von Andreas Richter
Sahra Wagenknechts Sammlungsbewegung "Aufstehen" ist noch nicht gegründet. Seit dem 4. August ist die Internetpräsenz der Bewegung freigeschaltet, auf der einige Videos mit Statements von Unterstützern zu sehen sind. Das mediale Echo auf die entstehende Bewegung aber ist erheblich, und es ist, wenig überraschend, überwiegend negativ. Ganz vorne in der Schar der Kritiker: die Bild.
Ist die Initiative von Sahra Wagenknecht so weit links, dass sie schon wieder rechts ist?
So beginnt der Artikel, in dem Bild versucht, die Wagenknecht-Bewegung dadurch zu diskreditieren, dass sie als rechtsextrem dargestellt wird. Dabei wird wieder einmal mit Verdrehungen und Unwahrheiten gearbeitet.
Zwar kommt Wagenknecht zu Beginn selbst zu Wort, dann aber sind die Kritiker an der Reihe. Die Führung übernimmt hier der Historiker Michael Wolffsohn. Der emeritierte Professor der Universität der Bundeswehr München hatte es vor Jahren in die Schlagzeilen geschafft, als er vorschlug, das Eiserne Kreuz als Orden in der Bundeswehr einzuführen, oder als er die "Ossifizierung" der Bundeswehr beklagte, die Gefahr liefe, zu einer "Unterschichtenarmee" zu werden.
Auch im Bild-Artikel geht Wolffsohn gleich in die Vollen und vergleicht Wagenknechts Bewegung mit der NSDAP:
Wenn ich 'BEWEGUNG' höre, klingeln bei mir alle Alarmglocken. Die Nazis legten seinerzeit auch Wert darauf, keine herkömmliche Partei zu sein, sondern 'Bewegung'. Wissen das Wagenknecht und ihre Mit- plus Nachläufer nicht? Wollen sie ganz bewusst und scheinbar unverfänglich solche Gedankenverbindungen herstellen? Wollen sie damit signalisieren, dass sie die bessere AfD wären? Also eine Partei der 'kleinen Leute'. Sozial. Und natürlich (siehe 'Bewegung') national. Also national-sozial.
Und weiter:
Da sich Frau Wagenknecht als Sozialistin bezeichnet, bewirkt das phrasenhafte Mischmasch des Internetauftritts auch ohne Gedankenkrücken wohl nicht zufällig Gedankenbrücken zum Begriff 'National-Sozialismus' oder gar Nationalsozialismus. Davon hatten Deutschland und die Welt genug. Selbst ohne Krieg und Holocaust nie wieder das!
Wolffsohn diskreditiert dann einzelne Unterstützer von "Aufstehen", die der Bewegung als Tarnmittel dienten: eine Journalistin mit syrischen Wurzeln und einen farbigen DJ, weil die Bewegung, wir wissen es dank Bild, ja flüchtlings- und also ausländerfeindlich sei, und einen Pastor, weil die Evangelische Kirche "alles andere als NS-immun" gewesen sei.
Wolffsohns Fazit:
Im Vergleich zu dieser 'Bewegung' sind alle unsere traditionellen Parteien ein Gottesgeschenk.
Bild-Chefredakteur Julian Reichelt twitterte umgehend seine Zustimmung.
Was lehren uns diese Tiraden? Erst einmal zweierlei.
Zum einen, und das ist nicht neu: Wenn darum geht, den politischen Gegner zu verunglimpfen, ist der Bild und ihren Gewährsleuten noch jedes Mittel recht. Die Formulierung "so links, dass es schon wieder rechts ist", die Gleichung national plus sozial gleich nationalsozialistisch, all das ist offensichtlich widersinnig.
Den Begriff der Bewegung exklusiv mit den Nazis in Verbindung zu bringen, als hätte es vorher und nachher keine Arbeiterbewegung, Frauenbewegung und Bürgerbewegung gegeben, ist unanständig, ebenso wie das Unmöglichmachen eines Pastors wegen der NS-Verbindungen seiner Kirche. Wäre es Bild und Wolffsohn eingefallen, das gegen Pastor und Ex-Bundespräsident Joachim Gauck vorzubringen? Dessen familiärer Hintergrund hätte das immerhin nahegelegt. Es geht darum, Dreck zu werfen, in der Hoffnung, dass irgendetwas hängenbleibt.
Mehr zum Thema - Anmerkungen aus linker, queerer Sicht zum offenen Brief des LSVD an Sahra Wagenknecht
Zweitens, und das kommt doch etwas überraschend: Der Historiker Michael Wolffsohn hat offenbar keine Ahnung, wovon er hier spricht. Oder er tut so. Denn er nimmt die Nazi-Propaganda für bare Münze. Die NSDAP nannte sich Bewegung, war aber an eine streng hierarchisch organisierte Führerpartei. Der Begriff "Bewegung" ist hier ebenso Fassade wie die Begriffe "Arbeiterpartei" und "Sozialismus". Diese Begrifflichkeiten im Sinne ihrer Erfinder zu verwenden, heißt auch, ihnen auf den Leim zu gehen. Und Wagenknecht vorzuwerfen, sich mit ihrer Bewegung bewusst in diese behauptete Tradition zu begeben, ist einfach nur lächerlich.
Letztlich kann man Sahra Wagenknecht und ihrer Bewegung nur gratulieren. Wer seine Gegner schon zu solchen Reaktionen verleitet, bevor es überhaupt losgegangen ist, macht wohl gerade einiges richtig. Mal sehen, was den lieben Medien und den etablierten "Gottesgeschenken" als Nächstes einfällt.
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.