von Em Ell
Das, was man von Pedro Sánchez früher sagen konnte, war nicht mehr, als dass er seinerzeit aus dem Nichts auf der politischen Bühne landete. Ein Politiker "nach Maß" – ganz so, als wäre er passend am Computer entworfen – mit einem so breiten wie gewinnenden Lächeln – noch dazu mit hübschen Grübchen – und mit einem volkstümlichen und volkstümelnden Allerweltsnamen "Sánchez". Seine ganz spezielle "Parteifreundin" Susana Díaz – mit ebenso volkstümlichem Namen – regierte seit einiger Zeit das sozialistische Stamm- und Herzland Andalusien und feilte bereits immer lauter an ihrem Sprung von der zweiten in die erste politische Liga Spaniens, nach Madrid – an die nationale Parteispitze, und von dort aus dann gerne weiter bis hinauf ins höchste politische Amt des Landes. Allein der politische Kalender hatte seine eigene Zeitrechnung, forderte Geduld und eine Zwischenlösung auf dem Thron der spanischen Sozialisten, bis die andalusische "Pharaonin" ihn schließlich selbst einnehmen könnte: Pedro Sánchez.
Der Strohmann Sánchez war allerdings aus Fleisch und Blut und quicklebendig und dachte nicht daran, lediglich den Sitz für die zukünftige Parteichefin anzuwärmen. Er machte es sich viel lieber selbst bequem auf dem obersten Parteisessel und begann nun seinerseits, für ihn gefährliche Parteifreunde kaltzustellen – ohne mit der Wimper zu zucken, freundlich lächelnd. Freundlich lächelnd überlebte er dann glatt die anschließende Palastrevolte und hinterhältige politische Mordkampagne des alten und alteingesessenen Parteiadels rund um die Kronprinzessin Díaz und ihren Hofstaat und kehrte als 'Totgesagter' umso lebendiger wieder zurück auf seinen Thron. Diesmal aus eigener Kraft und auf eigene Rechnung, gegen die versammelte Elite der Partei (und der Medienlakaien) – durch die unmittelbare Macht und das direkte Votum des gemeinen Parteivolkes. Derart gestärkt und gestählt, konnte er nun in Ruhe auf den geeigneten Moment warten, um den von unheilbarer Korruption schwerst gezeichneten Regenten Mariano Rajoy vom Königsstuhl des Ministerpräsidenten zu stoßen.
Eine wahrlich bemerkenswerte Leistung, die Sánchez weithin und gebührendermaßen Respekt und Anerkennung verschafft, würdig, um mit einem echten '-ismus' geadelt zu werden, wie etwa CTXT schreibt (das Wort "Sanchizmus" in Bezug auf Pedro Sánchez ist allerdings schon älter):
Jemand, der – ohne mit der Wimper zu zucken – in der Lage ist, vom System, das ihn erfunden hat, vertrieben zu werden und in dieses zurückzukehren, um dann gegen alle zu gewinnen und am Ende tatsächlich als Regierungspräsident zu enden, hat ein politisches Profil, das es wert ist, einen '-ismus' zu begründen: den Sanchizmus, der mittlerweile 100 Tage an der Macht feiert.
Und auch dem, was CTXT weiter zu Pedro Sánchez schreibt, kann man sich als Beobachter der spanischen Politlandschaft nur kopfnickend anschließen. Das, was uns der Sanchizmus als Erstes lehrt, ist, dass man nichts von dem, was man von ihm kennt, für gegeben halten sollte. So kennt man Pedro Sánchez, wie er einerseits Pablo Iglesias (den Parteichef der linken Partei Podemos) das Desaster des Sowjetkommunismus vorhält, und wie er andererseits lauthals die Internationale singt, inmitten des einfachen Parteivolkes, das heute ganz besonders den eigenen Pablo Iglesias (den Gründer der sozialistischen Partei Spaniens, PSOE) bewundert. Wir kennen Sánchez, wie er mit Albert Rivera, dem juvenilen und alerten Bilderbuch-Chef der neuen rechten und neoliberalen Bilderbuch-Partei Ciudadanos (einer Art "Podemos der Rechten"), einen Pakt für Sánchez' Aufstieg an die Regierungsspitze schließt, und gleichzeitig diese, seine "Bundesgenossen" als extreme Rechte (und "Handelsmarke" und "Jugendorganisation" der alten Rechten der konservativen Volkspartei, PP) beschimpft.
Wir kennen Sánchez, wie er sich zur "Prime Time" bei Jordi Évole (in dessen sehr populären Fernsehsendung) exklusiv beklagt und ausführlich beschreibt, wie das System so funktioniere und wie es ihn mit schmutzigen Tricks erledigen wollte, weil er ihm "gefährlich" wurde. Und wir kennen Sánchez, wie er selbst mit schmutzigen Tricks arbeitet, um Untersuchungen zu sabotieren, die Licht ins Dunkel des Systems bringen und selbiges damit gefährden könnten – etwa solche über die ökonomischen Abenteuer des spanischen Königs Juan Carlos. Wir kennen ihn, wie er die Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung (die Aufhebung der Autonomie einer Region und damit deren direkte Unterstellung unter die Zentralgewalt Madrids) als heilsame Maßnahme für Katalonien verteidigt und wie er erklärt, dass Separatisten niemals seine Alliierten sein können, auch nicht bei einem konstruktiven Misstrauensvotum. Und wir werden Zeugen, wie er just über ein solches erfolgreiches Misstrauensvotum mit der Unterstützung der Parteikollegen der inhaftierten katalanischen Separatisten als spanischer Ministerpräsident amtiert, da "deren Stimmen genauso legitim sind wie die aller anderen".
Wir sehen, wie Sánchez mit den nur 84 Abgeordneten seiner PSOE zwar die schwächlichste politische Figur in der Geschichte der spanischen Demokratie abgibt, doch wir erleben zugleich, wie er eine unerwartete politische Stärke entwickelt, mit einer von vielen Seiten applaudierten Regierungsmannschaft. Wir kennen Sánchez, wie er sich kurz vor seinem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen Rajoy für Neuwahlen innerhalb einer "kurzen, angemessenen Zeitspanne" ausspricht. Und wie er schließlich als frisch gewählter Ministerpräsident davon nicht mehr spricht, stattdessen ganz schnell davon, die Legislaturperiode doch 2020 regulär zu beenden. Wir erleben ihn, wie er vor seiner Wahl den Haushaltsentwurf der noch amtierenden Regierung Rajoys wortreich geißelt und ablehnt, und wie er nach seiner Wahl eben diesen Haushalt als seinen eigenen übernimmt, um sich die notwendige Unterstützung der baskischen Konservativen zu sichern.
Und auch in Fragen der Menschenrechte kennen wir bereits Pedro Sánchez. Gleichfalls ohne mit der Wimper zu zucken, freundlich lächelnd. Wie er zum einen die Flüchtlinge des Rettungsschiffes Aquarius aufnimmt, und wie er zum anderen das Schicksal derjenigen Flüchtlinge ignoriert, die die Sicherheitskräfte illegalerweise vom spanischen Boden aus zurück nach Marroko abgeschoben haben. Wir hören, wie Sánchez die Notwendigkeit für das gemeinsame Zusammenleben betont, Recht und Gesetz zu achten. Nur um dann einen Sánchez zu erleben, der es als eine Notwendigkeit verteidigt, unmittelbar gegen spanische und internationale Gesetze zu verstoßen, die Waffenexporte in solche Länder verbieten, welche in offene militärische Konflikte verwickelt sind und welche die Menschenrechte missachten. Wir kennen ihn, wie er von Würde spricht, und wir kennen ihn, wie er in der Entscheidung zwischen Menschenrechten und Wirtschaftsbeziehungen bei Waffenexporten nach Saudi-Arabien letzterem den Vorzug gibt. Alles gilt, dies wie das, und damit letztlich nichts – ohne mit der Wimper zu zucken, freundlich lächelnd.
Je mehr wir Pedro Sánchez kennen, desto weniger kennen wir ihn. Oder, was das Gleiche ist, vielmehr ist genau dies – und zwar ohne mit der Wimper zu zucken, freundlich lächelnd – der Sanchizmus", meint daher nicht nur CTXT.
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