von Wladislaw Sankin
Was hat Kafka mit Krim-Tataren zu tun? Mehr als man vermutet, wenn man der Veranstaltungsliste der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit folgt. In Hamburg wurde am 16. Mai der Film "Prozess. Der russische Staat vs. Oleg Senzow" des russischen Dokumentarfilmers Askold Kurow aufgeführt – in Deutschland zum wiederholten Mal. Mit seinem Streifen wollte Kurow die kafkaeske Absurdität des russischen Gerichtsystems am Beispiel des Prozesses gegen den Gegner des Krim-Anschlusses und Maidan-Aktivisten Oleg Senzow aufzeigen.
Der Prozess endete mit einem Urteil gegen Senzow und drei weitere Personen im August 2015: Senzow bekam mit 20 Jahren die längste Haftstrafe. Nach der Filmaufführung schwärmte die ukrainische Politaktivistin krimtatarischer Abstammung Tamila Tasheva bei einer Podiumsdiskussion mit der Gründerin des Zentrums Liberale Moderne Marieluise Beck, der Häftling Senzow solle sich ein Beispiel am Anführer der Medschlis des Krimtatarischen Volkes, Mustafa Dschamilew, nehmen. Dieser soll noch zu Sowjetzeiten in den frühen 1980er Jahren gegen seine Inhaftierung mit einem 303-tägigen Hungerstreik protestiert haben.
Seit seiner Premiere auf der Berlinale im Februar 2017 tourt der Film durch Deutschland und wird dann gezeigt, wenn das öffentliche Interesse an der Causa Senzow abnimmt. Dieses sollte laut Marieluise Beck wegen der russischen Ungeheuerlichkeiten im Ukraine-Konflikt immer auf der Hut sein. Denn sonst würde das Ende der Sanktionen gegen Russland immer näher rücken, was für Teile der bundesdeutschen Politklasse der schlimmste Albtraum ist.
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Senzow soll laut Beck ein Paradebeispiel der russischen staatlichen Willkür sein. Beck ist überzeugt, dass die belastenden Aussagen der Kronzeugen Alexej Chirnij und Andrej Afanasjew gegen Oleg Senzow von den Ermittlern mit Fäusten und Folter aus ihnen rausgeprügelt wurden. Der Politaktivist Senzow, der proukrainische Demonstrationen organisiert haben soll, sei der Drahtzieher dieser Anschläge. Weil er im Jahr 2011 einen Amateur-Film drehte und 2013 Zuschuss für einen weiteren Film bekam, haben die westlichen Medien Senzow zum renommierten Filmemacher auserkoren. Zahlreiche Solidaritätsbekundungen wie "free#Sencov" der internationalen Filmprominenz folgten.
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Der Film "Prozess", der im Wesentlichen auf Interviews mit den Anwälten und Äußerungen von Senzow im Gerichtsaal basiert, legt die These eines absurden Schauprozesses gegen einen Künstler und alleinerziehenden Vater nahe, obwohl beispielsweise der Foltervorwurf sich nur auf Beschwerden von Senzow und Afanasjew stützt. Auch russische Sicherheitsbedenken zu Zeiten der Krim-Krise im Frühjahr 2014, als sich der Krieg im Süd-Osten der Ukraine bereits anbahnte, werden ins Lächerliche gezogen.
Senzow hat das Urteil gegen sich nicht anfechten lassen, obwohl er seine Schuld nicht anerkennt. Vielmehr sieht er sich in der Rolle eines Kämpfers und Märtyrers. Am 15. Mai begann Oleg Senzow den Hungerstreik im sibirischen Lager, wo er seine Haftstrafe absitzt. Seine Forderung ist die Freilassung der 64 ukrainischen politischen Gefangenen in Russland.
Wenn ich vor oder während der Meisterschaft sterbe, wird es eine große Resonanz geben, und das wird den anderen Politgefangenen nutzen", sagte er seinem Rechtsanwalt Dmitrij Dinze.
Berichte aus der Ferne
Diese Botschaft las die Begründerin der NGO KrimSOS, Tamila Tasheva, vor Zuschauern in Hamburg vor. Die Maidan-Aktivistin setzt sich aus Kiew aus für die Rechte politisch Andersdenkender auf der Krim ein. Mit ihrer These, dass Russland dort schwere Menschenrechtsverletzungen begeht, bereist Tasheva regelmäßig westliche Staaten und beharrt auf der Sanktionspolitik gegen Russland. Bei Politikern wie Rebecca Harms, Marieluise Beck oder der schwedischen Außenministerin Margot Wallström sowie Journalisten wie Gisela Dornblüth findet sie ein offenes Ohr.
Den UN-Bericht zur Menschenrechtslage auf der Krim, der im Oktober 2017 Russland für angebliche Menschenrechtsverletzungen scharf kritisierte, betrachten ukrainische Lobbyisten als ihren großen Erfolg. Doch nach wie vor haben derartige Dokumente ein entscheidendes Manko: Sie basieren ausschließlich auf den Angaben eines Aktivistennetzwerkes und werden aus der Ferne verfasst.
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Trotz Einladung von der russischen Seite kommen allerdings kaum UN-Vertreter auf die Krim. Auch internationale Menschenrechtsorganisationen meiden die Halbinsel. So besteht eine Pattsituation – die Einpeitscher wollen mit den "Okkupationsbehörden" nicht in Berührung kommen und beschweren sich, dass diese ihnen den Zugang zur Krim versperren. Gleichzeitig wird nach wie vor eine Blockade der Halbinsel gefordert, offenbar damit die Leute, um die sie sich angeblich kümmern, spüren, dass es ihnen auf der ukrainischen Krim besser ging als auf der russischen.
Krim-Tataren: Kein Zwischenfall der Diskriminierung
Besonders oft werden Krim-Tataren als Problem genannt. Laut Parlamentarischer Versammlung des Europarates sollen sie in Russland gar Rassendiskriminierung ausgesetzt sein. Diejenigen, die auf der Krim mit Krim-Tataren arbeiten, halten solche Vorwürfe für haltlose Propaganda. So hat der Leiter der Nichtregierungsorganisation "Die Stiftung zur Entwicklung der Krim", Ünver Sel, im Interview mit RT Deutsch erklärt, was für Gründe diese Propaganda hat und womit tatsächliche Probleme mit der russischen Justiz zusammenhängen.
Im Grunde erstellt die Parlamentarische Versammlung des Europarats einen Bericht über die intentionalen und unwahren Behauptungen von ehemaligen krimtatarischen Politikern in der Ukraine, die natürlich dem Ruf Russlands schaden sollen. Es ist bekannt, dass die Parlamentarische Versammlung des Europarates ähnliche Berichte über viele Länder veröffentlicht, auf die sie Druck ausüben möchte."
Es gebe auf der Krim keinen einzigen Zwischenfall der Diskriminierung, so der Vertreter der großen Krimtatarischen Diaspora in der Türkei. Der Übergang zum russischen Recht habe aber in der Tat dazu geführt, dass viele Vertreter der in Russland als extremistisch geltenden Organisationen wie Hizb-ut-Tahrir in die Ukraine ausreisen mussten, was dann von manchen "Menschenrechtlern" als Verfolgung verbucht wurde.
Ein ähnliches Problem gibt es mit dem sogenannten "Medschlis des Krimtatarischen Volkes", der von Mustafa Dschemilew angeführt wird. Nach der Wiedereingliederung der Krim in die Russische Föderation habe sich die "Kırım Meclisi" nicht nach russischem Recht registrieren lassen. Die russische Staatsanwaltschaft verbot die Organisation wegen der Befürwortung von Extremismus und Terrorismus. Medschlis hat eine Lebensmittelblockade im Jahr 2015 gemeinsam mit den ukrainischen Extremisten vom Rechten Sektor organisiert und bei der Sprengung der Strommasten an der russisch-ukrainischen Grenze auf der Krim mitgewirkt.
Es ist auch zu sehen, dass Europa und der Westen im Allgemeinen eine massive Desinformationskampagne über die muslimisch-krimtatarische Minderheit auf der Krim betreibt. Die USA und andere NATO-Staaten missbrauchen die Krim-Tataren für ihren neuen Kalten Krieg gegen Russland", sagte Sel.
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Krim und Österreich, Putin und Hitler
Auch die Veranstaltung in Hamburg ist ein gutes Beispiel für eine derartige Kampagne. Eine Aktivistin, die sich anmaßt im Namen der Krim-Tataren zu sprechen, den russischen Präsidenten von einem deutschen Podium aus als "blutigen Zwerg" bezeichnet und Extremisten wie Mustafa Dschemilew verehrt, ist Duzfreundin der deutschen Politprominenz wie Marieluise Beck.
Und gemeinsam reden sie über die Zukunft dieser russischen Region - über die Köpfe der tatsächlichen Krim-Bewohner hinweg. Diese sei, laut Beck, ein Problem von langer Dauer. Durch den aufbäumenden russischen Nationalismus sei die Situation auf der Krim mit dem Anschluss von Österreich durch das Dritte Reich im Jahr 1938 vergleichbar. Dieser Vergleich lässt vor allem die Frage offen, welchen Angriffskrieg Russland dann laut Beck vom Zaun brechen müsste, um die Krim nach einer Niederlage wieder abgeben zu müssen? Und ob Russland eine Rassenideologie, die Vernichtung und Versklavung anderer Völker rechtfertigt, besitzt.
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