von Timo Kirez
Totenstille. Der SPD-Parteivorstand sitzt kreidebleich und zitternd in den Räumen des Willy-Brandt-Hauses. Draußen pfeift ein eisiger Ostwind. Der Himmel, betongrau, hängt wie eine dunkle Verwünschung über der Hauptstadt. Niemand spricht ein Wort, alle schauen betreten zur Seite. Eine Assistentin bringt Kaffee und Kekse. Andrea Nahles stippt einen Keks in ihren Kaffee und wirft ihn in Ralf Stegners Richtung. Der nasse Keks klatscht an seine Brille und rutscht langsam über sein Gesicht nach unten und plumpst auf sein Hemd. Heiko Maas kichert... oder weint, es ist nicht genau zu erkennen. Olaf Scholz schaut aus dem Fenster und träumt mit feuchten Augen von der Kanzlerkandidatur. Es ist Weihnachten. Da hat Andrea Nahles plötzlich eine Idee.
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Was wie der Beginn einer Reportage von Claas Relotius klingt, ist natürlich in Wirklichkeit pure Phantasie, so wie beim begnadeten Relotius eben. Doch die Frage drängt sich auf, wie verzweifelt eine Partei sein muss, um über die Weihnachtstage eine Social-Media-Kampagne ins Netz zu stellen, die ungefähr so unterhaltsam und sympathisch ist wie ein brennendes Waisenhaus. Wie kommt man nur auf so eine Idee? Ein erfahrener Werber würde vermutlich das Briefing hinter der Kampagne schnell dechiffrieren: Wir müssen unsere Erfolge besser kommunizieren! Gesagt, getan. Und dabei kommt dann sowas bei raus:
Mit anderen Worten, Kinder sollen zu Weihnachten keine Gedichte mehr vortragen, oder Weihnachtslieder singen, sondern SPD-Gesetzesvorhaben aufsagen. So weit ist seinerzeit noch nicht einmal die SED gegangen. Oder wie wäre es mit diesem Motiv der Kampagne:
Ist das inspiriert von Bertolt Brechts berühmter früher Ohrfeige in der Dreigroschenoper "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral"? Oder ist es ein versteckter Hinweis auf ein noch geheimes Gesetzesvorhaben der SPD, nach dem das bedingungslose Grundeinkommen nur derjenige bekommen soll, der die SPD-Gesetze auswendig kennt und aufsagen kann? Schließlich muss man sich die fette Gans auf dem Bild erstmal leisten können, was für viele Hartz IV-Empfänger auch dieses Jahr ein Ding der Unmöglichkeit bleiben wird. Wer hat uns den Braten verraten, die Sozial… Aber lassen wir das.
Auch dieses Motiv der Kampagne schimmert mit subtiler Ironie und Esprit:
Nein, liebe SPD, zu Weihnachten will niemand über Eure Gesetze reden. Wirklich nicht. "I'd rather stick my eyeballs in a hornets nest", wie der Brite hier sagen würde. Obwohl es vermutlich, pädagogisch gesehen, ein geschickter Winkelzug wäre, um die zu Weihnachten lauernden Familienstreitigkeiten zu umgehen. Ist das der wahre Hintergrund der Kampagne? Eine Maßnahme zur Förderung des Familienfriedens in Deutschland über Weihnachten? Durch Entzug. Wohl kaum.
Nein, die SPD meint es ernst. Ein schlampig zusammengebasteltes Layout mit Fotos aus einer Bilddatenbank, die dem Begriff "stereotyp" alle Ehre machen, soll uns dazu bringen, über die SPD zu sinnieren. Am Heiligabend. Mit Sprüchen, die man eher von Propaganda-Plakaten erwarten würde, als von einer Partei, die sich eine "offene, freie Gesellschaft" auf die Fahnen geschrieben hat. Besser wäre es gewesen, die SPD hätte sich an das bekannte Gedicht "Alles still!" von Theodor Fontane erinnert, und hätte einfach mal die Füsse (und Finger) still gehalten:
Alles still! Es tanzt den Reigen
Mondenstrahl in Wald und Flur,
Und darüber thront das Schweigen
Und der Winterhimmel nur.Alles still! Vergeblich lauschet
Man der Krähe heisrem Schrei.
Keiner Fichte Wipfel rauschet,
Und kein Bächlein summt vorbei.Alles still! Die Dorfeshütten
Sind wie Gräber anzusehn,
Die, von Schnee bedeckt, inmitten
Eines weiten Friedhofs stehn.Alles still! Nichts hör ich klopfen
Als mein Herze durch die Nacht -
Heiße Tränen niedertropfen
Auf die kalte Winterpracht.(Nur die SPD hör' ich klopfen,
doch denen wird nicht aufgemacht)
RT Deutsch wünscht, auch der SPD, einen guten Rutsch ins Jahr 2019!
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