von Andreas Richter
Am 8. August hat sich der Beginn des Kaukasuskrieges zum zehnten Mal gejährt. Am Morgen des 8. August 2008 hatten georgische Truppen eine Offensive zur Rückgewinnung Südossetiens gestartet. Nach dem Eingreifen Russlands erlitten die Georgier eine vernichtende Niederlage. Dieser Ablauf der Geschehnisse wurde durch eine internationale Untersuchungskommission unter der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini bestätigt, die nach Ende des Krieges im Auftrag der Europäischen Union dessen Ursachen untersuchte.
Die deutschen Medien nahmen den Jahrestag zum Anlass, wieder einmal über den Konflikt zu berichten. Das hierbei zu beobachtende Narrativ allerdings stellt den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse weitgehend auf den Kopf. Tendenziell werden die Georgier als Opfer, die Russen als Aggressor dargestellt.
Wenn der georgische Angriff überhaupt erwähnt wird, dann so, dass man Mitleid mit dem Angreifer bekommt. So heißt es bei heute.de:
Nach zahlreichen Provokationen hatte sich der damalige Präsident Michail Saakaschwili zu einem Angriff auf das abtrünnige Südossetien und Abchasien hinreißen lassen.
Die Süddeutsche Zeitung gebraucht auch das Wort hinreißen. Wer sich zu etwas hinreißen lässt, ist nicht wirklich bösartig. Michail Saakaschwili, damaliger Präsident und Krawattenknabberer, heute in Georgien strafrechtlich verfolgt, so können wir schließen, hat einen Fehler, aber kein Verbrechen begangen.
Bei den Tagesthemen der ARD klingt das so:
Östlich des Schwarzen Meeres brach in der Nacht zum 8. August 2008 der Kaukasuskrieg zwischen Russland und Georgien aus. Das kleine Georgien, einst Teil des Riesensowjetreiches, kämpfte um seine abtrünnigen Landesteile Abchasien und Südossetien – und verlor!
Armes, kleines Georgien, denkt da der Zuschauer, oder soll es doch denken.
Die Welt schlägt einen anderen Weg ein. Sie gibt sich nicht mit lästigen Einzelheiten ab, sondern spricht mit Georgiern über die Lage im Land. Über den Krieg von 2008 heißt es:
Vor zehn Jahren besetzte Russland Teile von Georgien – ein Trauma für viele Georgier.
Damit wird nicht nur der tatsächliche Verlauf des Krieges auf den Kopf gestellt, auch der Hintergrund der Konflikte um Südossetien und Abchasien und die Rolle der Osseten und Abchasen selbst werden völlig ignoriert. Beide Regionen waren autonome Teilrepubliken Georgiens, hatten sich aber Anfang der 1990er Jahre von Georgien gelöst, als die georgische Regierung nach Erlangung der Unabhängigkeit versuchte, die Autonomie dieser Regionen gewaltsam aufzuheben und sie zu assimilieren. Aber Osseten, Abchasen, der georgische Nationalismus – alles viel zu kompliziert für die deutschen Medien. Für sie sind es immer die Russen.
Bei den Opfern wiederum gibt es nur Georgier. Immer wieder kommen vertriebene Georgier zu Wort und klagen über ihr Schicksal, das tatsächlich traurig genug ist. Nur: Warum kein Wort über die Opfer der anderen Seite? Keines über die bei der Beschießung Zchinwalis ums Leben gekommenen Zivilisten, über die getöteten russischen Soldaten, die dort im Rahmen einer Friedensmission stationiert waren?
Am schönsten berichtet wieder einmal die Bild, für die Julian Röpcke ein Interview mit dem georgischen Präsidenten Giorgi Margwelaschwili führt. Gemeinsam schweben die beiden harmonisch durch eine Art historisches Paralleluniversum. So fragt Röpcke:
Im August 2008 verloren Sie in nur fünf Tagen Krieg 20 Prozent ihres Landes. Wer trägt dafür die Verantwortung?
Die Antwort des Präsidenten:
Wenn die Streitkräfte eines Landes die Grenze eines anderen Landes überschreiten und angreifen, bedeutet das schon der Definition nach, dass in dem vorrückenden Land die Entscheidung zugunsten von Krieg und Aggression gefallen ist. So war es im August 2008.
Die "hybride Besetzung" dieser zwei Regionen habe schon Anfang der neunziger Jahre stattgefunden, seitdem führe Russland gegen Georgien einen hybriden Krieg. Der Westen habe Russlands Krieg toleriert, eine Mitgliedschaft in der NATO aber würde die Lage im Land verbessern.
Alles an diesem Gespräch ist schief: Das Territorium der Sezessionsrepubliken hatte Georgien schon vorher verloren, bzw. als unabhängiger Staat nie wirklich besessen. Russland war 2008 nicht der Aggressor und hatte in den Kriegen der neunziger eine eher vermittelnde Rolle inne. Die NATO-Aktivitäten in Georgien waren 2008 ein Beitrag zur Eskalation, dass die NATO Georgien heute zu einem Abschnitt ihrer Front gegen Russland macht, lässt wenig Gutes befürchten.
Schon 2008 war die Berichterstattung der deutschen Medien über dem Krieg im Kaukasus bis auf wenige Ausnahmen sehr einseitig. Das damals präsentierte Bild hatte mit dem tatsächlichen Geschehen nicht viel zu tun, auch die Ergebnisse der Tagliavini-Kommission wurden eher widerwillig zur Kenntnis genommen.
Dieses Spiel wiederholt sich nun zum Jahrestag des Krieges. Die deutschen Medien zeigen fast nur atemberaubend einseitige und unterkomplexe Darstellungen des Konfliktes. Das ist nicht neu. Es zeigt nur einmal mehr, wie sehr sie ihre eigentliche Aufgabe aus den Augen verloren haben und so selbst zum Teil des Problems geworden sind.
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