von Andreas Richter
Die Abwahl Volker Kauders als Fraktionschef der Union stellt eine Zäsur dar. Für die Kanzlerin dürfte dieser Personalwechsel das Ende ihrer Kanzlerschaft einleiten. Sie verliert die Kontrolle über ihre Fraktion, ein einfaches Abnicken ihrer Entscheidungen wird es nicht mehr geben. Für die Union ist diese Entscheidung ein Akt der Befreiung und Emanzipation. Und die Chance für einen Neubeginn.
Die Merkel-Ära wird mittlerweile von ganz verschiedenen Seiten als eine lähmende und bleierne Zeit beschrieben. Merkel war praktisch die Verkörperung der postmodernen Ideologie, sie stellte Probleme wie die Banken-, die Euro- oder die Flüchtlingskrise und Phänomene wie die Globalisierung als kontingente Ereignisse, als quasi vom Himmel gefallen, und ihre Reaktionen darauf wiederum als "alternativlos" dar. Von widerstreitenden Interessen war bei Merkel nicht einmal mehr die Rede.
Angela Merkel war die Kanzlerin der Slogans "Sie kennen mich" und "Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben", die Kanzlerin von TINA ("There is no alternative!") und am Ende vor allem die Kanzlerin der Flüchtlingspolitik von 2015, die eine siebenstellige Zahl von Migranten ins Land ließ, ohne dass jemals über deren Identität, über ihre Gründe, über diese Entscheidung und deren Folgen offen diskutiert werden konnte.
Zwei Drittel der nach dem Herbst 2015 ins Land gekommenen Migranten sind nach Angaben von Cicero "allein reisende Männer unter 30". Damit ist deren Zahl höher, als die der Soldaten, die die beiden deutschen Armeen 1988 zusammen unter Waffen hatten. Dass diese Art der Zuwanderung massive Probleme mit sich bringen könnte, nicht zuletzt im Bereich der inneren Sicherheit, liegt auf der Hand. Eine vernünftige Debatte über diese Probleme, das hat spätestens Chemnitz gezeigt, ist in diesem Land bisher nicht möglich.
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Freihandel, Globalisierung und die Europäische Integration stehen im Widerspruch zu den Interessen vieler Menschen in diesem Land, ebenso wie die erwähnte massenhafte Migration. Nicht ohne Grund, aber gern verschleiert, ist das Leben insbesondere der einfachen Leute in den letzten Jahren im angeblich "besten Deutschland aller Zeiten" schwieriger geworden. Die Gründe für diese Entwicklung müssen benannt, die Interessen dieser Leute aufgegriffen und verteidigt werden. Das ist die eigentliche Aufgabe der Politik, die aber darin in den letzten Jahren völlig versagt hat.
Forderungen, die die Interessen der kleinen Leute in den Mittelpunkt stellen, wie die Stärkung des Nationalstaates, die Einschränkung des internationalen Handels und die Kontrolle der Migration, werden oft als populistisch bezeichnet. Das ist natürlich abwertend gemeint. Tatsächlich aber ist die Aufnahme solcher Forderungen durch die Politik im Sinne eines "anständigen Populismus" von Seiten der Politik eine absolute Notwendigkeit.
Denn was haben wir jetzt? Die von der Merkel-Regierung und ihren Vorgängern verfolgte Politik – Globalisierung, Freihandel, europäische Integration nach deutschen Regeln, ganz allgemein die Unterwerfung von immer mehr Lebensbereichen unter angebliche "Marktinteressen" – ist das Gegenteil von populistisch, sie ist elitär. Sie entspricht vielleicht den Interessen eines Großteils der Wirtschaft und eines geringeren Teils der deutschen Bevölkerung. Diese Interessen sind nicht weniger legitim als die der anderen Seite. Problematisch aber ist es zweifellos, sie als alleingültige Wahrheiten zu behandeln und jeden Widerspruch von vornherein als populistisch oder gar rechtsextremistisch zu verteufeln.
Das Problem mit den medialen und politischen Eliten besteht tatsächlich darin, dass diese offenbar New York viel besser kennen und lieben als etwa Neubrandenburg oder Chemnitz. Und sich dem "Way of Life" dort viel näher fühlen als irgendwelchen Ostdeutschen. Bei den Medien des "Mainstream" besteht nicht viel Hoffnung auf Besserung; Politiker immerhin könnten aber durch Druck von der Basis dazu gebracht werden, bei Strafe ihrer Nicht-Wiederwahl ihren Blick zu weiten und wenigstens zu versuchen, die Interessen des sprichwörtlichen kleinen Mannes wieder wahrzunehmen und zu begreifen.
Und hier kommt die Union ins Spiel. Es war wohl vor allem das mehrheitliche Votum ostdeutscher Abgeordneter, das Merkels Mann fürs Grobe in der Fraktion aus dem Amt gefegt hat. Immerhin waren sie es laut Tagesthemen, die die geheime Wahl durchgesetzt hatten. Damit wird aus der Union zwar keine Partei der kleinen Leute, der neue Fraktionschef steht etwa für einen strikt wirtschaftsliberalen Kurs. Aber Merkels absehbares politisches Ende weckt die Hoffnung, dass wieder offen über Probleme diskutiert werden kann, ohne dass Moral vorgeschoben wird, wo es in Wirklichkeit um Interessen geht. Es ist Zeit für die Politik, sich ehrlich zu machen.
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