von Timo Kirez
Im Internet kursiert ein Witz, der den desolaten Ruf der SPD gut auf den Punkt bringt: Wie viele SPDler braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Die Antwort ist: Vier. Einer wechselt. Einer erklärt, warum die Birne gewechselt werden musste. Ein anderer erklärt später, warum die Birne doch nicht hätte gewechselt werden dürfen. Und dann noch Kevin Kühnert, der seine grundsätzlichen Einwände gegen Glühbirnen vorträgt. Oder auch dieser hier: Was ist der Unterschied zwischen einem Theater und dem SPD-Parteivorstand? Im Theater werden gute Schauspieler schlecht bezahlt. Selten passte die Plattitüde "Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen" so gut wie im Augenblick bei der SPD. Sozi-Bashing ist mittlerweile zum Breitensport mutiert.
Die Bemühungen der Sozialdemokraten, einen Ausweg aus dem demoskopischen Jammertal zu finden, wirken wie die Angriffsbemühungen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der letzten Weltmeisterschaft in Russland. Man hat zwar viel Ballbesitz, aber gewinnen tun trotzdem die anderen. Fast würde man sich wünschen, dass Mehmet Scholl ins Fach des politischen Kommentators wechselt – er würde mit Sicherheit die richtigen Worte finden. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an sein "Hängt die Grünen, solange es noch Bäume gibt" aus dem FC-Bayern-Jahrbuch von 1994/95.
Dabei würde ein Blick über den Ärmelkanal genügen, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie es auch mit den Sozis wieder aufwärts gehen könnte. Denn in Großbritannien rockt der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn gerade mal wieder die politische Landschaft. Und das mit klassisch sozialdemokratischen Tugenden. Der Mann weiß eben, wie Klassenkampf geht. Während einer gepfefferten Rede auf dem "World Transformed Festival" in Liverpool sagte Corbyn in Richtung der britischen Upper Class:
Ich sage Ihnen mal was, sie leben auf gepumpte Zeit, denn die Labour-Regierung kommt!
Er werde die neoliberale Politik herausfordern, so Corbyn auf dem Festival, das von der basisdemokratischen Momentum-Gruppe der Labour-Partei organisiert wird. Und er werde dafür sorgen, dass nicht nur die Schwächsten in der Gesellschaft immer draufzahlen müssen. Die Begüterten hätte lange genug Steuergeschenke und Steueroasen bekommen, während andere die Folgen der Finanzkrise von 2008 tragen mussten. Der Labour-Vorsitzende schlägt unter anderem vor, dass private Unternehmen verpflichtet werden sollen, einen Anteil von zehn Prozent ihres Kapitals an die Arbeitnehmer zu übertragen. Sie haben richtig gelesen: zehn Prozent ihres Kapitals.
Mit solchen und anderen Forderungen schafft es Corbyn, vor allem die jungen Wähler zu begeistern. Selbst wenn er nicht persönlich auf der Bühne steht, stimmen Jugendliche schon mal gerne "Oh, Jeremy Corbyn" zur Melodie des Songs "Seven Nation Army" von den White Stripes an. So wie hier während eines Konzerts in Glastonbury:
So etwas hat es in der britischen Politik noch nicht gegeben. Und dabei ist der Mann nach eigener Auskunft ein beinharter "demokratischer Sozialist". Mit Positionen, die Lichtjahre von der aktuellen britischen Politik entfernt sind. Der Labour-Vorsitzende steht für eine pazifistische Außenpolitik, eine Verstaatlichung öffentlicher Versorgungsunternehmen und die Abschaffung von Studiengebühren.
Corbyn ist zudem ein Gegner der britischen Atomwaffen, darunter insbesondere der Trident-bestückten Vanguard-Atom-U-Boote. Im Juli 2016 stimmte er im Unterhaus im Gegensatz zur Mehrheit der Labour-Fraktion gegen die anstehende Erneuerung der U-Boote. Für seine Aussage, dass er als Premierminister niemals den Befehl zum Einsatz von Nuklearwaffen geben werde, musste er in Großbritannien heftige Kritik einstecken. Ein britischer General drohte in einem Interview sogar mit Meuterei für den Fall, dass Corbyn seine Abrüstungspläne als Premierminister verwirklichen sollte. Wörtlich sagte der General:
[D]er Generalstab würde einem Premierminister nicht erlauben, die Sicherheit des Landes aufs Spiel zu setzen.
Der heutige Labour-Chef war auch ein Gegner des Kosovokriegs, da dieser ohne UN-Madant geführt wurde. 2004 unterstützte er einen parlamentarischen Antrag, der den Krieg als eine "sogenannte humanitäre Intervention" mit erfundenen Begründungen brandmarkte. Zudem distanzierte sich Corbyn früh von der Politik des ehemaligen Labour-Führers und Premierministers Tony Blair. Er war einer der schärfsten Kritiker des sogenannten "New-Labour-Projekts" und verurteilte dessen Wirtschafts- wie auch Außenpolitik scharf. Die frühe Opposition zu Blair ist heute sein politisches Kapital. Sie macht ihn glaubwürdig.
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Im Gegensatz dazu haben die deutschen Sozialdemokraten nie den klaren Bruch mit der "Agenda-Politik" Gerhard Schröders gewagt. Schröder, der sich von Tony Blairs sogenanntem "Dritten Weg" (Kritiker sprechen auch vom "Dritten Irrweg") für die deutsche Sozialdemokratie inspirieren ließ, haftet der SPD immer noch wie ein eitriger Pickel auf der Stirn. Es wird zwar viel geschminkt und gepudert, aber keiner wagt es, mal zu drücken. Dabei wäre es höchste Zeit. Laut den letzten Umfragen sind die Sozis im Bund mittlerweile bei 17 Prozent angekommen. In Worten: siebzehn Prozent. Nur eine Rückbesinnung auf die klassischen sozialdemokratischen Tugenden, verbunden mit einem radikalen Personalwechsel, kann das Aussterben der SPD noch verhindern. Wenn überhaupt.
In diesem Sinne eine Empfehlung für den nächsten Wahlkampfsong der SPD: