von Daniele Pozzati
Wäre Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer EU-Präsident, hieße sein Motto wohl: "Make Italy pleite again". Einen auf Englisch verfassten Gastbeitrag Krämers mit Bezug auf den andauernden Haushaltsstreit zwischen Rom und Brüssel veröffentlichte das Handelsblatt vergangene Woche unter der Schlagzeile: "Lass die Märkte die Populisten Italiens züchtigen." Der Untertitel ist selbsterklärend:
EU und EZB sollten der italienischen Regierung nicht entgegenkommen und stattdessen den Druck der Anleihemärkte auf Italien nutzen.
Man erinnert sich sofort an den EU-Kommissar Günther Oettinger. Am 29. Mai hatte Pannen-Günther für Empörung gesorgt, als er der Deutschen Welle sagte, die Italiener sollten aus den Reaktionen der Märkte lernen und keine "Populisten" von links und rechts wählen. Am 31. Mai einigten sich die "Linkspopulisten" der Fünf-Sterne-Bewegung und die "Rechtspopulisten" der Lega Nord auf die amtierende Regierungsmannschaft. Seitdem herrschen Spannungen zwischen Rom und Brüssel. Stichwort: Migrantenkrise. Stichwort: Beziehung zu Russland. Stichwort: Haushaltsentwurf.
Das Europa der Banken schlägt zurück
Anscheinend hat Krämers Aufruf zum Finanzkrieg gegen Italien die EU-Kommission bereits ermutigt. Am Freitag, dem 16. November, gab Reuters bekannt, dass die EU-Kommission nun vorhabe, am 21. November ein Strafverfahren gegen Rom einzuleiten.
In Italien könnte sich Präsident Sergio Mattarella – der italienischen Tageszeitung Il Sole 24 Ore zufolge – indes weigern, den Budgetentwurf in ein Haushaltsgesetz umzuwandeln. Mattarella hatte schon Ende Mai versucht, die Bildung der euroskeptischen Koalitionsregierung von Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung zu verhindern, und stattdessen den IWF-Mann Carlo Cottarelli mit einer Regierungsbildung beauftragt.
An Präsident Mattarella gewandt schrieb Krämer in seinem Handelsblatt-Beitrag:
Der Staatspräsident müsste also erst Neuwahlen ansetzen und dem Parlament eine moderate Regierung aufzwingen, die dann die Reformauflagen aus Brüssel akzeptiert und damit die Voraussetzungen für ein Eingreifen der EZB schafft.
Nicht umsonst nennen viele Italiener die EU "l'Europa dei banchieri" – das Europa der Banker.
Was die EU allein nicht schafft, sollen EZB und Ratingagenturen richten
Italiens Achillesferse ist offenbar seine hohe Staatsverschuldung. Steigen die Zinsen, gerät jede italienische Regierung in Schwierigkeiten. Steuern müssten erhöht werden (zum Beispiel auf Benzin und Gas), was allerdings Wahlstimmen kostet und dem wirtschaftlichen Wachstum oft im Wege steht. Bisher durfte die EZB durch den Kauf (italienischer) Staatsanleihen helfen – ein Vorgang, dessen technische Bezeichnung "Quantitative Easing" (QE) lautet. Dies wird aber Ende 2018 eingestellt. Krämer beschreibt, was (seinen Wünschen entsprechend) passieren könnte:
Da eine Vollkaskoversicherung durch die EZB fehlt, werden sie [die Investoren, Anm. d. Red.] die Renditen italienischer Staatsanleihen weiter nach oben treiben, wenn die Regierung den Streit mit der EU eskalieren lässt. Doch mit steigenden Renditen würde der wirtschaftliche Schmerz immer größer. So muss der Finanzminister für neue Schulden deutlich mehr Zinsen zahlen, was seinen Ausgabenspielraum senkt.
Die Konsequenzen wären bestimmt weitreichend:
Betroffen sind auch die Banken, die sich auf Druck der Politiker mit Anleihen des eigenen Staates vollgesogen haben. Sinken deren Kurse, schmilzt das Eigenkapital der Banken, und sie können weniger Kredite vergeben.
Oder sogar katastrophal, falls die Ratingagenturen mitspielen …:
Wenn alle vier Ratingagenturen die Bonität Italiens auf einen Ramschstatus senkten, wären die italienischen Banken sogar von regulären EZB-Refinanzierungsgeschäften ausgeschlossen. Der langsam, aber stetig steigende Druck vonseiten der Anleihemärkte wird die italienische Regierung früher oder später beeindrucken.
… wie damals in Griechenland:
Auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise Mitte 2015 hatte das drohende Austrocknen der griechischen Banken Ministerpräsident Alexis Tsipras sogar zu einer wirtschaftspolitischen Kehrtwende veranlasst.
Und genau so eine"wirtschaftspolitische Kehrtwende" ist das Ziel, das durch finanziellen Druck erreicht werden soll. Nebenbei: Das Wort "Druck" erscheint siebenmal in Krämers Gastkommentar. Das Wort "Demokratie" nicht einmal. L' Europa dei banchieri eben.
Griechenland: "Der größte Erfolg des Euro"
Dass Krämer dreist genug ist, den Fall Griechenland zu erwähnen, ist kein Zufall. Denn die griechische Krise ist in den Augen der EU-Eliten keine Schande. Im Gegenteil. Als die Lage in Griechenland 2011 dramatisch wurde, sagte Mario Monti, von 1995 bis 2004 EU-Kommissar und von 2011 bis 2013 Ministerpräsident Italiens:
Die griechische Krise ist die konkreteste Manifestation des großen Erfolgs des Euro.
Der Euro sei geschaffen worden, so Monti, "um Deutschland davon zu überzeugen, dass die Kultur der deutschen Stabilität durch den Euro auf alle Länder übertragen wird: Was gibt es für eine bessere Schule als Griechenland?"
Italien: Das Ende des Euro?
Durch höhere Zinsen und eine Liquiditätskrise könnten die Anleihemärkte Italien also zwingen, sich an das EU-Rettungsprogramm OMT zu wenden. Unter dem OMT-Programm kann die Europäische Zentralbank (EZB) unbegrenzt Staatsanleihen eines Mitgliedsstaates kaufen, um den finanziellen Kollaps dieses Landes – oder wohl eher der Währungsunion – zu verhindern.
Aber "die EZB darf das OMT-Programm nur aktivieren", erklärt Krämer, "wenn das betroffene Land vorher beim Brüsseler ESM-Rettungsfonds zumindest sogenannte vorsorgliche Kreditlinien beantragt hat. Die sind jedoch mit Reformauflagen verbunden." Der ESM-Rettungsfond ist eine Art europäischer IWF. Seine Kreditrichtlinien funktionieren ähnlich wie die IWF-Rettungspakete. Was das IWF unter Reformauflagen versteht, das wissen alle. Die Griechen sowieso.
Krämer scheint überzeugt, dass sein Plan funktionieren kann. Doch scheint er auch besorgt zu sein, dass Italien das OMT-Rettungsprogramm nicht beantragen will – oder davon profitieren könnte, ohne die damit verbundenen Reformauflagen akzeptiert zu haben. "Dann würden nicht nur in Italien die Populisten jubeln, und die Haushaltsdisziplin wäre endgültig dahin." Krämer schlussfolgert:
Das würde die Währungsunion dauerhaft nicht überleben.
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