Von Thomas Schwarz
Die Evakuierung des anti-syrischen Propagandaprojekts "Weißhelme" liegt zwar schon einige Tage zurück, doch die Debatte darum wurde durch Interventionen etwa des Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Diether Dehm nochmals beflügelt, der auf seiner Homepage schrieb: "Die 'Weißhelme' und die 'Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte' mit Büro in London gehören zu den neueren Kreationen imperialistischer Medienpropaganda."
Diese treffende Charakterisierung lehnten zahlreiche Medien naturgemäß ab. Dabei wurde zweigleisig gefahren: Zum einen wurden "Weißhelm"-Kritiker wie Dehm in die Nähe von Nazis gerückt, zum anderen die mutmaßlichen Kriegsverbrecher zu unschuldigen Opfern stilisiert. Die erste Variante wurde vom als eiskalter Krieger bekannten taz-Redakteur Dominic Johnson infam umgesetzt. In seinem Kommentar schreibt er: "Was manche Assad-Claqueure von sich geben, von der Gleichsetzung aller Demokraten mit dem IS bis hin zur Leugnung der Massenverbrechen des Regimes, gleicht in der grotesken Methodik der Holocaustleugnung."
Die zweite Variante praktizierte die Zeit: "Bei früheren Transporten aus Ostduma, Aleppo oder Homs wurden viele von ihnen gezielt aus den Fahrzeugen geholt und so lange gefoltert, bis sie gestanden, bezahlte Agenten des Westens zu sein und falsche Giftgasangriffe inszeniert zu haben", schreibt Martin Gehlen in der Wochenzeitung, als gebe es nicht starke Indizien für diese Sichtweise auch jenseits angeblicher "syrischer Folter-Verhöre". Doch Gehlen verfügt scheinbar über Informationen direkt aus "Assads Verliesen" - schade, dass er keine Quelle dafür angibt.
Die "Weißhelme", die Zeit und die Leser-Revolte
"Für den Diktator (Syriens Präsident Baschar al-Assad) sind die Nothelfer, die seit 2013 nach Luftangriffen Verschüttete bergen, nichts anderes als verkappte Al-Qaida-Extremisten", stellt Gehlen noch empört fest. Doch viele eigene Leser fühlen sich bei dieser Einordnung der "Weißhelme" dem "Diktator" scheinbar näher als dem "Journalisten". Die Kommentierung unter seinem Artikel bzw. deren Löschung ist sehenswert: Die ersten Kommentar-Seiten sind nach Löschungen so gut wie leer - übrig sind fast nur die vereinzelten Anti-Assad-Tiraden. Diese Zensur könnte wütend machen - sollte sie aber nicht, im Gegenteil, wie ein Leser treffend schreibt: "Es ist schon verrückt, oder? Da will man einen netten Artikel über die heldenhaften Weisshelme veröffentlichen und dann muss man das Forum unter Überwachung stellen, weil einfach der Leser von heute so gut informiert ist, dass er im Forum das ganze nette und mühsam zusammengezimmerte Image einfach auseinandernimmt. Medien sein ist nicht mehr so leicht, wie einst …" (Rechtschreibung wie im Original; Anm. d. Red.)
Dieser Leseraufstand macht tatsächlich Hoffnung und lenkt den Fokus auf das Phänomen einer allgegenwärtigen Propaganda, die zum Teil ihre Wirkung verloren hat, wie etwa Umfragen zum deutsch-russischen Verhältnis kürzlich gezeigt haben. Leider werden diese leisen Hoffnungen durch eine aktuelle Hiobsbotschaft stark relativiert: Außenminister Heiko Maas ist angeblich der beliebteste Politiker in Deutschland. Das muss man erst einmal verarbeiten.
Russland und die vielstimmige Propaganda
Diese verstörende Geschmacksverwirrung vieler Bürger führt zum Thema Russland, dem sich in dieser Woche einmal mehr die Propaganda aus verschiedensten Quellen gewidmet hat: Die EU fordert dieser Tage mit Verweis auf angebliche ausländische "Einmischungen" politische Zensur im Internet: "Politische Werbung" solle "im Netz" beschränkt werden. Viele Medien schreiben angebliche Hacker-Angriffe auf WDR und ZDF der angeblich russischen Gruppe "Sandworm" zu. Und das Magazin IPG der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung fordert ein Ende des "Augenzwinkerns Richtung Moskau" und behauptet: "Dialog hat Grenzen".
Den größten Raum nahm aber Facebook und seine mit der transatlantischen Lobby-Gruppe Atlantic Council durchgeführte "Analyse" von Nutzerkonten ein. Von den Millionen Accounts wurden ganze acht Facebook-Seiten, 17 Profile sowie sieben Instagram-Accounts gelöscht, berichtet der Spiegel und viele andere Medien.
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Auf welch absurdem Niveau sich diese Artikel zum Teil bewegen, zeigt stellvertretend ein Absatz aus dem genannten Spiegel-Artikel: "Ihre Ergebnisse müssen nicht einmal im Detail korrekt sein, um ein Bild davon zu zeichnen, von was für perfiden und langfristig ausgelegten Manipulationsversuchen in sozialen Netzwerken die US-Amerikaner ausgehen." Die Nachdenkseiten schreiben dazu: "Demnach geht es nicht um echte Verstöße, sondern darum, von was 'die US-Amerikaner' nach monatelangen anti-russischen Medienkampagnen mittlerweile 'ausgehen' – auch ohne dafür harte Beweise gesehen zu haben."
Wagenknechts Sammlungsbewegung - Mediale Häme und Heuchelei
Das mediale Rezept gegen die dieses Wochenende startende Sammlungsbewegung "#aufstehen" der Linke-Fraktionsvorsitzen Sahra Wagenknecht scheint nicht die polemische inhaltliche Konfrontation zu sein. Stattdessen wird zweigleisig gefahren. Zum einen wird eher sachlich, aber beständig die angeblich mangelnde Unterstützung für das vielversprechende Projekt betont, wie es die Nachrichtenagentur dpa stellvertretend für zahlreiche Medien praktiziert: "Auf prominente Sympathisanten scheint 'Aufstehen' aber vorerst verzichten zu müssen." Dabei schreckt dpa zum einen nicht vor Altersdiskrimminierung zurück: "Bei den bisher bekannt gewordenen Namen handelt es sich etwa um die 75-jährige Grüne Antje Vollmer." Zum anderen wird immer wieder der lange bekannte Fakt als neu und relevant verkauft, dass Wagenknechts Intimfeinde in der Parteispitze nicht an Bord sind: Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger würden das Projekt "strikt ablehnen".
Die Welt wiederum steht für die bekannte Stoßrichtung, Wagenknecht als Rechtsaußen darzustellen: Wagenknecht habe in Interviews und Reden immer wieder für "geschlossene Grenzen" plädiert, legen die Springer-Journalisten der Politikerin in fragwürdiger Zuspitzung in den Mund. Zusätzlich sollen die Erfolge der in zahlreichen Nachbarländern praktizierten Sammlungsbewegungen nicht auf Wagenknecht abfärben, worum sich etwa die Stuttgarter Zeitung bemüht: "Dass 'Aufstehen' eine Dynamik entfaltet wie die Bewegung von Corbyn in Großbritannien, Mélenchon in Frankreich oder Sanders in den USA erscheint dennoch fraglich. Denn Wagenknecht und Lafontaine polarisieren, statt zu einen. Sie lassen sich von Ideologien statt Visionen leiten."
Welche Heuchelei von etablierten Journalisten und Politikern gegenüber der gesellschaftlich wichtigen und mit Erfolgsaussichten versehenen Wagenknecht-Bewegung praktiziert wird, verdeutlichen zwei aktuelle Äußerungen: Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat gerade stolz die Parallelen seiner Partei zur Sammlungsbewegung "En Marche" des französischen Präsidenten Emmanuel Macron sowie zur spanischen Sammlungsbewegung "Ciudadanos" verkündet. Zeitgleich beschimpfte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) Sammlungsbewegungen als "eine Gefahr für die Parteiendemokratie", um konkret "#aufstehen" zu diffamieren. Und kein einziger Mainstream-Journalist fühlte sich bislang bemüßigt, diese Widersprüche aufzuzeigen.
Es war nicht alles schlecht …
Die Lese-Empfehlung stammt in dieser Woche erwartungsgemäß nicht aus einer großen deutschen Publikation, sondern aus dem US-Alternativ-Medium Journal Neo, das sich mit der - aus der Sicht neoliberaler Propagandisten - genialen Umdeutung der Begriffe "links" und "rechts" und der daraus folgenden Verwirrung progressiv denkender Bürger beschäftigt. Das Medium schreibt, es sei ein philosophischer Putsch gegen die politische "Linke" durchgeführt worden: "Westliche Wissenschaft, Mainstreammedien und die sichtbarsten Propagandisten versuchten, die Welt davon zu überzeugen, dass 1. die Ideologie gestorben ist oder zumindest irrelevant geworden ist, 2. falls sie nicht gestorben ist, ist die Linke tatsächlich - halten Sie den Atem an - rechts ist! (…) Die '-ismen' wurden bespuckt, insbesondere die linken '-ismen'. Zunehmend wurde die Linke verleumdet und dann mit der extremen Rechten verglichen, sogar mit dem Faschismus. In der Tat, Kommunismus und Faschismus in einem Atemzug zu nennen, wurde enorm gut belohnt. Im Westen lebten Tausende von 'Denkern' und Ideologen, die nichts anderes taten."
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