von Dr. Kamran Gasanow
Donald Trumps Amtsantritt als US-Präsident hatte die Elite der Europäischen Union ernsthaft alarmiert. Aber was Trump in den letzten Monaten macht, gibt Anlass dazu, nicht mehr nur von Sorgen, sondern geradezu von Rissen im transatlantischen Block zu sprechen. Nicht umsonst sagte kürzlich Generalsekretär Jens Stoltenberg offen, dass die NATO in Gefahr sei.
Die Parade der "Schläge" Trumps an Europa endete nicht mit Iran und Jerusalem. Der US-Präsident hat auch bereits den seit langem erwarteten Handelskrieg begonnen, führte 25-prozentige Zinsen auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium aus der Europäischen Union ein. Brüssel reagierte mit Strafzöllen auf amerikanische Jeans und Motorräder der Marke Harley Davidson. Im Gespräch steht jetzt auch eine 20-prozentige Steuer auf Autoimporte aus Europa. Die Europäische Kommission stellt klar, dass der Vergeltungsschlag symmetrisch sein werde und US-amerikanische Autos im Wert von 300 Milliarden Dollar oder 25 Prozent der US-Exporte in die EU ins Visier genommen würden. Nach Schätzungen von Ökonomen werden gegenseitige Hürden Trump nicht helfen, das US-Handelsdefizit mit der EU (150 Mrd. Euro) zu beseitigen, sondern der Produktion in den beiden größten Volkswirtschaften nur schaden.
EU und Volksrepublik China arbeiten an möglicher Front gegen USA
Am 19. Juli fliegt der Kommissionspräsident nach Washington und wird versuchen, den Kongress von der Sinnlosigkeit des Zollkriegs zu überzeugen. Früher hat Juncker sich Rückendeckung gesichert, indem er sich die Unterstützung durch die Volksrepublik Chinas holte. Auch gegen Ende des letzten Monats schickte er seinen Stellvertreter Jyrki Katainen nach Peking. Beim Treffen mit dem chinesischen Vize-Premier Liu He verurteilten beide Seiten gemeinsam den US-amerikanischen Protektionismus. Katainen rief Peking dazu auf, den Zugang europäischer Hersteller zum chinesischen Markt zu erleichtern und das Problem der Überproduktion von Stahl zu lösen. In den Tagen der Reise Junckers nach Washington wird Trump übrigens auch Zölle auf Waren aus der VR China im Wert von 34 Milliarden Dollar in Kraft setzen.
Die Verschärfung der Widersprüche zwischen den USA und der EU, auch ohne das Niveau eines ernsthaften Wirtschaftskrieges zu erreichen, schafft Bedingungen, die Russland instrumentalisieren und für sich profitabel machen kann. Trump machte Merkels Sanktionsallianz bereits ziemlich nervös, als er anbot, Moskau in die G7 zurückzuholen, und verkündete anschließend seinen Wunsch, sich mit Wladimir Putin unter vier Augen zu treffen.
Mehr zum Thema - Putin trifft Trump: Sorge und Empörung vereinen die westliche Wertegemeinschaft
Die europäischen Medien vergleichen den bevorstehenden US-Russland-Gipfel bereits mit dem Handschlag Trumps mit Kim Jong-un. Während Trump gleich nach dem Streit im Rahmen des G7 in Kanada nach Singapur geflogen war, geht es zu Putin nach Helsinki gleich im Anschluss an den NATO-Gipfel in Brüssel, wo der US-Präsident offenbar seine Bündnispartner noch einmal daran erinnern wird, dass die Vereinigten Staaten nicht länger für die Verteidigung Europa bezahlen wollen. Was Europa noch weniger behagt haben dürfte, war die Überlegung des US-Präsidenten, die Wiedervereinigung der Krim mit Russland könnte legal sein.
Russlands Ziel müssen bestmögliche Handelsbeziehungen in alle Richtungen bleiben
Gleichzeitig verliert der Kreml nicht an Tempo bei der Verbesserung der Beziehungen zur EU, die allem Wenn und Aber zum Trotz weiterhin existieren. Brüssel kann sich auf Moskau verlassen, wenn es darum geht, den Freihandel im Rahmen der WTO zu schützen, den Iran-Atomvertrag und das Pariser Klimaabkommen zu erhalten sowie im Nahostkonflikt zwischen Israel und den Palästinenserorganisationen.
Auf der einen Seite nimmt Russland neue Bruchlinien in der NATO mit Genugtuung zur Kenntnis. Jedoch ist es dem Kreml zweifellos auch bewusst, dass ein umfassender Handelskrieg für Russland alles andere als profitabel wäre. Die Europäische Union ist Russlands wichtigster Handelspartner und die VR China ist der Hauptabnehmer russischer Energie. Die Erhöhung der Zölle auf Metalle und Autos sowie anderer damit verwandter Produkte würde zu einem Anstieg der Weltmarktpreise führen, was Unternehmen dazu zwingen würde, mehr Kraftstoff zu sparen. Dies würde die Nachfrage nach Öl und Gas aus Russland verringern. Obwohl die USA nur der zweitwichtigste Handelspartner Russlands sind, sind sie ein wichtiger Markt für russisches Aluminium (25 Prozent der Gesamtexporte) und Stahl (zehn Prozent).
Daher sind die aufkommenden und wachsenden Turbulenzen zwischen den USA und der EU für Russland nur dann von Vorteil, wenn sie mit einer Wiederherstellung der wirtschaftlichen Beziehungen Moskaus mit Washington und Brüssel enden. So ein Szenario erscheint derzeit als unwahrscheinlich, aber nicht als unmöglich. Letztendlich waren bereits das Treffen zwischen Kim und Trump sowie dessen bevorstehender Gipfel mit Putin für viele etwas, das man zuvor nicht für möglich gehalten hätte.
Mehr zum Thema - Goodbye US Army? Trump lässt Kosten eines möglichen Truppenabzugs aus Deutschland prüfen
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.