilligenmiliz wie die der Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn nicht klar ist, wofür man überhaupt in den Krieg zieht und sein Leben riskiert, wird es schwierig, überhaupt genügend qualifizierte Freiwillige zu finden. Das einschneidende Ereignis, die Anschläge des 11. September 2001, ist für die heute achtzehnjährigen Soldatinnen und Soldaten ein historisches Ereignis aus den Geschichtsbüchern, zu dem sie keine emotionale Erinnerung oder Bindung haben.
Den offiziellen rechtlichen Rahmen für den US-Einmarsch nach Afghanistan bot das am 18. September 2001 verabschiedete Gesetz (Public Law 107-40 oder auch schlicht AUMF-Gesetz genannt), wonach "der Präsident autorisiert ist, sämtliche notwendige und geeignete Gewalt gegen jene Nationen, Organisationen oder Personen anzuwenden, die er (der Präsident/Anm.) für die geplanten, autorisierten, begangenen oder unterstützen Terroranschläge vom 11. September 2001 bestimmt." Das ist eine ziemlich breite Machtbefugnis, die der Kongress dem US-Präsidenten 2001 erteilt und seitdem nie wieder entzogen hat.
Nun wollen aber Rand Paul und Tom Udall genau diese Machtbefugnis beenden, nachdem sie zuvor den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan erwirkt haben. Laut dem Gesetzesentwurf "American Forces Going Home After Noble Service Act", oder schlicht "The AFGHAN Service Act 2019", soll spätestens 45 Tage nachdem dieser Entwurf vom Kongress angenommen und von Präsident Donald Trump unterzeichnet wurde, ein Plan für einen "ordentlichen Truppenabzug" vorgestellt werden. Und spätestens ein Jahr nach der Annahme des neuen Gesetzes sollen alle Truppen aus dem zentralasiatischen Land abgezogen sein.
Seit der Invasion Afghanistans durch die USA am 7. Oktober 2001, nur 26 Tage nach den Anschlägen von New York City, waren "mehr als 3.002.635 Männer und Frauen der Streitkräfte der Vereinigten Staaten" am US-geführten "Globalen Krieg gegen den Terror" beteiligt. Über eine Million Soldatinnen und Solden haben mehr als einen Einsatz im Kriegsgebiet hinter sich. Deshalb möchten Paul und Udall einen "Bonus" von 2.500 US-Dollar für alle "Amerikaner, die in einer Zeit des Krieges ihrem Land ehrenhaft und mit Auszeichnung freiwillig gedient haben", erreichen.
Dieser Bonus würde einmalige Kosten von etwa sieben Milliarden US-Dollar erzeugen, schreibt der Senator aus Kentucky. Das wäre aber immer noch eine Ersparnis von "über 83 Prozent gegenüber den gegenwärtigen jährlichen Kosten", die Washington für den Krieg ausgibt. "Diese 51 Milliarden US-Dollar können für inländische Prioritäten umgeleitet werden", heißt es weiter.
Normalerweise entscheidet die Kapitulation einer Seite über die Frage von Sieg oder Niederlage. Wie beendet man aber einen Krieg ohne eine solche Kapitulation? In Afghanistan sind die Taliban so stark wie nie zuvor und denken nicht im Traum daran, sich den westlichen Besatzungstruppen geschlagen zu geben. Doch ohne einen wie auch immer formulierten Sieg werden die USA die demütigende Schmach einer Niederlage ebenso wenig annehmen. Eine Niederlage, die Washington in den vergangenen 17 Jahren über zwei Billionen US-Dollar und allein in Afghanistan mehr als 2.300 Todesopfer und über 20.000 Verletzte gekostet hat, wie Rand Paul festhält.
Um trotzdem einen Sieg deklarieren zu können, auch wenn er nur symbolischer Natur ist, wird er im "The AFGHAN Service Act" einfach gesetzlich festgehalten. Demnach haben die Vereinigten Staaten von Amerika die eigentliche Aufgabe, die mit dem AUMF-Gesetz vom 18. September 2001 formuliert wurde, schon lange erfüllt und somit auch einen Sieg davongetragen: Die USA haben Osama bin Laden 2011 in Pakistan getötet und "im November 2009 gab es weniger als 100 Al-Kaida Mitglieder in Afghanistan". Außerdem hatte das Verteidigungsministerium im Juni 2018 selbst behauptet, dass sich "die Gefahr von Al-Kaida für die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten und Partner verringert hat und die wenigen verbliebenen Al-Kaida-Kernmitglieder auf ihr eigenes Überleben fokussiert sind".
Dem widerspricht der Bericht des US-Geheimdienstdirektors Daniel Coats vom 29. Januar 2019, der davon spricht, dass die Al-Kaida-Führung die "globale Kommandostruktur stärkt und weiterhin zu Angriffen auf den Westen aufruft". Selbst die Taliban haben in einem Interview mit NBC News gesagt, dass zwischen 2.000 und 3.000 "nicht-afghanische Kämpfer" in ihren Reihen operieren. Ob und wieviel davon tatsächlich Al-Kaida-Mitglieder sind, ist nicht klar. Die Vereinten Nationen gehen hingegen von 4.000 IS-Kämpfern aus, die in Afghanistan einige Bezirke unter ihre Kontrolle gebracht haben.
Ob sich dieser Gesetzesentwurf der beiden Senatoren im Kongress durchsetzen kann, ist fraglich. Es gibt gerade von Seiten der Militärs kein Interesse an einem Rückzug aus Afghanistan, solange man nicht zumindest eine Art Friedensabkommen mit den Taliban geschlossen hat und die US-amerikanische Investition von Blut und Geld wenigstens dieses Erbe hinterlassen kann. Diese Sichtweise findet durchaus auch eine breite Unterstützung im Kongress, wo man sich genauso wie die Militärs um das Ansehen der USA sorgt.
Aus diesem Grund konnte sich bereits Barack Obama 2014 nicht mit seinen Plänen für einen Rückzug durchsetzen, und gab stattdessen dem Drängen seiner Militärs nach. Nimmt man Syrien als Beispiel, dann geht auch Donald Trump denselben Weg wie sein Vorgänger Obama, da er es auch nicht schafft, sich gegen die Kriegsfalken seiner Regierung durchzusetzen. Vor allem aber dürfte die in der Gesetzesvorlage von Paul und Udall enthaltene Beendigung des Allzweckmittels (das AUMF-Gesetz) für die US-Kriege seit 2001 die größte Hürde darstellen, um eine Mehrheit für ihren Entwurf zusammenzubekommen.
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