von Andreas Richter
Man kann, ohne sich dem höchsten, schmachvollsten Vorwurf auszusetzen, seine Klienten nicht verlassen.
Das sagte Gaius Julius Caesar in seiner Rede "Für die Bithynier" vor bald 2.100 Jahren. Man sollte es mit der Suche nach Parallelen zwischen der späten Römischen und der späten Bundesrepublik nicht übertreiben, aber dieses Caesar-Zitat sollten sich die sogenannten Volksparteien dieses Landes hinter die Ohren schreiben. Das heißt, sie hätten es tun sollen, als es noch nicht zu spät war.
Die Union von CDU/CSU hat mit ihrem asylpolitischen Schwenk vom September 2015 – der Grenzöffnung für Flüchtlinge, die einen Massenzustrom zur Folge hatte – die jahrzehntelange Position der Partei zu Asyl und Einwanderung praktisch abgeräumt. Auch wenn heute sowohl CSU als auch CDU längst wieder auf die Zuwanderungsbegrenzung setzen, hat dieser Schwenk für die Union existenzielle Folgen.
Eine große Zahl an Mitgliedern und Anhängern hat sich mit dieser Abkehr von einer jahrzehntelangen Kernposition ihrer Partei nicht abfinden können und ist zur AfD abgewandert. Auch eine Spaltung von CDU und CSU ist nicht vom Tisch und auf mittlere Sicht nicht unwahrscheinlich. In Umfragen rutscht die Union unter 30 Prozent, sie läuft Gefahr, ihre Stellung als Volkspartei zu verlieren.
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All das erinnert an die andere deutsche Volkspartei, ehemalige Volkspartei, möchte man sagen: die SPD. Diese schwenkte mit ihrer sogenannten "Agenda 2010" in den Jahren nach 2003 auf eine strikt wirtschaftsfreundliche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik um und schaffte mit Hartz IV ein Instrument, das für einen großen Teil der Armut und Abstiegsangst im heutigen Deutschland verantwortlich ist.
Die Folgen sind bekannt: Die Partei verlor an Zustimmung, an Mitgliedern, ein Teil des linken Flügels spaltete sich ab, um mit der PDS zur Linkspartei zu fusionieren. In Umfragen liegt die Partei heute zum Teil hinter der AfD, wenn auch noch immer über der Fünfprozentgrenze.
Die Fälle Union und SPD weisen erstaunliche Parallelen auf: Beide räumen zentrale programmatische Positionen, verlassen, um Caesars Worte zu gebrauchen, ihre Klienten, um in Richtung einer vermeintlichen gesellschaftlichen Mitte zu schwenken. Tatsächlich dürfte diese Mitte eine Illusion sein, es handelt sich eher um eine Art elitären und medialen Mainstream, der als Mitte oder neue Mitte verkauft wird.
Auch die Folgen sind für beide Parteien gleich: Wegbrechen der Basis, Spaltung, Bedeutungsverlust. Eine weitere Parallele ist die, dass beide Parteien die jeweilige Politik (Asyl bzw. Agenda 2010) mit Sicherheit abgelehnt und verhindert hätten, wenn sie sich in der Opposition befunden hätten. Grenzöffnung und Sozialstaatsabbau konnten nur von den Parteien durchgeführt werden, in deren politischen Programmen eigentlich das Gegenteil dieser Maßnahmen gefordert wurde.
Man kann also zu dem Schluss kommen, dass beide Parteien ihre Tradition und ihre Basis verraten und sich den Niedergang redlich verdient haben. Doch es ist fraglich, ob AfD und Linke, gewissermaßen die programmatischen Erben der aufgegebenen Positionen, wirkliche Alternativen sein können.
Zum einen, weil sie ihre eigenen Sollbruchstellen haben, zum anderen, weil politische Parteien insgesamt zunehmend als leere Hüllen erscheinen, die ihre Rolle bei der politischen Willensbildung nicht mehr wirklich ausfüllen können. Nur ist auch nicht zu sehen, wer das sonst leisten könnte. Und hier haben wir vielleicht doch eine Parallele zur Römischen Republik. Keine sehr ermutigende.
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