Von Thomas Schwarz
Wenn der Linken-Politiker Diether Dehm die nächsten Tage ohne Partei-Ausschlussverfahren übersteht, dann hat er alles richtig gemacht. Mit seiner drastischen Wortwahl, der deutsche Außenminister sei ein "NATO-Strichjunge", hat er nicht nur sich selber als Person, Provokateur und Politiker schlagartig in alle Medien der Republik katapultiert und seine Bekanntheit über Nacht signifikant gesteigert. Er hat zusätzlich einer politischen Botschaft zu einer sensationellen Verbreitung verholfen, die ansonsten tatsächlich "im Mainstreambrei" versunken wäre, wie Dehm nun in einem Interview mit der FAZerklärt.
Vor allem Menschen, die mit Dehm sympathisieren, werden in den letzten Tagen den Atem angehalten haben. Zu drastisch, zu unklug und zu riskant erschien dessen Provokation, Heiko Maas bei einer Ostermarsch-Rede als Prostituierten der westlichen Kriegslobby zu bezeichnen. Seine Gegner vom neoliberal-transatlantischen Flügel der Partei die Linke werden sich dagegen schon die Hände gerieben haben: So eine Steilvorlage, um den Rausschmiss eines ungeliebten Genossen voranzutreiben, bietet sich schließlich nicht alle Tage. Schließlich wurde im Laufe der Jahre gegen Dehm vom "Antisemiten" über den "Homophoben" bis zum "Sexisten" bereits die ganze Palette der pseudolinken Diffamierungs-Palette durchgekaut. Bislang ohne Erfolg.
Linke nutzen Populismus – endlich!
Wenn man Dehm böse wollte, so würde man sagen, dass er mit seinem Schock-Zitat zu Maas eine AfD-Taktik nutzt: Eine unerhörte Äußerung tätigen, dann die Reaktionen abwarten, größtmögliche Aufmerksamkeit einsammeln – und sich am Ende (wenn nötig) halbherzig distanzieren. Wenn man es aber positiv beschreiben möchte, könnte man feststellen, dass endlich auch Linke die Kunst der populistischen Strategien erforschen und anwenden. Die Taktik ist eine riskante Gradwanderung, bisher scheint Dehm aber den richtigen Weg gewählt zu haben.
Denn Dehm hat (bisher) nicht nur den Shitstorm gestärkt überstanden und eine ohne die Drastik totgeschwiegene Kritik am Außenminister bekannt gemacht. Er hat zusätzlich ein großes öffentliches Interesse für ein politisches Thema (NATO-Kritik) aufgebaut und hat ein Aufmerksamkeits-Fenster geöffnet, durch das er nun unerhörte Äußerungen in die Mainstream-Medien schmuggeln kann, etwa im aktuellen Interview mit der FAZ:
Es gibt eine Pentagon-Studie aus dem Dezember 2017, in der gesagt wird, nicht die Dschihadisten und nicht die IS-Terroristen seien der Hauptfeind der USA, sondern Russland. Und natürlich geht es auch um ökonomische Konzerninteressen. Es geht also auch um eine Propagandaschlacht für das US-Fracking-Gas und gegen das billigere Gas, also gegen den Bau der russischen Pipeline "Northstream II". [...] Und dies alles spielt mit dem dritten Weltkrieg.
Kriegstreiberei erlaubt – Provokationen verboten
In dem Interview rückt Dehm auch die Relationen zwischen seinem und Maas' Verhalten zurecht, auf die bereits die Nachdenkseitenhingewiesen haben, die schreiben, der reflexartig folgende Shitstorm auf Dehm sei "bezeichnend: politische Korrektheit ist Muss – Kriegstreiberei wird kommentarlos hingenommen". Dehm sagt dazu und zum Verhalten Maas' in der Skripal-Affäre in der FAZ:
Und dass da jetzt Mitglieder der Bundesregierung, statt zu mäßigen und zu vermitteln, sofort als erste Amtshandlung in dieses NATO-Horn blasen, ist gefährlich. Heiko Maas ist ein Volljurist, der die Unschuldsvermutung kennt und auch als Außenminister und oberster Diplomat zur Umsicht angehalten ist. Aber er hat sich allemal so undiplomatisch verhalten wie ich.
Laut Dehm sind die Vorverurteilung Russlands und andere anti-juristische Verhaltensweisen von Maas "lebensgefährlich für den Frieden". Er, Dehm, sei jemand, "der auch als künstlerischer Autor satirisch tätig ist und war, und es ist in dieser brandgefährlichen Situation notwendig, zu alarmieren und wachzurütteln. Notfalls auch per Tabubruch". Zum Prinzip der Provokation fügt er an:
Über die Wortwahl lässt sich streiten. Und ich verstehe auch Kritik daran von Mitstreitern. Man kann das alles auch anders formulieren. Sicher, ich hätte besser NATO-Strichmännchen sagen sollen, damit sich niemand sonst diskriminiert fühlt. Aber eine politdiplomatische, unauffälligere Wortwahl versinkt meist im Mainstreambrei.
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