von Klaus Hartmann
Ein gefaktes Massaker und ein "Vertrag", der in Wirklichkeit ein Diktat darstellte, waren die sorgfältig vorbereiteten und für die Öffentlichkeit zurechtgemachten Kriegsgründe. Dass die Wahrheit im (und vor dem) Krieg das erste Opfer ist, wurde wiederum glänzend unter Beweis gestellt.
Über den letzten Akt der Kriegsvorbereitung berichtete die New York Times am 22. März 1999, zwei Tage, bevor die Bomben fielen: "Die Clinton-Administration entsandte heute einen Sonderbeauftragten, Richard C. Holbrooke, zu einem Treffen mit Slobodan Milošević, das als 'letzte Chance' bezeichnet wurde, um den jugoslawischen Führer davon zu überzeugen, ein Friedensabkommen für den Kosovo zu akzeptieren und Bombenangriffe der NATO zu vermeiden. Außenministerin Madeleine K. Albright sagte, sie schicke den Gesandten, um Herrn Milošević eine 'harte Wahl' zu präsentieren: zustimmen oder mit NATO-Luftangriffen konfrontiert werden“.
Eine "letzte Chance" bekommt, wer zuvor eine oder mehrere hat verstreichen lassen, und ihre Gewährung soll von der unendlichen Geduld und reinen Großherzigkeit derjenigen zeugen, die diese Chance gewähren. Zumindest soll es das Publikum glauben oder so verstehen, die "letzte Chance" ist das Deutungsmuster, das man ihm nahelegt. Neuerdings wird das "Framing" genannt, ein Wort, das dank der ARD eine sagenhafte Karriere hingelegt hat.
Der Weg zur "letzten Chance" führte über 45 Leichen nahe des Dorfes Račak im Kosovo, von der UÇK "zusammengetragene" eigene Kämpfer in Zivilkleidung. Die UÇK wurde im Westen euphemistisch "Befreiungsarmee des Kosovo" genannt, zumindest seit sie in Washington nicht mehr als Terrororganisation gelistet wurde – ein Erfolg deutscher Außenpolitik – doch dazu später. Die US-Außenministerin hatte auch so ihre Erfolge, z. B. den, einen "verdienten" CIA-Mann an der Spitze der OSZE-Verification-Mission einzusetzen. "Der US-Botschafter William Walker inszenierte das angebliche Massaker an friedlichen Zivilisten in Račak, das als letzter Vorwand für den barbarischen, völkerrechtswidrigen NATO-Überfall unter bundesdeutscher Beteiligung diente", so Ralph Hartmann, letzter Botschafter der DDR in Jugoslawien. Willi Wimmer (CDU), damals Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE: "Beim Jugoslawien-Krieg hatte man seitens der NATO noch den schändlichen Umweg über die Toten von Račak eingelegt, die man unbedingt durch den verhängnisvollen amerikanischen OSZE-Repräsentanten William Walker in Priština den Serben in die Schuhe schieben wollte."
Das sogenannte Massaker kam nicht überraschend, zumindest nicht für jeden. Die New York Times vom 19.01.1999 berichtete von einem Treffen von Außenministerin Albright mit engsten Vertrauten und Beratern am 15.01. Dort kündigte sie mit hellseherischen Fähigkeiten ein bevorstehendes "Schlüsselereignis" an, einen "entscheidenden Moment", der die US-Politik verändern würde. Und sie behielt Recht, am 16.01.1999 war es soweit. Ihr Special Agent William Walker erkannte auf den ersten Blick ein "Massaker", in Szene gesetzt von Albrights nützlichen UÇK-Idioten, "just in time". Praktischerweise hatte Deutschland zu diesem Zeitpunkt die EU-Ratspräsidentschaft inne, daher konnte ihr Höfling Joschka Fischer den gerichtsmedizinischen Bericht bis nach der Aggression unter Verschluss halten.
Als "vorletzte Chance", die Bombardierung zu verhindern, hätte sich Jugoslawien bei den "Verhandlungen" im französischen Schloss Rambouillet den vorgelegten "Bedingungen" unterwerfen sollen. Denn am 15.02.1999 berichtete die New York Times, Albright habe dem serbischen Präsidenten Milošević mit Luftangriffen gedroht, falls die Serben "ein Abkommen" ablehnen sollten. Formal richtete sich die Drohung an "beide Seiten", doch das war gelogen: Die Kosovo-Albaner sehnten ein NATO-Eingreifen ja geradezu herbei. Ein "Abkommen" war das in Rambouillet präsentierte Vertragswerk nur der Form halber, insofern, als dass von "beiden Seiten" eine Unterschrift gefordert wurde. Vom Inhalt her war es kein Vertrag, sondern ein Diktat – ein Ultimatum gegen Jugoslawien. "Ein Diktat" hatte schon zu Beginn des Stelldicheins in Rambouillet der österreichische EU-Unterhändler Wolfgang Petritsch erwartet.
Die serbische Seite machte eine Reihe von Vorschlägen und stimmte einer internationalen Militärtruppe zur Friedenssicherung im Kosovo zu, in Form "einer auf 5.000 bis 6.000 Mitglieder verstärkten OSZE-Mission". Heinz Loquai, Brigadegeneral der Bundeswehr und Militärberater der deutschen OSZE-Vertretung in Wien, berichtet: "Den Verifikateuren könnte auch gestattet werden, leichte Waffen zu tragen". Serbien schlug weiter vor, "für die Implementierung einen gemeinsamen Stab aus NATO und jugoslawischer Armee zu bilden. Beide Vorschläge wurden rundweg abgelehnt", so Loquai.
Wenige Stunden vor dem geplanten Verhandlungsende wurde der serbischen Seite ein Text mit dem umstrittenen Anhang ultimativ zur Unterzeichnung vorgelegt, ein weitgehend unbekannter Text, über den nie gesprochen worden war. Der russische Außenminister Awdejew distanzierte sich "von denjenigen, die Druck auf Belgrad auszuüben versuchen, um mit Gewalt die Einwilligung zur Stationierung eines Militärkontingents zu erzielen". Wenn das eigentliche Ziel der Frieden war, ist es nicht seltsam, dass die Bedingungen für die Unterzeichnung für die Serben inakzeptabel gemacht wurden? Die lauteten: "Das NATO-Personal hat zusammen mit seinen Fahrzeugen, Schiffen, Flugzeugen und Ausrüstungen freien und unbeschränkten Durchgang und ungehinderten Zugang in der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien, einschließlich des zugehörigen Luftraums und der Hoheitsgewässer. Dazu gehört unter anderem das Recht auf Feldlager, Manöver, Unterkunft und die Nutzung von Bereichen oder Einrichtungen, die für Unterstützung, Ausbildung und Betrieb erforderlich sind."
Diese ultimativen Forderungen waren härter als die Regelungen im Abkommen von Kumanovo nach der Bombardierung. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer: "Dies entspricht faktisch einem NATO-Truppenstatut für Jugoslawien insgesamt, was normalerweise nur ein Staat nach einer vollständigen Kapitulation zu unterschreiben bereit ist." Willy Wimmer nennt dies ein "NATO-Diktat über den Durchmarsch durch Jugoslawien": "Damit Belgrad dies auch richtig verstehen sollte, hatte die NATO dazu Planungen vorgelegt, die denen von Adolf Hitler gegenüber Jugoslawien aus dem Zweiten Weltkrieg bis ins Einzelne entsprochen haben. Rambouillet war – und das wissen wir heute zu genau – nur der Vorwand zum Krieg, der wenige Wochen später mit Bomben auf Belgrad folgen sollte."
Ein Jahr später erklärte Madeleine Albright in der BBC-Sendung "Die Moral-Schlacht: NATO im Krieg": "Wenn die Serben nicht zustimmen sollten und die Albaner zustimmen sollten, dann böte das einen sehr klaren Anlass für die Anwendung von Gewalt." James Rubin, Sprecher ihres Außenministeriums, machte in derselben Sendung deutlich, dass eine Zustimmung der Serben inoffiziell weder das angestrebte noch das erwartete Ergebnis war, und offenbarte so die ganze "Moral" des Westens: "Nach außen, öffentlich, mussten wir es so aussehen lassen, als ob wir eine Übereinkunft anstrebten, aber insgeheim wussten wir, dass die Chancen auf eine Zustimmung der Serben sehr gering waren." Daher mussten die Kosovo-Albaner unbedingt unterschreiben, wie im Spiegel nachträglich zu lese war: "Madeleine Albright kniete förmlich vor den UÇK-Kommandeuren, es war ein unwürdiger Anblick (...), sie wollte endlich mit den Bombardierungen beginnen, und das ging nur, wenn die Fronten klar waren: da die 'guten Albaner', dort die 'dämonischen Serben'."
Die historische Parallele zu dem erpresserischen Ultimatum Österreich-Ungarns an Serbien vom 23. Juli 1914 ist unübersehbar: Damals wollten österreichische Staatsorgane auf serbischem Territorium selbst die Sarajevo-Ermittlungen durchführen. Diesen einzigen Punkt des Ultimatums akzeptierte Serbien nicht. Diese unannehmbare Forderung war wohl von vornherein darauf ausgelegt, dass ein Krieg ausgelöst wird. Es diente damit als Vorbild für das Ultimatum von Rambouillet 85 Jahre später, mit dem die NATO-Aggression gegen Jugoslawien ausgelöst wurde.
Vor dieser "vorletzten Chance" gab es eine "vorvorletzte Chance": Es war das Holbrooke-Milošević-Abkommen, das am 13.10.1998 geschlossen wurde. Doch der Reihe nach: Die 1992 gegründete albanische paramilitärische Organisation "Befreiungsarmee des Kosovo" (UÇK) verkündete im Januar 1998 öffentlich ihr Ziel, für die Vereinigung der serbischen Provinzen Kosovo und Methojia mit Albanien zu kämpfen. Der Bundesaußenminister und vormalige Chef des Bundesnachrichtendienstes, Klaus Kinkel, hatte schon länger gefordert, "Kosovo zum internationalen Hauptthema zu machen". Nach der Konferenz zur Umsetzung des Friedensvertrages von Dayton für Bosnien-Herzegowina im Dezember 1997 auf dem Petersberg bei Bonn erklärte er, nun müsse "das internationale Scheinwerferlicht auf die Entwicklung im Kosovo gelenkt" werden. Das ließ nichts Gutes erwarten.
Die Geheimdienst-Experten Erich Schmidt-Eenboom und Klaus Eichner haben die Rolle der deutschen Geheimdienste als Geburtshelfer des kosovo-albanischen Terrorismus beleuchtet: "Seit Anfang der neunziger Jahre kooperieren und konkurrieren Bonn und Washington bei der Etablierung ihrer jeweiligen Einflusszonen im Balkan. Ihre Geheimdienste haben dabei sowohl zusammen – als auch gegeneinander gearbeitet. Nach Angaben des amerikanischen Geheimdienstexperten John Whitley wurde die verdeckte Unterstützung der Kosovarischen Rebellenarmee als gemeinsame Operation der CIA und des Bundesnachrichtendienstes geleitet. Die Aufgabe, die UÇK zu erschaffen und zu finanzieren, sei ursprünglich Deutschland zugefallen. Nach diplomatischen und geheimdienstlichen Quellen in Paris habe das Engagement der deutschen Geheimdienste im Kosovo-Konflikt im Februar 1996 begonnen. Der BND beschaffte weitgehend die Kommunikationstechnik der UÇK und bildete UÇK-Kämpfer daran aus. Auch der MAD und das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr lieferten Ausrüstungen und Waffen und organisierten die Ausbildung."
Die so trainierten und bewaffneten Terroristen besetzten im Frühjahr 1998 Verkehrs- und Kommunikationsverbindungen sowie Dörfer des Kosovo. Aus ihnen vertrieben sie die serbischen Bewohner, ebenso Sinti und Roma, und ermordeten albanische Bürger, die ihnen aufgrund ihrer Loyalität zum jugoslawischen Staat als Kollaborateure und Verräter galten. Serbische Polizisten und jugoslawische Armee gingen gegen die Terroristen vor und befreiten wieder große Gebiete, was den Westen dazu veranlasste, die "Belgrader Gewalt" anzuklagen. Im Juni 1998 traf sich der US-Gesandte Richard Holbrooke medienwirksam mit Bewaffneten der UÇK, erreichte zwar keinen Waffenstillstand, aber deren politische Anerkennung, nachdem sie noch kurz zuvor in den USA als "terroristische Organisation" bezeichnet worden waren, gegen die die Anwendung von militärischer Gewalt gerechtfertigt sei.
Im Juli 1998 hatte die UÇK, ungebremst vom Westen, fast 40% des Kosovo unter ihre Kontrolle gebracht. In dieser Situation starteten serbische Sicherheitskräfte eine Gegenoffensive und drängten die UÇK massiv zurück. Vielfach geriet die Zivilbevölkerung zwischen die Fronten. Die Resolution 1199 des UN-Sicherheitsrates beklagte die "übermäßige Anwendung von Gewalt durch die serbischen Sicherheitskräfte", sodass "über 230.000 Menschen ihre Häuser verlassen" hätten. Mit dem Holbrooke-Milošević-Abkommen und der folgenden UN-Resolution 1203 wurden eine Verifikationsmission der OSZE und eine Luftüberwachung durch die NATO beschlossen. Madeleine Albright setzte ihren geschickten Gesandten William Walker, den späteren Massaker-Erfinder, als Vorsitzenden der OSZE-Mission durch.
Brigadegeneral Heinz Loquai von der OSZE-Mission berichtete, die jugoslawische Seite habe "Ende Oktober ihre militärischen Verpflichtungen im Wesentlichen erfüllt". Die "als vertrauensbildende Maßnahme" praktizierte "Abmachung mit der serbischen Sonderpolizei", dass "Fahrzeuge der diplomatischen Beobachter die Polizei bei ihren Einsätzen begleiteten", wurde Ende November 1998 eingestellt, denn "die UÇK warnte vor der Fortsetzung dieser Praxis, da sie die Sicherheit der Diplomaten nicht garantieren könne". Den serbisch-jugoslawischen Teilrückzug nutzte die UÇK zum erneuten Vorrücken, und Ende Januar 1999 kontrollierte sie wieder dieselben Gebiete wie im Frühsommer 1998. Dies und wiederholte Mordanschläge gegen serbische Polizisten führten erneut zu Gegenaktionen serbischer Polizei- und jugoslawischer Armeeeinheiten. OSZE-Beobachter Heinz Loquai: "Doch kam es nicht zu großen Flüchtlingsbewegungen, sondern zur Rückkehr vieler Flüchtlinge, wenn die Kämpfe abgeflaut waren und die OSZE vor Ort war."
Aber Madeleine Albright und die NATO wollten den Krieg unbedingt, und führten auch in dieser Phase Regie: Ein Jahr später, am 28.03.2000, berichtete die FAZ von der Warnung "westlicher" Diplomaten an die UÇK, "dass es bei weniger als fünftausend Toten keine westliche Präsenz im Kosovo geben würde. Prompt verstärkten die Albaner ihre Angriffe auf die serbische Polizei, welche zu Vergeltungsschlägen gegen Zivilisten führen sollten. Dazu stellten sie Bilder von Massakern ins Internet und schickten Kinder vor die Kameras, welche von den Verbrechen erzählten." Der britische Verteidigungsminister George Robertson, ab 1999 Generalsekretär der NATO, sagte, "bis Račak" sei die UÇK im Kosovo für mehr Tote verantwortlich gewesen als die jugoslawischen Behörden. Machte nichts, es galt weiterhin der vom deutschen Außenminister Kinkel ausgegebene Befehl "Wie müssen Serbien in die Knie zwingen". Der Countdown zum Krieg lief weiter.
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