von Andreas Richter
Tilo Jung, jugendlicher Journalist und Blogger, hat am Montag in einem Tweet sein Berufsverständnis offenbart und daraufhin das geerntet, was man heute gemeinhin einen "Shitstorm" nennt.
Offenbar verärgert über die Diskussion um den Sinn der geltenden Grenzwerte für Feinstaub, die durch den Offenen Brief von über 100 Lungenärzten ausgelöst wurde, twitterte Jung (mit erhobenem Zeigefinger):
Als Journalisten haben wir gelernt, Leugnern [sic!] des menschengemachten Klimawandels medial zu ignorieren, sie lächerlich zu machen und ihnen keine (gleichberechtigte) Plattform zu bieten. Das müssen wir nun auch bei den Feinstaubbelastungsleugnern schaffen!
Nochmal langsam: "Feinstaubbelastungsleugner" sollten ignoriert und lächerlich gemacht werden und es dürfe ihnen keine Plattform geboten werden. So wie "wir Journalisten" es mit den Leugnern des Klimawandels gelernt hätten.
Diese Aussagen Jungs offenbaren zweierlei: Ein zweifelhaftes Berufsverständnis und ein mindestens wenig komplexes Verständnis von Wissenschaft. Journalisten sollten - seiner Meinung nach - die Öffentlichkeit nicht über solche Debatten informieren und gar noch die Argumente beider Seiten wiedergeben, sondern möglichst die eine (ihrer Meinung nach "falsche") Seite von vornherein ignorieren und lächerlich machen. Kritik an dieser Sicht kam unter anderem vom Nordkurier, für den Jung in der Vergangenheit geschrieben hatte.
Ebenso speziell wie Jungs Verständnis von Journalismus ist sein Bild von der Wissenschaft. Bisher ist noch jedes wissenschaftliche Paradigma irgendwann von einem genaueren oder die Realität besser widerspiegelnden abgelöst worden, erst recht in den Naturwissenschaften. Gerade Journalisten sollten ebenso das anscheinend Feststehende immer wieder hinterfragen. Auch die Feinstaubdebatte verdient es, seriös und mit Argumenten bereichert und überprüft zu werden. Der Vorwurf der Ärzte, dass aus Korrelationen Kausalitäten gebastelt werden, ist nicht so einfach von der Hand zu weisen.
Tilo Jung ist nicht irgendein Journalist. Mit seinem Videoformat Jung & Naiv gilt er manchen Medienkonsumenten als alternativ. Inhaltlich ist er allerdings eher eine aufgefrischte Version des journalistischen Mainstreams. Nicht ohne Grund wurde Jung von Regierungssprecher Steffen Seibert in die Bundespressekonferenz eingeladen, wo er die Bundesregierung auch schon vor der "russischen Propaganda" von RT Deutsch in Schutz nahm.
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Wahrscheinlich darf man Tilo Jung für seinen Tweet dankbar sein. Die von ihm offenbarte Haltung gleicht der anderer bekannter Journalisten, etwa der der NDR-Moderatorin Anja Reschke, die sich kürzlich in einem Interview mit dem SRF dazu bekannte, die Bürger "erziehen" zu wollen. Man wird auch an Claas Relotius erinnert, für den das zu Erzählende feststand, bevor er die lästigen Einzelheiten dazu erfinden musste.
Leute mit einem derartigen Verständnis von Journalismus sind nicht auf der Suche nach einer oder gar "der" Wahrheit. Sie verbreiten vielmehr eine Wahrheit, die für sie bereits feststeht. Im Grunde genommen lassen sie sich eher als Propagandisten denn als Journalisten bezeichnen; vielleicht wäre die Bezeichnung Hohepriester noch treffender.
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