Seit Jahren halten sich Gerüchte um Korruptionsvorfälle bei deutschen U-Boot- und Korvettenverkäufen an Israel, die die Justiz und Medien in Israel gleichermaßen lange beschäftigten. Im Zentrum der Vorwürfe stehen der deutsche Konzern ThyssenKrupp und einige Personen aus dem Umfeld von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Lange Zeit wurde angenommen, dass Netanjahu selbst in die Korruptionsvorfälle verwickelt war, was durch den Vorwurf seines ehemaligen Verteidigungsministers Mosche Jaalon noch genährt wurde. Jaalon sagte nach seinem Rücktritt im Jahr 2016 aus, dass er sich strikt gegen eine Erweiterung der U-Boot-Flotte ausspreche und es keinen Bedarf an neuen, atomwaffenfähigen U-Booten der Dolphin-Klasse aus Deutschland gebe, wie es Netanjahu forderte.
Nebst den U-Booten sorgte auch der Kauf von vier Korvetten für Furore. ThyssenKrupp Marine Systems, das Sorgenkind des riesigen ThyssenKrupp-Konzerns, hat den Zuschlag ohne Ausschreibung erhalten. Und das obwohl es im Vorfeld eine Ausschreibung des israelischen Verteidigungsministeriums gab, auf welche sich Schiffswerften aus Südkorea, Spanien, Italien und Israel bewarben. Die deutschen Werften machten erst gar nicht mit, da die Bundesregierung ihre Subventionen für solche Deals nach dem Zusammenbruch der "Friedensgespräche" zwischen Israel und den Palästinensern gestrichen hatte und somit das Geschäft offensichtlich als uninteressant eingestuft wurde.
Wie die israelische Tageszeitung Haaretz unter Berufung auf Insider aus dem Verteidigungsministerium berichtete, hat die Regierung die eingesammelten Angebote den Deutschen vorgelegt. Damals waren nur wenige Monate seit der Streichung der Subventionen durch die Bundesregierung vergangen und plötzlich zeigte sich Berlin wieder bereit, genau das zu tun. Und zwar mit 115 Millionen Euro, rund einem Drittel des Gesamtpreises von 450 Millionen Euro. So erhielt ThyssenKrupp Marine Systems den Zuschlag für diese vier Korvetten, obwohl das Unternehmen gar nicht bei der Ausschreibung mitgemacht hatte. Gebaut werden diese Kriegsschiffe aber von German Naval Yards Kiel, einem Traditionsunternehmen und Ausrüster der deutschen Marine, welches mittlerweile zur PRIVINVEST-Gruppe mit Sitz in Beirut, Libanon gehört.
Ein wichtiges und pikantes Detail bei dieser fragwürdigen Praxis entstand aus dem Umstand, dass am Tag der offiziellen Ausschreibung des israelischen Verteidigungsministeriums, den 22. Juli 2014, ein Mann beim Ministerium anrief und sich erkundigte, ob der Ausschreibungsprozess gestoppt wurde. Dieser Mann, David Schimron, persönlicher Anwalt von Benjamin Netanjahu und zudem noch sein Cousin, spielte eine entscheidende Rolle in den Verflechtungen rund um diese Geschäfte zwischen Deutschland und Israel.
Schimron pflegte enge Geschäftsbeziehungen zu Miki Ganor, dem "Vertreter" von ThyssenKrupp in Israel. Martin Murphy, einer der wenigen deutschen Journalisten der seit längerem zu diesem Skandal recherchiert, merkte das merkwürdige Zustandekommen dieses Mandatsgeschäfts zwischen ThyssenKrupp und Ganor in einem Artikel im Handelsblatt an:
Ungewöhnlich ist, wie die Zusammenarbeit des Ruhrkonzerns mit Ganor zustande kam. Auf Druck des obersten Marinechefs hatte ThyssenKrupp im Jahr 2009 den bestehenden Berater feuern und Ganor engagieren müssen, wie mehrere Beteiligte berichten.
Dieser oberste Marinechef ist Brigadegeneral a.D. Avriel Bar-Yosef, der zum fraglichen Zeitpunkt im Jahr 2009 Vize-Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats Israels und Direktor des außenpolitischen- und Verteidigungsausschusses der Knesset (israelisches Parlament) war. Die polizeilichen Ermittlungen im "Fall 3000", wie dieser Korruptionsfall genannt wird, haben ergeben, dass Bar-Yosef bei ThyssenKrupp Druck wegen Miki Ganor als "Vertreter" ausgeübt hatte, um so von zu erwartenden "Provisionen" zu profitieren. Außerdem wird dem ehemaligen Brigadegeneral zur Last gelegt, Schmiergelder von Michael Herzog erhalten zu haben, einem deutschen Unternehmer, der in ein Startup von Bar-Yosefs Tochter investierte und mittlerweile wegen "bandenmäßig begangenem Betrugs" angeklagt wurde.
Ein weiterer Mann, gegen den die Polizei ermittelte, aber nicht genügend Beweise für eine Anklage wegen Korruption finden konnte, ist Yitzak (Isaac) Molho. Wie David Schimron ist auch Molho ein persönlicher Anwalt von Ministerpräsident Netanjahu und fungierte als sein Emissär in diplomatischen Angelegenheiten. Molho war auch in Berlin und führte Gespräche mit der Bundesregierung über den Verkauf der U-Boote. Dass beide persönlichen Anwälte von Netanjahu Partner in einer gemeinsamen Anwaltskanzlei (Shimron, Molho, Persky Law Company) sind, zeigt, wie sehr die Anwälte hier im privaten Eigeninteresse gehandelt haben. Ihre Nähe zu Netanjahu haben sie ausgenutzt, um die Verkäufe der U-Boote und Korvetten an Israel zu forcieren, wohlwissend, dass sie vom ThyssenKrupp-"Vertreter" Miki Ganor einen Teil der "Provisionszahlungen" erhalten würden. Der Journalist Martin Murphy nannte das die "Korruptionsfalle" für ThyssenKrupp.
Und diese Zahlungen haben es in sich. Laut Ganor, der sich der Staatsanwaltschaft in Israel als Kronzeuge für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt hat, sollte David Schimron zwanzig Prozent der "Provision" erhalten. Unklar ist allerdings, ob der Anwalt bereits bei den ersten Zahlungen von ThyssenKrupp, die sich Berichten zufolge auf elf Millionen Euro belaufen sollen, mitbeteiligt war oder nicht. Für die drei neu bestellten U-Boote sollte Ganor auf jeden Fall "10 bis 40 Millionen Euro" erhalten, David Schimron hätte davon einen Anteil von 20 Prozent erhalten, so Ganor.
Das Auftragsvolumen für die drei U-Boote der Dolphin-Klasse beläuft sich auf rund 1,5 Milliarden Euro, wovon die Bundesregierung – also die deutschen Steuerzahler – laut eigener Auskunft 540 Millionen Euro übernehmen will. Zwar wären dies Verhandlungen über einen Verkauf zwischen ThyssenKrupp und der israelischen Marine, in die sich die Bundesregierung nicht einmischt, heißt es in der Antwort auf eine kleine Anfrage (Drucksache 18/13511 vom 06.09.17). Doch gleichzeitig unterzeichneten Vertreter des Kanzleramtes, Auswärtigen Amtes und Verteidigungsministerium am 19.10.17 ein sogenanntes Memorandum of Understanding (MoU), eine Absichtserklärung gegenüber der israelischen Regierung, wonach die U-Boote erst geliefert werden, "wenn sämtliche Ermittlungen eingestellt und alle Verdachtsmomente ausgeräumt seien", wie der Spiegel berichtete.
Wie oben erwähnt hat aber die israelische Polizei den "Fall 3000" nicht etwa eingestellt, sondern hat stattdessen die Korruptionsvorwürfe bestätigt und eine Anklage gegen sechs Personen empfohlen. Mit anderen Worten wäre der Verkauf laut dem geschlossenen Vertrag zwischen Deutschland und Israel hinfällig. Auf Nachfrage von RT Deutsch antwortete eine Sprecherin der Bundesregierung:
Die Ermittlungen und deren Ergebnisse werden als innere Angelegenheit Israels durch die Bundesregierung nicht bewertet. Generell ist anzumerken: Im Hinblick auf die Beschaffung von Rüstungsgütern durch Israel bei der deutschen Industrie hat sich die Bundesregierung nach sorgfältiger Abwägung zu einer finanziellen Beteiligung entschlossen, um vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem Staat Israel einen Beitrag zu dessen Schutz und Existenzsicherung zu leisten.
Auch bei ThyssenKrupp Marine Systems war niemand bereit, auf entsprechende Fragen zu antworten.
Wenn es tatsächlich so sein sollte, wie es die Bundesregierung in ihrer Antwort zumindest andeutet, dann hat Berlin nicht vor, im Sinne und Geiste des MoU vom 19.10.17 zu handeln. Statt den Vertrag mit Israel aufgrund der bestätigten Korruptionsvorfälle im unmittelbaren Umfeld von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Zusammenhang mit den Verkäufen von U-Booten und Korvetten aufzukündigen, heißt es dazu einfach lapidar, dass eben diese "Ermittlungen und deren Ergebnisse als innere Angelegenheit Israels" betrachtet und "nicht bewertet" werden. Dass aber die über 650 Millionen Euro an Steuergeldern, die Berlin für diese Verkäufe übernimmt, auch Teil dieses Korruptionsskandals sind, scheint dabei eine völlig untergeordnete Rolle zu spielen. Denn in der Kalkulation von ThyssenKrupp – oder in jedem anderen Unternehmen, das solche "Provisionen" und Kick-back-Zahlungen tätigt – sind diese Steuergelder in der Summe und vor allem der Höhe der "Provisionen" fest eingerechnet.