von Zlatko Percinic
Den Aufstieg zum British Empire verdankte Großbritannien der schieren Übermacht seiner Marine, den Militärstützpunkten und der erbarmungslosen Kolonisierung von weit entfernten Ländern. Der Reichtum dieser Länder ermöglichte es der Elite auf der britischen Insel und natürlich in den Kolonien, ein sorgloses Leben mit Adelstiteln, Ländereien und Dienern zu führen. Diesen Status als globale Supermacht musste das Vereinigte Königreich in nur wenigen Jahren abgeben. Der Zweite Weltkrieg beschleunigte die Auflösungserscheinungen, die in den Zwischenkriegsjahren ihren Anfang nahmen und Großbritannien auf den Status einer Regionalmacht reduzierten.
In einer Umfrage aus dem Jahr 2014 waren 59 Prozent der befragten Briten stolz auf ihre imperiale Vergangenheit und 34 Prozent wünschten sich das Weltreich für ihr Land zurück. Gavin Williamson, der junge (43) Verteidigungsminister Großbritanniens, scheint ähnliche Gefühle zu hegen. Seine RUSI-Rede triefte nur so vor dem Verlangen nach einer neuen Rolle und ein neues Selbstverständnis für das Königreich:
Wenn wir unsere Position auf der Welt betrachten, sollten wir uns daran erinnern, dass wir eine Nation mit einem großen Erbe sind. Eine Nation, die den Unterschied macht. Eine Nation, die groß ist. (…) In einer Zeit des 'Großmacht'-Wettstreits können wir uns nicht nur damit zufrieden geben, unseren eigenen Garten zu beschützen. Das Vereinigte Königreich ist eine globale Macht mit wahrhaft globalen Interessen. Eine Nation mit der fünftgrößten Wirtschaft auf dem Planeten. Eine Nation mit dem weltweit fünftgrößten Verteidigungsbudget und zweitgrößter Rüstungsexporteur. Und da das neue Globale Great Game auf einem globalen Spielfeld ausgetragen wird, müssen wir bereit sein, für unsere Interessen und unsere Werte weit, weit weg von Zuhause zu kämpfen.
Wer sich die Frage stellt, warum Großbritannien das tun sollte und weshalb gerade jetzt:
Britannien suchte schon immer das Risiko. Britannien stand schon immer für die tiefsitzenden Werte ein. Britannien war schon immer eine Nation, die nach außen orientiert war. (…) Und der Brexit. Der Brexit hat uns zu diesem Moment geführt. Ein großartiger Moment in unserer Geschichte. Ein Moment, wo wir unsere globale Präsenz stärken müssen, unsere Tödlichkeit erhöhen müssen und unsere Masse vergrößern.
Und Williamson denkt in der Tat in globalen Dimensionen, wenn er von den Regionen spricht, in denen die britische Armee sein sollte:
Wir werden auch unsere Kette von globalen Unterstützungseinrichtungen und Militärstützpunkten strategischer nutzen, um beständig harte und weiche Macht zu projizieren. Die Duqm-Hafeneinrichtung im Oman ist groß genug, um unsere Flugzeugträger aufzunehmen. Die Al-Minhad- und Al-Udeid-Air-Bases in den Vereinigten Arabischen Emiraten respektive Katar bieten strategisch wichtige Möglichkeiten. Unser Marinestützpunkt und unser langjähriges Marinekommando in Bahrain leisten einen wichtigen Beitrag zu unseren Aktivitäten in der Region, aber auch darüber hinaus. Weiter weg profitieren wir auch von Einrichtungen in Belize, in Brunei, in Singapur sowie unseren Stützpunkten auf Zypern, Gibraltar und der Insel Ascension. Und ich glaube, dass wir noch weitergehen müssen. (Ich) denke darüber nach, welche permanente Präsenz wir in Gebieten wie der Karibik und Asien-Pazifik brauchen, um unseren globalen Einfluss zu erweitern. Unser proaktiver Ansatz zeigt, dass wir dem nicht mit halbherzigen Maßnahmen begegnen können. Für uns ist globales Engagement keine Reflexreaktion auf das Verlassen der Europäischen Union. Es geht um permanente Präsenz.
Das ist nichts Neues in der Geschichte Großbritanniens. Nach dem selben Modell erweiterte das Königreich seinen Einflussbereich auch im 19. Jahrhundert, wo London beispielsweise mit fast allen arabischen Emiren des Persischen Golfs Abkommen schloss, um sich die Dominanz in der Region zu sichern. Dafür garantierten die Briten den Emiren Schutz vor äußeren Feinden, wie den Osmanen, Persern oder anderen arabischen Stämmen.
So ähnlich geht Verteidigungsminister Williamson auch heute vor. Um die britische Präsenz irgendwo auf der Welt zu rechtfertigen, benötigt es einen gemeinsamen Feind. Nach dem von London geschriebenen Skript soll diese Aufgabe wie schon zu Zeiten des ersten "Great Game" Russland erfüllen:
Heute ist Russland wieder im Aufwind und baut sein Militärarsenal auf und versucht, die unabhängigen Länder der ehemaligen Sowjetunion wie Georgien und die Ukraine wieder in seine Umlaufbahn zu bringen. (…) Heute sehen wir eine Welt von Einflusssphären und konkurrierende Großmächte. Wir stehen nicht nur einem Staat wie Russland gegenüber. (…) Wir und unsere Alliierten müssen abschrecken und bereit sein, uns selbst zu verteidigen. Bereit sein, die hohen Kosten für aggressives Verhalten zu zeigen. Bereit sein, unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken. Und bereit sein, da wo nötig mit militärischen und wirtschaftlichen Mitteln (hard power) unsere globalen Interessen durchzusetzen. (…) Und in der NATO müssen wir standhaft gegen Russlands Nichteinhaltung des INF-Vertrages sein. Wenn nötig (müssen wir) bereit sein, um mit der Bedrohung umzugehen, die die neuen russischen Raketensysteme darstellen können. Die Allianz muss ihre Fähigkeiten entwickeln, um mit den Provokationen umzugehen, die Russland uns entgegenbringt. Solche Aktionen müssen für Russland einen Preis haben. Noch können wir jene Länder außerhalb der NATO vergessen, die tagtäglich mit russischen Versuchen zu kämpfen haben, ihre Souveränität zu untergraben. Wir stehen bereit, unsere Freunde in der Ukraine und auf dem Balkan zu unterstützen. Diese Länder haben das Recht, ihr eigenes Schicksal zu wählen und frei von russischer Einmischung zu sein.
Dass Williamson aber genau das im Sinn hat, was er und einige andere Regierungen in der EU, USA und Kanada den Russen vorwerfen, scheint ihm nicht aufgefallen zu sein. Ganz offen spricht er von Interventionen, notfalls auch im Alleingang:
Ich weiß, dass es einige gibt, die die Kosten von Interventionen in Frage stellen. Aber es werden oft die Kosten von Nicht-Interventionen vergessen. Der Fakt, dass diese unakzeptabel hoch waren. Es wird nicht immer die Rolle von traditionellen westlichen Mächten sein, als globale Polizisten zu handeln, aber wir können auch nicht einfach vorbeilaufen, wenn andere Hilfe brauchen. Zu reden, aber nicht zu handeln, birgt das Risiko, dass unsere Nation als nichts weiter als ein Papiertiger betrachtet wird. Ich unterschätze die Herausforderungen dieser Vorgehensweise nicht. Aber wir starten aus einer Position der Stärke.
Um das alles auch in die Tat umzusetzen, will das britische Verteidigungsministerium einen "Multi-Millionen-Pfund schweren Transformations-Fonds" errichten. Mit diesem Geld sollen die Streitkräfte in sämtlichen Bereichen ausgebaut und modernisiert werden. Und wieder ist es die "Bedrohung durch den Kreml" im Atlantik, welche als Grund für zusätzliche 33 Millionen Pfund (etwa 37,6 Millionen Euro) für die Verbesserung der Anti-U-Boot-Kriegsführung angegeben wird.
Als ob das alles nicht schon genug wäre, meinte Williamson:
Und für unsere Streitkräfte ist der Himmel schlicht und ergreifend nicht die Grenze.
Damit meinte er den Aufbau eines militärischen Weltraumprogramms, das "die besten zivilen und militärischen Köpfe" zusammenbringen soll. Aber auch das reicht ihm nicht, denn "unsere Ambitionen sind noch größer".
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