von Willy Wimmer
Die Bilder aus Singapur sind atemberaubend. Gestern wusste niemand nach Sonnenuntergang, wie die Welt heute nach dem Treffen zwischen dem US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump und dem Staatsoberhaupt von Nordkorea, Kim Jong-un aussehen würde. Diese Ungewissheit hat sich heute gelegt und vielleicht verflüchtigt. Man hat fast den berühmten Song von Frank Sinatra im Ohr, dem zufolge man es auf der Welt überall schafft, wenn man es in New York geschafft hätte. Spricht für Trump und seinen Wagemut, den er sich als Person nicht nur in New York zugelegt hatte.
Der noch vor Monaten als "kleiner Raketenmann" gescholtene Kim Jong-un ist dagegen am Ziel seiner nordkoreanischen Träume, die er in dieser quasi-sozialistischen Erbmonarchie familienseitig von seinem Großvater und Vater mit auf den Weg bekommen hatte, gleichsam genetisch vererbt. Es besteht kein Zweifel mehr an der über Jahrzehnte hinweg angestrebten "gleichen Augenhöhe" zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea. Das "Modell Kim" dürfte auf der Welt Schule machen und einen neuen Handlungsspielraum nicht nur für den US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump schaffen. Er hat den Rückenwind der Geschichte für sich und das im Gegensatz zu vielen anderen Staatsführern, die sich in den Spannungen zwischen unterschiedlichen Staaten gleichsam eingegraben haben und nicht anderes fertigbringen als die Spannungen nur zu vertiefen.
Singapur als möglicher Ausgangspunkt eines neuen Asiens
Alles das, was in Singapur hingelegt wurde, wird jetzt einer Globalüberprüfung unterzogen. Selbst die heute vorgelegte Gipfelerklärung muss erst unter Beweis stellen, dass sie mehr ist als eine flüchtige Momentaufnahme. Ein Indiz dafür dürfte sein, ob und in welchem Umfang in den nordkoreanischen Medien alles so übertragen wird, wie wir es in dieser Nacht und am heutigen europäischen Morgen auch bei den großen internationalen Medienhäusern gesehen haben. Was wird unter Umständen dabei ausgelassen und was wird gegebenenfalls hinzugefügt? Daran wird man sich ebenso festhalten können wie an den aus der Vergangenheit bei beiden Partnern festzustellenden Absetzbewegungen von den angeblich erreichten Vereinbarungen.
In der Luft liegen jedoch auch andere Umstände, die aufhorchen lassen. Das gilt zunächst einmal für Singapur selbst. Dieser Nachweis asiatischer Effizienz findet sich mittlerweile gleichsam in zwei Welten wieder. Schon der ehemalige starke Mann Singapurs, Lee Kuan Yew, hat immer wieder deutlich gemacht, wie eng Singapur dem chinesischen Kosmos verbunden ist. Bei einer gemeinsamen Reise mit Lee Kuan Yew und dem ehemaligen deutschen Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl, zu den "Global-Universitäten" im Süden Chinas konnte ich das miterleben. Auf der anderen Seite befand sich der US-amerikanische Präsident Trump in Singapur geradezu auf heimischem Boden. Die amerikanische Pazifikflotte hat in Singapur fast einen Heimathafen zur Verfügung und bei allen Rivalitäten im Südchinesischen Meer mit China ist dieser Umstand ebenso bemerkenswert wie der Verbleib amerikanischer Nuklearwaffen an Bord amerikanischer Kriegsschiffe, wenn diese im Hafen von Hongkong vor Anker gehen.
Japan nimmt Ergebnis eher zähneknirschend hin
Atmosphärisch hat der Gipfel in Singapur die asiatische Welt verändert. Dazu reicht es, sich die letzten Monate vor Augen zu führen. Trump drohte mit der Vernichtung eines ganzen Volkes. Kim ließ sich nicht lumpen, was eine nicht hinnehmbare Bedrohung des amerikanischen Staatsgebietes anbetraf. Eine Fortsetzung des Korea-Krieges und ein daraus resultierender Weltkrieg schienen nicht ausgeschlossen zu sein. Das wird in jedem Jahr bis zum dafür nötigen vorletzten Schuss bei südkoreanisch-amerikanischen Großmanövern auch so eingeübt. Jetzt aber steht eine Einladung von Kim Jong-un ins Weiße Haus nach Washington an. Dramatischer kann eine Wandlung nicht sein.
Dabei darf man fast davon ausgehen, dass die Erziehung von Kim Jong-un in der Schweiz so nachhaltige Spuren hinterlassen hat, dass in der Kombination mit asiatischer Höflichkeit keine exzentrischen Ausschläge zu erwarten sein dürften.
Aber eines ist in Singapur klargeworden. Der südkoreanische Präsident Moon Jae-in hat in den letzten Monaten und damit unmittelbar nach seiner Wahl eine atemberaubende Dynamik entwickelt. Das kann man nur, wenn es nicht nötig ist, sich in eine bedeutende Materie erst einarbeiten zu müssen. Die machtvolle Anwesenheit amerikanischer Truppen in Südkorea und die aufgezwungene Stationierung amerikanischer Abfangsysteme haben auch ihn nicht hindern können, weltpoltische Umstände zu nutzen. Im Zweifel galt für ihn "Korea zuerst", im Zweifel auch ohne Abstimmung mit Tokio.
Tokio scheint ohnehin am Straßenrand zu stehen und mehr oder weniger ungefragt den Ereignissen in Singapur zuschauen zu dürfen. Selbst japanische Beobachter der Szenen von Singapur waren nicht in der Lage, andere Argumente als solche zu finden, die Sand ins Getriebe hätten streuen können. So ganz anders als das für China und die Russische Föderation gesagt werden kann. Kim Jong-un war in Peking sichtbar genug, Präsident Putin fährt demnächst nach Nordkorea. Ein möglicher Nuklearkrieg auf der Koreanischen Halbinsel und die daraus resultierende potenzielle Betroffenheit von Russisch-Fernost haben die Konfliktlage für alle Beteiligten deutlich gemacht. Rechtzeitig zum Gipfel Kim/Trump kam auch die Warnung von Putin/Xi, keine völkerrechtswidrigen Kriege der USA und ihrer Hintersassen als Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen mehr hinnehmen zu wollen. Deutlicher konnte man es nicht sagen.
Wird der Singapur-Gipfel eine jahrzehntelange US-Strategie wandeln?
In trockenen Tüchern ist nach der Gipfelerklärung, die Trump und Kim der Welt präsentieren konnten, zunächst nichts. Die Fallstricke kommen erst jetzt. Sie bemessen sich in den Vereinigten Staaten danach, wie die Nebenregierung im Kongress ihre Möglichkeiten bewertet, das bisherige Konzept der "Amerikanisierung des Globus" umsetzen und fortführen zu können. Änderungen der Militärpräsenz in Südkorea verschärfen die Neigung, sich zum "MacArthur" gegenüber dem eigenen Präsidenten aufzuschwingen. Gerade wegen des amerikanischen Verhaltens in Asien hat der ehemalige amerikanische Oberbefehlshaber, General Douglas MacArthur, sich auf der Pazifikinsel Guam in bemerkenswerter Weise seinem Präsidenten Truman gegenüber aufgespielt, von der Forderung nach einem Einsatz von Nuklearwaffen in Korea und gegen China ganz zu schweigen.
Das Modell "General Patton" ist in den USA hoffähig geworden und wird von der aufmerksamen Weltgemeinschaft unter die Lupe genommen werden. Kim Jong-un wird bedenken, wo der Niedergang Nordkoreas als erstem Opfer der weltweiten Klimaveränderung über das Wetterphänomen "El Nino" und eines nuklearen Vernichtungsschlages der USA hätte enden können und sollen. Bei Präsident Trump wird man sehen können, ob der Weg der Vereinigten Staaten, seit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 auf Krieg gegen andere Staaten zu setzen, in Korea ein Ende findet. Dann wird auch die Frage danach zu beantworten sein, ob derjenige, der es in Singapur geschafft hat, Ähnliches auch mit Blick auf den Iran und Israel zustande bringen wird. Diejenigen, die noch nicht einmal die eigenen Grenzen schützen können oder ein Flughafen bauen können, stehen hingegen da, wo sie hingehören: in der Schmoll-Ecke.
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