von Willy Wimmer
Das muss man den Bewohnern der britischen Inseln lassen. Sie bringen über eine Abstimmung die europäischen Probleme auf den Punkt. Dazu sollte man sich nur das Papier von fast sechshundert Seiten vor Augen halten, das zwischen der Tory- Regierung und Brüssel ausgehandelt worden ist. Dieses „Papier“ beleuchtet schlaglichtartig die Probleme für das Vereinigte Königreich und die restliche Europäische Union:
Großbritannien ist ein zerrissenes Land. Für kontinental-europäische Häme gibt es keinen Anlass. Denn der Rest der Europäischen Union steht wegen der EU-europäischen Kriegspolitik, Frau Merkels Migrationsentscheidung beginnend ab dem September 2015 sowie der Folgen der amerikanischen Bankenpleiten 2007 auch nicht besser da. Was ist es aber, das die Lage auf den britischen Inseln so brandgefährlich macht?
In den letzten Jahren hat sich herausgeschält, dass Großbritannien das Ergebnis des englischen Insel-Imperialismus ist. Schottland, Wales und Nordirland sind seit Jahrzehnten hin-und hergerissen zwischen Betonung einer eigentlich selbstverständlichen Eigenständigkeit und dem Verbleib in der staatsrechtlichen Formation, die der englische Teil der Inseln gegen die Schotten, Waliser und Iren in den letzten Jahrhunderten heraus gekämpft hatte. Von außen betrachtet drängt sich der Eindruck auf, dass auf den britischen Inseln sich alles auf die Notwendigkeiten der „City of London“ als dem Zentralpunkt der britischen Politik richtet.
Die politische Wasserscheide war die Brexit-Entscheidung aus dem Jahr 2016. Darüber haben sich die Soll-Bruchstellen der britischen Lage verdeutlicht. So ungeliebt von den britischen Inseln die Europäische Union auch ist oder gewesen sein mag, ihre Wirkung war heilsam und besänftigend. Für Nordirland bot sich mittels des „Karfreitag-Abkommens“ und der von der Europäischen Union garantierte Prosperität die Chance, vom endlosen Blutvergießen Abstand zu nehmen. Wales bekam aus Brüssel Subsidien ohne Ende, und Schottland über das EU-Europa die Chance, nicht nur aus London Fesseln angelegt zu sehen, was stolzes schottisches Handeln anbetraf.
Die Wirklichkeit, die durch die Brexit-Entscheidung geschaffen worden ist, macht aber deutlich, dass die blutige und krawallige Vergangenheit wieder ans Tageslicht kommt, wenn die Möglichkeiten EU-Europas bewusst ausgeschlagen werden. Soll der Bürgerkrieg in Nordirland wieder ausbrechen? Soll Wales in die Unabhängigkeit abdriften und Schottland das machen, was es mit wechselnden Mehrheiten seit Jahrhunderten auch will? Alles das wird zwar nicht beseitigt, aber dennoch über die in dem ausgehandelten Papier ausgesprochene Möglichkeit des Verbleibs des gesamten Vereinigten Königreichs in der „Europäischen Zollunion“ in seinem unblutigen Bezug gehalten.
Nichts von dem muss auf den britischen Inseln ausbrechen, was sich seit den blutigen Ereignissen auf dem Balkan, auf diesen Inseln herauskristallisiert hatte. In gewisser Weise hat der Balkan in den letzten Jahrzehnten den Preis dafür bezahlt, dass britische Diplomaten jede Friedensmöglichkeit torpediert hatten, weil sie negative Auswirkungen auf den Zusammenhalt der britischen Inseln befürchteten.
Aus der Sicht vieler Briten ist der dafür zu zahlende Preis zu hoch. Hier kollidieren zwei Grundsätze in einer fast unlösbaren Konsequenz: EU-Europa bietet dem Vereinigten Königreich die Chance, in Zukunft nicht von zentrifugalen Kräften bestimmt zu werden. Auf der anderen Seite verstößt diese Regelung über den Verbleib in der „Europäischen Zollunion“ in fast dramatischer Weise gegen den Grundsatz in den britischen, demokratischen Genen: „Keine Gesetzgebung ohne Repräsentanz“.
Das Angebot Europas ist auf Frieden gerichtet, gibt aber keine Mitsprachemöglichkeit in einer Zollunion, die über die britischen Köpfe hinweg bestimmt. Bislang bestimmten die britischen Wähler im EU-Europa mit. Wenn sie EU-Europa verlassen, ist damit Schluss - unbeschadet der zuvor nachdrücklich geschilderten Vorteile des weiteren Verbleibs in der Zollunion zur Verhinderung bürgerkriegsähnlicher Zustände da und dort auf den Inseln. Das Vereinigte Königreich ist derzeit zwischen „Baum und Borke“ gefangen. Bürgerkrieg oder Verzicht auf Mitsprache, das sind hier die Fragen.
In dem Dilemma könnte man die Briten geradezu schmoren lassen, weil sie den Johnsons dieser Welt und nicht den Camerons gefolgt sind. Davon ist dringend abzuraten, denn das britische, demokratische Dilemma trifft uns alle in der EU. Es waren die europäischen Völker, die mit großer Zustimmung das „europäische Projekt“ auf den Weg gebracht haben. Sie wollten ihre Souveränität über Zusammenarbeit wetterfest machen. Sie mussten allerdings erleben, dass ihre Repräsentanten diese Vollmacht genutzt haben, gegen den „Souverän“ vorzugehen, ihn als Konstituante abzuschaffen und „vorbestimmten Interessen der Globalindustrie und von Nicht-Regierungsorganisationen“ mit auch Hintergründen bei fremden Regierungen, die Rolle des „Souveräns zu überantworten.
Wir haben diese nicht durch Verfassung und Gesetze legitimierte Vorgehensweise bei den jeweiligen deutschen Regierungen in zwei elementaren Beispielen gesehen. Seit 1999 führt Deutschland unter Missachtung der Charta der Vereinten Nationen und der eigenen Verfassung Krieg, und ist damit eine der Hauptursachen für das menschliche Elend, in weiten Teilen der Welt.
Im September 2015 hat die deutsche Bundeskanzlerin in unbefugter Weise die deutschen Grenzen schutzlos gestellt. In der Folge sind hunderttausende Menschen unberechtigt und unkontrolliert nach Deutschland gekommen. Damit wurde der deutsche Rechtsstaat ohne Zugewinn bei Humanität regelrecht ausgehebelt. Ein irreparabler Schaden war und ist die Folge. Dies vor allem auch deshalb, weil der Deutsche Bundestag seinen staatlichen Aufgaben nicht nachgekommen ist, oder nachkommen wollte. Die Europäische Union sollte ihre politischen Lebenslügen bedenken, wenn der Brexit einen Sinn machen sollte.
Der Riss geht nicht zwischen den britischen Inseln und der EU alleine. Der Riss geht mitten durch die EU. Polen, Ungarn und andere Staaten sind den staatlichen Vorstellungen der Russischen Föderation inzwischen näher als den wildgewordenen EU-Zuchtmeistern vom Schlage Timmermanns oder Asselborn.
Fast dreißig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung müssen wir feststellen, dass es im eigenen Land durch die abgehobene Vorgehensweise „Berlins“ auch nicht anders aussieht. Für die Berliner Regierung ist „Demokratie von gestern“. Das deutsche Volk sieht das anders, so wie die Menschen auf den britischen Inseln auch: keine Gesetzgebung ohne Repräsentanz durch die Bürgerinnen und Bürger.
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