von Thomas Schwarz
Ein zentrales Argument der Gegner einer neuen Sammlungsbewegung lautet: "Eine Bewegung muss von unten kommen, sie kann nicht von einzelnen Prominenten und von oben ins Leben gerufen werden." An dieser Aussage sind mehrere Aspekte unzutreffend. Bewegungen können sehr wohl virtuell für eine Einzelperson hergestellt werden - wenn ausreichend publizistische Macht verfügbar ist. Das für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron maßgeschneiderte, künstliche und auf Emotionen basierende Medienkonstrukt "En Marche" ist dafür ein gutes und erfolgreiches Beispiel.
Der zweite unzutreffende Aspekt ist die indirekte Aussage, die neue Sammlungsbewegung "#Aufstehen" sei ein Medienkonstrukt ohne Massenbasis wie eben "En Marche": eine künstliche Farce - hergestellt allein, um der Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht, eine Bühne zu bieten. Dabei wird unterschlagen, dass "#Aufstehen" keine vergleichbaren publizistischen Verbündeten wie "En Marche" vorzuweisen hat, für das ein europaweiter Werbefeldzug durch große Medien initiiert wurde. "#Aufstehen" erlebt das Gegenteil: Ignoranz oder Anfeindung. Diese Bewegung hat gar nicht ausreichend Propaganda-Ressourcen oder Unterstützung durch den neoliberalens Betrieb, um den virtuellen Charakter zu haben, der ihr unterstellt wird.
Die Bewegung war schon lange da
Die Bewegung, die sich nun endlich in der neuen Sammlungsbewegung konkret äußert, kommt zudem nicht von oben: Sie war schon lange da. Es gibt deutliche Anzeichen, dass zahlreiche Menschen mit den aktuellen Parteien und etablierten Medien abgeschlossen haben. Es wäre eher als autoritärer Akt zu bezeichnen, diese Anzeichen weiterhin zu ignorieren, als endlich auf sie einzugehen. Jetzt wird zahlreichen sich ehemals als "links" empfindenden Menschen endlich eine potenzielle politische Heimat geboten - und nicht nur jenen. Es ist eine Heimat ganz ohne fremdenfeindliche Ressentiments, aber auch ohne neoliberales und staatsfeindliches "Grenzen auf für alle". Eine Bewegung, die den Sozialstaat retten will, ohne dabei "national-sozial" zu werden oder in arrogante Rechthaberei zu verfallen.
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Dass diese neue Möglichkeit der politischen Kommunikation sehnsüchtig erwartet wurde, zeigen die zahlreichen Anmeldungen bei "#Aufstehen" - es ist schwer, angesichts dieser Zahlen auf dem Vorwurf der "Künstlichkeit" zu beharren. Und ja: Selbstverständlich wird die Bewegung von ihren bekanntesten, begabtesten und beliebtesten Köpfen angeführt. Alles andere wäre selbstzerstörerisch. Diese Regel sollte jede politische Gruppierung beachten, die massenhaft die Herzen der Menschen erreichen will. Es sei denn - und das scheint bei manchen Kritikern der Fall zu sein - man möchte eine Bewegung, die in bedeutungsloser politischer Beschäftigungstherapie verharrt.
Nazi-Keule und Wähler-Beschimpfung
Der Tenor von der künstlichen Bewegung mit ihren "Kadern" und ihrem "Personenkult" grenzt zudem an Wählerbeleidigung. Hier soll nicht nur der Eindruck hergestellt werden, Wagenknecht sei eine demagogische Verführerin, sondern ihre Anhänger auch gleichsam verblödete und darum folgsame Schafe. Das Bild der "Rattenfängerin" bezeichnet immer auch die Gefolgschaft als Ratten.
Die neoliberalen Kritiker von "#Aufstehen" hätten natürlich gerne eine unprofessionelle und darum harmlose Bewegung, die zum Scheitern verurteilt ist. Eine Bewegung, die wie die Linkspartei ihren einzigen Superstar öffentlich demontiert und die das in Umfragen suggerierte große Wählerpotenzial durch eilfertige Zugeständnisse an die Mainstream-Presse verspielt.
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Über die Motive zur Gründung der Bewegung und zu ihren Inhalten schreiben Sahra Wagenknecht und Bernd Stegemann, es gebe "einen eklatanten Widerspruch zwischen der mangelnden Zustimmung zu Parteien, die dem linken Lager zugerechnet werden, und dem Wunsch nach einer solidarischen Gesellschaft." Wer diesen Widerspruch verstehen wolle, müsse "sich nicht nur den Kopf darüber zerbrechen, warum die SPD nicht aus dem Gefängnis ihrer Agenda-Politik herausfindet, sondern muss auch darüber nachdenken, warum die meisten Wähler, die der SPD abhandenkommen, nicht etwa zur Linkspartei wechseln, sondern entweder im Lager der Nichtwähler untertauchen oder der AfD ihre Stimme geben."
Hoffnung würden aber neue europäische Sammlungsbewegungen machen: "Überall dort, wo ein neuer linker Aufbruch gelingt, sieht die politische Rechte schnell so alt aus, wie sie es verdient." Die Autoren begründen die Notwendigkeit einer neuen politischen Bewegung auch in Deutschland: "Denn wo ist die Kraft, die die Interessen der ärmeren Menschen in diesem Land vertritt und nicht gleichzeitig – und sei es ungewollt – die Bedingungen für prekäres Leben vergrößert? Wo ist die Kraft, die nicht aus der moralischen Überheblichkeit der Privilegierten Verteilungskämpfe als Ausdruck von schlechtem Charakter abqualifiziert? Wo ist mit einem Wort eine machtvolle Bewegung, die endlich wieder einen Widerspruch zwischen der Freiheit des Kapitals und der Freiheit des Menschen erkennt?"
Mutwillige Begriffsverwirrung beim Thema Migration
Wer, wie Wagenknecht und Stegemann, die mutwillige Begriffsverwirrung beim Thema Migration thematisiert, läuft bereits Gefahr, als "rechts" diffamiert zu werden, wie die Autoren feststellen: "Wer argumentiert, dass Fliehenden geholfen werden muss, aber über den Umfang der Arbeitsmigration mit den einheimischen arbeitenden Menschen ein Konsens gefunden werden muss, hat augenblicklich verloren." Das ist eine wohlfeile Strategie: Die Motivationen und Inhalte der neuen Sammlungsbewegung sind gemessen an den Äußerungen der Protagonisten über jeden "rechtsextremen" Verdacht erhaben, sie sind progressiv und solidarisch. Das Beharren der Kritiker auf einem "versteckten rechten Kern" der Sammlungsbewegung ist unseriös und unbelegt.
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Auf die intensiven Versuche, "#Aufstehen" in die rechte oder gar rechtsextreme Ecke zu stellen, soll hier darum nicht weiter eingegangen werden. Diese Versuche des Rufmords sind noch absurder als jene innerparteiliche Kampagne, die Wagenknecht immer wieder eine Nähe zur AfD unterstellen sollte. Immerhin kann Wagenknecht nun nicht mehr wie früher als rote Furie diffamiert werden - dafür wurde sie durch hysterische pseudolinke Angriffe zu intensiv als "rechte Galionsfigur" gezeichnet.
Vorwurf der Spaltung - bisher reine Behauptung
Ein weiteres Argument gegen "#Aufstehen" ist der Vorwurf der Spaltung: Die Bewegung werde geschaffen, um auf unlösbare innerparteiliche Konflikte der Linken Druck auszuüben und um in eine neue Partei zu münden. Zum einen ist diese Aussage spekulativ - niemand kann momentan die endgültige Organisationsform von "#Aufstehen" voraussehen, die Unterstellungen von Abspaltung bis hin zur Planung einer Partei-Gründung sind reine Behauptungen. Es stellt auch die Realitäten auf den Kopf, wenn nach den infamen Kampagnen der Linke-Parteiführung gegen Wagenknecht immer nur dem Wagenknecht-Flügel Parteischädigung unterstellt wird.
Zum anderen: Was ist die Alternative zur neuen Sammlungsbewegung? Die häufigen Verweise darauf, dass Linke, Grüne oder gar die SPD "bereits Sammlungsbewegungen" seien, halten der Überprüfung nicht stand. Große Teile dieser Parteien haben bei der braven Umsetzung der neoliberalen Glaubensgrundsätze die Menschen aus dem Blick verloren, sie haben sie im Stich gelassen. Es ist nur folgerichtig und politisch vielversprechend, wenn sie nun Konkurrenz bekommen. Zur Überwindung oder wenigstens zur Herausforderung des neoliberalen Systems scheint die neue Sammlungsbewegung im Moment das Werkzeug mit dem größten Potenzial zu sein.
Wer sind die schärfsten Kritiker der neuen Sammlungsbewegung? Neoliberale und pseudolinke Politiker und Journalisten - also genau jene, die für Ungleichheit und darum für Rechtsruck und Politikverdrossenheit verantwortlich sind. Und jene, die in ihren Medien die Angriffe auf den Sozialstaat lange gerechtfertigt haben. Jakob Augstein ist eine der wenigen (wenn auch sprunghaften) Stimmen in diesem Medien-Mainstream, die wenigstens hin und wieder aus der breiten etablierten Koalition gegen "#Aufstehen" ausscheren: "Wenn in Deutschland einer für Gerechtigkeit aufsteht, fangen die anderen erst mal an zu murren", verteidigt er aktuell die neue Sammlungsbewegung. Er weiß auch, warum sowohl pseudolinks als auch transatlantisch orientierte Journalisten-Kollegen das Projekt nun schlecht reden: Niemand lasse sich "gern das eigene Versagen vor Augen führen".
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