Grüne und ihr Kampf gegen Russland: Das vormoderne Denken des Zentrums Liberale Moderne

Die den Grünen nahestehende Denkfabrik "Zentrum Liberale Moderne" erweist sich eher als Hort vormodernen Denkens denn als Stätte moderner Aufklärung. Wenn es gilt, gegen Moskau Stimmung zu machen, wird auf Fakten und logisches Denken schon mal verzichtet.

von Gert Ewen Ungar

Es ist eine noch relativ neue Methode, die inzwischen den politischen Diskurs bestimmt: Sogenannte Nichtregierungsorganisationen versuchen an zentralen Stellen die Diskussion zu beeinflussen und zu dominieren. Insbesondere im Bereich der Geopolitik bedienen sie sich unlauterer Methoden und geben damit das Erbe der Aufklärung preis. Es sind eben keine Denkfabriken, in denen tatsächlich gedacht und um Erkenntnis gerungen wird, sondern PR-Agenturen im Dienste einer Ideologie. Herausragendes Beispiel dafür ist das "Zentrum Liberale Moderne", das mit seinen Gründern und den Mitgliedern seines Beirats den Grünen nahesteht.

Vor noch nicht allzu langer Zeit setzte Marieluise Beck, Mitgründerin des Instituts "Liberale Moderne" und ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, ganz große Hoffnungen in Micheil Saakaschwili. Der ehemalige Präsident Georgiens, der in sein Heimatland nicht einreisen kann, weil ihm dort sofortige Verhaftung und ein Prozess wegen Korruption und Veruntreuung droht, wurde vom ukrainischen Oligarchen und Präsidenten des Landes Petro Poroschenko zum Gouverneur von Odessa und obersten Korruptionsbekämpfer gemacht.

Marieluise Beck hielt glühende Reden und schrieb mit glühender Feder glühende Texte. Alles werde nun gut werden in der Ukraine. Schon damals muteten angesichts der schillernden Biographie Saakaschwilis ihre Hoffnungen reichlich naiv an. Sie wischte alle Bedenken beiseite, erklärte sich zur Expertin, alle anderen zu unwissenden Nörglern. Einige tragikomische historische Momente später wissen wir: Sie hat sich völlig getäuscht. Die Konstellation Saakaschwili - Poroschenko war genau so absurd, wie sie auf den ersten Blick schien.

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Auch in die ukrainische Soldatin Nadja Sawtschenko, die wegen Beihilfe zu Mord im Rahmen von Kriegshandlungen in der Ostukraine von einem russischen Gericht zu 22 Jahren Haft verurteilt, dann aber begnadigt und an die Ukraine überstellt worden war, setzte Marieluise Beck große Hoffnungen. Sie galt ihr und auch der grünen Europa-Abgeordneten Rebecca Harms als große politische Hoffnungsträgerin.

Inzwischen sitzt Nadja Sawtschenko in der Ukraine in Haft, weil ihr die Planung eines Anschlags auf die Rada, das ukrainische Parlament, vorgeworfen wird. Die Tatsache, dass Sawtschenko in Russland zeitweise psychiatrisch untergebracht worden war, galt Beck und Co. als politisch motiviert - eine perfide, böse Attacke des russischen Regimes auf eine Heldin im Kampf gegen den russischen Aggressor. Dass mit Sawtschenko etwas nicht stimmt, wird eigentlich zügig klar, wenn man ihr zuhört. Das hat Beck wohl nie getan. Wieder eine volle Bruchlandung.

Dies sind nur zwei Beispiele aus einer Reihe von vielen, die alle eins zeigen: Zur politischen Analystin taugt Marieluise Beck nicht. Es fehlt dazu an ganz viel. In Bezug auf die Ukraine und die politischen Vorgänge dort kann man ihr guten Gewissens Totalversagen bescheinigen. Die Frau hat absolut keine Ahnung, wovon sie spricht.

Doch obwohl sie mit all ihren Prognosen und Prophezeihungen so komplett danebenlag, lässt sie sich von so vernachlässigbaren Kinkerlitzchen wie Fakten oder Realität nicht beirren und gibt weiterhin die Expertin zu Osteuropafragen.

Diese Haltung bezeugt das Vormoderne ihres Denkens, denn es ist gerade ein wesentliches Merkmal modernen Denkens, insbesondere die eigenen Fehler zu analysieren und die angewandte Methode entsprechend anzupassen. Marieluise Beck ist dieser hermeneutische Zugang zur Welt verschlossen. Ihr Denken bleibt in der Voraufklärung stecken.

Postulieren statt beweisen

Zuletzt durfte sich Beck im Deutschlandfunk zum Fall Skripal äußern. Das Interview wurde bereits im März geführt. Inzwischen kann man sehen, zu welch hanebüchenem Unsinn sich Beck hier hat hinreißen lassen. Da werden alle rechtsstaatlichen Prinzipien und alle Grundlagen internationalen Rechts über den Haufen geworfen. Da redet sie in Bezug auf eine Schuld Russlands in transatlantischem Gehorsam von "hoher Plausibilität". Schon damals war klar, dass von hoher Plausibilität keine Rede sein konnte, und je weiter das Ereignis zurückliegt, umso weniger plausibel erscheint eine tatsächliche Verwicklung des politischen Russlands in diesen Fall. Marieluise Beck entwirft hier das Paradebeispiel einer Verschwörungstheorie. Gerade weil man Russland nichts beweisen kann, muss es Russland gewesen sein. Die Logik, der Beck folgt, ist die scholastische Logik eines Hexenprozesses – vormodern eben.

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Aber auch ihr Lebenspartner Ralf Fücks, ehemaliger Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung, macht es kaum besser. Auch er bedient sich der Methode "postulieren statt beweisen". Behaupten statt argumentativ herleiten. Alles, was nicht zum Dogma passt, wird ausgeklammert, fällt unter den Tisch, wird negiert.

Unter seiner Leitung hat das Zentrum Liberale Moderne beispielsweise eine Konferenz unter dem Titel "Das System Putin und die Russland-Politik des Westens" abgehalten. Wer bei dieser Konferenz was gesagt hat, erfährt man nicht. Das Zentrum verschleiert eine Zuordnung durch die Chatham-House-Rules. Was sich hochtrabend anhört, ist ganz einfach: Die Teilnehmer wollen nicht, dass ihre Beiträge ihnen persönlich zugeordnet werden können. Aus gutem Grund, denn so lässt sich ungestraft der krudeste Blödsinn behaupten, ohne sich jemals dafür rechtfertigen zu müssen. Offensichtlich wurde genau das getan: Unsinn gefaselt.

So konnten sich die Teilnehmer nicht einigen, ob es sich bei Russland um ein "hybrides Regime" handelt oder ob man besser von einer "Kleptokratie" sprechen sollte. Klar ist jedoch, Russland ist ziemlich scheiße – und das auch noch auf ganzer Linie. Das Zentrum Liberale Moderne pflegt den undifferenzierten Blick – vormodern eben.

Auch Fücks erleidet mit seinen Analysen und Prognosen in Bezug auf Russland genauso häufig geistigen Bankrott wie seine Lebensgefährtin. Und auch er ist tief dem Denken der Voraufklärung verpflichtet. Eine Korrektur oder gar Überprüfung von Fakten ist in seinem Denken ebenfalls nicht vorgesehen. Die Erde ist eine Scheibe, weil jeder weiß, dass die Erde eine Scheibe ist, und das schon immer so war. Und Russland und der Russe sind böse, korrupt, verschlagen und aggressiv. Das weiß man eigentlich spätestens seit der Einführung der Eugenik im 19. Jahrhundert. Das eigene Dogma steht niemals infrage.

Entsprechend postulieren beide höchst umstrittene Thesen als Fakten. Wer hat die malaysische Passagiermaschine MH17 über der Ostukraine abgeschossen? Der Russe war's. Gibt es russische Soldaten in der Ostukraine? Klar, Tausende, auch wenn die OECD-Beobachter was anderes sagen. Wer ist für den Tod von Boris Nemzow verantwortlich? Putin natürlich, der Prozess gegen Nemzows Mörder war nur Show. Warum? Weil er einer der wichtigsten Oppositionspolitiker war? Mit ein bis zwei Prozent Stimmenanteil? Nicht euer Ernst, oder? Doch! Es ist ihr Ernst.

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Russland habe sich in die US-Präsidentschaftswahlen eingemischt. Der beste Beweis dafür ist, dass man es nicht beweisen kann. Nicht für die soziopathische, kriegsgeile und absolut unsympathische Hillary Clinton zu stimmen, kann nicht die freie Entscheidung der Wähler gewesen sein. Da muss Russland dahinterstecken.

In Russland grassiere die Korruption, bei uns sei das kein Thema. Warum nur schafft es dann die Russische Föderation, in Simferopol einen Flughafen in 22 Monaten zu bauen, während bei uns auf dem Berliner Flughafen BER noch immer keine Passagiere abgefertigt werden?

In Russland sind die Wahlen und die Medien nicht frei, allerdings ist bei uns der Einheitsbrei sowohl in den Parteien als auch in den Medien deutlich größer und die Breite des Sagbaren deutlich schmaler als in Russland. Und dennoch! Einen Fücks ficht das nicht an. Quellenkritik? Absolute Fehlanzeige. Überprüfung der eigenen Annahmen? Wozu sollte das gut sein? Das verwirrt nur.

Gefangen in den eigenen Vorverurteilungen und den eigenen Dogmen, scheitert das Zentrum Liberale Moderne daher beständig, wenn es um das Erfassen von Zusammenhängen geht. Entsprechend bleibt dem Zentrum die Krise der westlichen Gesellschaften ein Rätsel. Wir, so das Postulat des Zentrums, leben in freien Gesellschaften, in funktionierenden Demokratien. So ist es nun mal.

Jedem klar denkenden Menschen, der sich auch nur ein bisschen mit dem Zustand westlicher Gesellschaften befasst hat, liegt bei solch einer steilen These sofort ein "Aber" auf der Zunge. Die in ihrem liberalen Elfenbeinturm Lebenden übergehen dieses "Aber" geflissentlich. Wie gesagt: Differenzierung ist nicht ihre Stärke.

Ihre These bleibt: Wir leben in diesen liberalen Zeiten, in Demokratien, die Teilhabe und Repräsentation sichern, doch die Menschen wenden sich aus eigenem Unvermögen von dieser im Grunde besten aller möglichen Welten ab. Schuld daran trage unter anderem Russland, das versuche, den Westen zu spalten. Das Weltbild der Liberalen um Fücks und Beck ist erschreckend naiv und realitätsfern.

Der Balken im eigenen Auge 

Fücks veröffentlichte auf der Webseite des Zentrums einen Text, der von diesem Mangel an analytischer Kraft Zeugnis ablegt. Die Gefahren, denen sich westliche Demokratien ausgesetzt sehen, kämen, so analysiert Fücks, von außen; aber auch von innen. So seien beispielsweise Russland und China als autoritäre Regime eine Gefahr für westliche Demokratien. Die Gefahr käme auch von innen: Der Brexit, die Wahl Trumps und das Erstarken rechter, populistischer Kräfte seien die Bedrohungen.

Die Frage, wie es zu diesen Verschiebungen kam, beantwortet Fücks nur unbefriedigend. Es sei die Globalisierung, die vielen Angst mache. Globalisierung ist für Fücks kein politischer Prozess, der einer Gestaltung unterliegt. In Fücks' Vorstellung ist Globalisierung ein schicksalhaft gegebenes Ereignis. Das ist absolut falsch. Globalisierung wurde politisch hergestellt, dem Druck, der sich mit dem Begriff verbindet, wurden westliche Gesellschaften absichtsvoll ausgesetzt.

Fücks nennt drei signifikante Ereignisse, die viele Menschen in Unsicherheit zurückgelassen hätten: die Terroranschläge vom 11. September 2001, die Finanzkrise und die Flüchtlingsströme.

Das ist alles bestenfalls halbwahr und unvollständig. Die neoliberale Wende, das Schleifen sozialer Errungenschaften durch sogenannte Reformen, in Deutschland namentlich die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze, der Austeritätskurs mit Schuldenbremse und Verarmungsregime in den europäischen Krisenstaaten bestimmen das Leben und die Lebensperspektive in Deutschland und Europa viel stärker als die von Fücks genannten Ereignisse. Was er daher nicht sieht, ist, dass es der Liberalismus selbst ist, der den Rechtsruck westlicher Gesellschaften bereitet hat. Der Liberalismus ist der noch fruchtbare Schoß.

Man muss sich einfach entscheiden, ob man unglaublichen Reichtum für wenige oder eine demokratische, solidarische Gesellschaft haben möchte. Beides zusammen geht nicht. Der Liberalismus übersieht diese einfachen Zusammenhänge.

Fücks und Beck vergessen auch zu erwähnen, mit welchem Versprechen die Demokratie angetreten ist. Ziel ist es im Idealfall, über den demokratischen Diskurs Kompromisse zu finden, mit denen möglichst alle möglichst gut leben können. Von diesem Ideal haben sich die westlichen parlamentarischen Demokratien weit entfernt. Sie berücksichtigen nachweislich die Interessen der unteren und mittleren Einkommensschichten nicht.

Daher kann es für die Mitglieder dieser Schichten unter Umständen ein Vorteil und damit eine rationale Entscheidung sein, das derzeitige parlamentarische System zugunsten eines anderen aufzugeben. Je länger diese Krise der Repräsentation dauert, desto mehr Menschen werden auf die Idee kommen, dass in einem anderen System als dem, das sich demokratisch nennt, die Chancen der Repräsentation eventuell höher sind.

Ob man da dann mitbestimmen kann oder nicht, ist der Logik nach nicht so wichtig, denn mitbestimmen kann die überwiegende Mehrheit auch heute schon nicht. Das ist die bittere Erkenntnis der letzten Dekaden des Neoliberalismus mit der damit verbundenen Wende zur Postdemokratie. Das ist der Rechtsrutsch der westlichen Gesellschaften, das ist die innere Bedrohung. Russland und China haben damit absolut nichts zu tun. Es ist eine innere Erosion, die mit Verschiebungen von Macht und Partizipation an der Macht zu tun hat.

Von all dem will das Zentrum Liberale Moderne freilich nichts hören. Das geht auch gar nicht, denn sollten sich Fücks, Beck und Co. aufmachen und plötzlich für eine vernünftige, solidarische ökonomische Ordnung und eine vernünftige, friedliche eurasische Politik plädieren – die ökonomische Grundlage würde ihnen sofort entzogen.

Sie sind Erfüllungsgehilfen einer Ordnung, die den Krisenmodus dauerhaft installieren möchte, denn nur so ist eine beständige Umverteilung von unten nach oben möglich, nur so können gesellschaftliche Gruppen, Länder und Nationen gegeneinander ausgespielt werden.

Fücks und Beck nennen diese Ordnung liberal und modern – in Wahrheit ist sie zynisch, totalitär, menschenverachtend und kriegstreibend. Die Texte der beiden sind hierfür herausragender Beleg.

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