Eindrücke aus Köthen von einer tief gespaltenen Gesellschaft

Am Sonntag fanden in Köthen erneut Kundgebungen statt, zu der verschiedene Organisationen - von links bis rechts - aufgerufen haben. Aber mit einem Dialog hatte das in Köthen nichts zu tun. Ein Kommentar zu den Eindrücken einer gespaltenen Gesellschaft.

von Zlatko Percinic

Glatzen, dunkle Sonnenbrillen und eindeutig rechtsradikale Szene-Kleidung auf der Seite der Organisationen, die zur Großkundgebung in Köthen gerufen haben. Auf der Seite der Gegendemonstranten bietet sich ein ähnliches Bild: Kapuzen, dunkle Sonnenbrillen und eindeutig linksradikale Fahnen und Sprüche. Beides sind aber Momentaufnahmen vom jeweiligen Rand, und es wäre falsch, sie zu verallgemeinern. Am Auffälligsten war der Altersunterschied und die jeweilige Herkunft: Während es sich bei den Demonstranten, die dem Ruf der Organisatoren gefolgt sind, mehrheitlich um Personen mittlerer bis älterer Jahrgänge handelte, waren es bei den Gegendemonstranten mehrheitlich sehr junge Menschen. Und während bei Ersteren ganz klar mehrheitlich ostdeutsche Dialekte gesprochen wurden, überwogen westdeutsche Dialekte bei den Letzteren.

An diesen Details konnte man schon die unterschiedlichen Weltanschauungen und Perspektiven der beiden Lager erkennen, die in der "Welthauptstadt der Homöopathie" in Sachsen-Anhalt aufeinanderprallten.

Rund 1.400 Menschen sind nach Polizeiangaben (andere gehen von bis zu 2.500 Personen aus) dem Aufruf des Veranstalters "Zukunft Heimat" gefolgt. Noch bevor es eigentlich losging, versammelte sich ein kleines Grüppchen, das neben der Rampe des Demo-LKWs alte deutsche Lieder aus dem 19. Jahrhundert sang. Die Stimmung unter den Versammelten auf dem Marktplatz war gut. Mit Spannung wurden die vom Veranstalter angekündigten Redner erwartet: aus verschiedenen Bundesländern angereiste AfD-Politiker und der Vater des in Wittenberg am 29. September 2017 getöteten Markus Hempel. Mit gebrochener Stimme und Tränen in den Augen erzählte Karsten Hempel, wie die Justiz, Politik und Medien das Leid um den Verlust seines einzigen Kindes noch vergrößert haben und wie er als Nazi und Rassist diffamiert wurde. 

Von einer "Kundgebung rechtsgerichteter Gruppierungen", wie es eigentlich sämtliche Medien betitelten, hat man ein Bild vor Augen, das nicht so recht mit dem Bild vor Ort an diesem sonnigen Sonntag in Köthen zusammenpassen wollte. Wie gesagt, es gab sie, die stereotypischen Vertreter des rechten Spektrums. Aber die meisten Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe, redeten offen über ihre Ängste und Sorgen und nicht über "nationalsozialistisches" Gedankengut. Es sind von der heutigen Politik zutiefst enttäuschte Bürgerinnen und Bürger Deutschlands, deren Enttäuschung weit über die Akzentuierung der gegenwärtigen Migrationspolitik und deren Folgen hinausgeht.    

Diese tragischen Todesfälle von Köthen, Chemnitz, Wittenberg und anderen deutschen Städten mit Beteiligung von Asylsuchenden aus vorwiegend islamisch geprägten Ländern sind dabei der Funke, der diese schon länger brodelnde Unzufriedenheit nun zu einer Bewegung explodieren lässt. Das Unvermögen der Regierungskoalition, auf diese Unzufriedenheit zu reagieren, den Dialog mit den Menschen zu suchen und Lösungen zu erarbeiten, haben seinerzeit direkt zur Gründung und zum Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD) beigetragen. Wie hilflos die etablierten Parteien tatsächlich wirken, zeigt der Oberbürgermeister von Köthen, Bernd Hauschild (SPD), der im Anschluss der Kundgebung meinte, er sei "nicht mehr Herr" in seiner Stadt.

Es diktieren Fremde, was in der Stadt passiert – die Polizisten, die Demonstranten.

Diese Hilflosigkeit spiegelte sich auch bei den Politikern von DIE LINKE, den Grünen und der SPD wider, die bei der Gegendemonstration mitliefen. Anstatt den Dialog mit jenen Menschen zu suchen, die auf der anderen Seite der Polizeiabsperrung standen, gaben sie mit ihrer Anwesenheit ihr stillschweigendes Einverständnis für Parolen wie "ihr seid alle Nazis" vonseiten der Antifaschisten. Henriette Quade, Landtagsabgeordnete für DIE LINKE in Sachsen-Anhalt, bedankte sich sogar auf Twitter bei der Antifa. Bei solchen Aktionen muss die AfD nicht mehr viel machen, um bei der ohnehin schon aufgeheizten Stimmung Punkte und neue Wähler zu sammeln. Da kann man lange darüber diskutieren, ob es eine gefährliche Partei ist oder nicht, wenn es an der Basis zu solchen Verallgemeinerungen kommt.

Im Gespräch mit den Teilnehmern der Gegendemonstranten offenbarte sich das ganze Dilemma der heutigen politischen Landschaft in Deutschland. Auf die Frage, weshalb sie nach Köthen gekommen sind, antworteten alle, "um ein Zeichen gegen rechts zu setzen" und "um gegen Nazis und Faschisten zu demonstrieren". Aber auf die Frage, ob sie sich mit den Menschen mal unterhalten haben, die sie als allesamt in die braune Ecke gestellt haben, erntete ich nur verblüffte Blicke. Und als ich darauf verwies, dass viele Vorwürfe der Demonstranten auf der anderen Seite durchaus ihre Berechtigung haben, warf man mir ernstlich "Propaganda" vor.

Das ist ein Ergebnis einer klassischen "Teile und Herrsche"-Politik, die schon die alten Römer erfolgreich angewendet hatten. Beide Seiten der Bevölkerung werden gegeneinander aufgewiegelt, ohne dass man sich beiderseits noch die Mühe macht, die Position des jeweils anderen wenigstens anzuhören. Das schafft Raum für Populisten in beiden Lagern, wo die Realität keine große Rolle spielt. Solche Haltung nahm beispielsweise auch Jürgen Elsässer ein, Herausgeber des COMPACT-Magazins.

In seiner Rede spielte er geschickt mit den Emotionen der Menschen auf dem Marktplatz in Köthen, als es inzwischen schon dunkel wurde.

Hier im Osten schlägt das Herz noch. Hier ist noch Gefühl. Hier treibt die Trauer und die Wut, wenn einer von uns gemeuchelt wurde, die Menschen auf die Straße. Und ich frage euch im Westen, wo sind eure Gefühle? Wo ist euer Menschsein? Fühlt ihr nicht den Schmerz?

Dass es heutzutage immer wieder zu Vorfällen kommt, wo Beschäftigte oder auch Selbstständige aufgrund ihrer politischen Überzeugungen unter Druck geraten, ist bekannt. Wenn dann aber Jürgen Elsässer die Menschen aufruft, keine Angst vor solchen skandalösen Konsequenzen zu haben und sich beim COMPACT-Magazin im Falle eines Jobverlustes aufgrund politischer Ansichten zu melden, und ihnen dann noch einen neuen Job verspricht, dann ist das die reinste Form des Populismus. Denn wie er - außer propagandistischer Ausschlachtung - in einem solchen Fall jemandem eine neue Arbeitsstelle vermitteln möchte, diese Antwort blieb er den Anwesenden schuldig.

Aber das schien ohnehin niemanden zu interessieren, zumindest nicht in diesem Moment. Ob es an der Stimmung einer lauen Sommernacht im Herbst lag oder an den grölenden Gegendemonstranten mit ihren "Nazischweine"-Rufen: es hing so etwas wie ein Hauch einer Revolution in der Luft. Immer wieder schwollen Rufe an: "WIDERSTAND! WIDERSTAND! WIDERSTAND!". Dieser Ruf nach Widerstand symbolisiert wie kein anderer, worum es den Demonstranten überhaupt geht: nicht um rechte oder gar rechtsradikale Positionen, sondern um politische Veränderungen in Deutschland.

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