von Frank Elbe
Nordkoreas Machthaber und der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bedachten einander mit unorthodoxen Wünschen zum neuen Jahr: Kim Jong-un machte die USA darauf aufmerksam, dass er auf seinem Schreibtisch immer einen Atomknopf habe. Donald Trump twitterte gut gelaunt zurück, dass er auch einen habe, aber dass dieser größer und mächtiger sei und auch funktioniere. Zwei Wochen später senkte Trump die Tonart und sprach plötzlich von "einem wahrscheinlich guten Verhältnis zu Kim Jong-un". Er machte jedoch keinerlei Anstalten, irgendjemanden zu unterrichten, auch nicht seine Alliierten, was darunter zu verstehend sei.
Die Alliierten ihrerseits schienen auch gar nicht sonderlich interessiert zu sein. Das kann nicht allein an der noch von Gänsebratenduft und Champagnerperlen geschwängerten Stimmung der Festtage oder den in Deutschland angespannten Nerven über die Unfähigkeit zur Regierungsbildung liegen.
Offenbar besteht seit geraumer Zeit eine schlafwandlerische Gleichgültigkeit gegenüber Fragen von Krieg und Frieden. Anders als zu Zeiten des Kalten Krieges ist die Sorge vor einer nuklearen Katastrophe nicht mehr allgegenwärtig. Folglich gab es auch keine nennenswerten Abstimmungen und Initiativen in Diplomatie und Politik. In den Verhandlungen über die Große Koalition einigte man sich in knöcherner Kommuniquésprache auf ein "Europa des Friedens und der globalen Verantwortung" - ohne einen Ton von Sorge über die Möglichkeiten katastrophaler Fehlentwicklungen. Eine gewisse Ehrenrettung Europas bereitete gerade noch die Entschlossenheit der EU, den Iran-Atomdeal auch gegen den Widerstand der USA zu erhalten.
Ein eingeübter Respekt verbietet mir, Kritik an ausländischen Regierungschefs in die Injurien zu verpacken, die sie in der Sache verdient hätten. Die Gleichgültigkeit der Bundesregierung im Konflikt der USA mit Nordkorea ist jedoch frivol. Es geht bei Fragen bezüglich des Einsatzes nuklearer Mittel letztendlich um das Überleben unseres Planeten. Die Kernwaffen und ihr gewaltiges Zerstörungspotenzial haben die weltweite Außen- und Sicherheitspolitik nach 1945 grundlegend verändert.
Wie von Blindheit geschlagen, fehlt der aktuellen westlichen Politik der Respekt vor den Gefahren der immer noch möglichen nuklearen Konfrontation. Der Historiker Michael Stürmer versteht nukleare Waffen als Instrumente politischer Strukturbildung, denn
sie erzwingen Selbstbeschränkung und Souveränitätsverzicht sowie ein hohes Maß an Berechenbarkeit und Vertrauensbildung. Wer diese Grundtatsache menschlicher Existenz vergisst, handelt bei Strafe des Untergangs.
Was früher als Grundeinsicht in der Ost-West-Auseinandersetzung als richtig galt, hat seinen Sinn durch die Beendigung des Kalten Krieges nicht verloren. Die Dinge sind im Gegenteil durch das Hinzutreten neuer nuklearer Akteure - Nordkorea, Indien, Pakistan u. a. - komplizierter geworden.
Verstärkte Anstrengungen aller Beteiligten - der Nuklearstaaten wie der Nicht-Nuklearstaaten - sind nunmehr erfoderlich, um die offenen Konflikte zu beenden. Dabei gilt zu beachten:
- Nicht-Nuklearstaaten haben aus dem Nichtverbreitungsvertrag einen Anspruch, dass sich die Nuklearstaaten um Reduzierung ihrer Atomwaffen bemühen. Wenn sie diese Verhandlungen nicht nachdrücklich einfordern, können Nicht-Nuklearstaaten zu einer Art Verfügungsmasse wie Bauern auf dem Schachbrett geraten, die in der Regel beim Schach immer als Erste geopfert werden.
- Das Konzept der Vergeltungsdrohung muss weiterhin die konfliktverhütende Abschreckung sein. Wollen wir abschrecken oder wollen wir nuklearen Waffen eine Rolle zur Führung von Kriegen geben? Die Frage schien jahrzehntelang geklärt, als der amerikanische Verteidigungsminister McNamara im Zusammenhang mit der unter Präsident Kennedy eingeleiteten Entspannungspolitik feststellte, dass Kernwaffen keinen anderen militärischen Zweck haben dürfen als mit der Drohung ihres Ersteinsatzes einen Gegner abzuschrecken. Diese Einsicht ist in der Folgezeit häufig hinterfragt worden, so dass Anlass besteht, sie zu stärken.
- Das Atomabkommen mit dem Iran ist nach zähem Ringen der fünf Vetomächte der Vereinten Nationen - USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich - sowie Deutschland mit dem Iran ausgehandelt worden. Im Gegenzug wurden die meisten Strafmaßnahmen aufgehoben. Jetzt geht es darum, dieses Abkommen in seinem Bestand zu sichern - auch gegen die USA.
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