von Gert Ewen Ungar
Es gibt in Deutschland keine tatsächlich linke Bewegung. Es gibt einzelne Personen, die links sind. Eine allgemeine linke Bewegung, die linke Werte und Positionen vertritt, gibt es in Deutschland aktuell aber nicht. Im Gegenteil ist es gelungen, das Attribut "links" in einer Weise umzudeuten, dass diejenigen, die sich selbst unter dieses Attribut subsumieren, die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben, oligarchische und antidemokratische Strukturen befördern und einen westlichen Werte-Imperialismus betreiben.
Mit der Flüchtlingskrise nahm die Diskussion über die Frage, was links und linke Politik ist, an Fahrt auf. Dabei wird ein Riss deutlich, der durch die Gruppen und Bewegungen geht, die sich als links verstehen.
Es zeigen sich zwei, schon auf den ersten Blick grundlegend verschiedene Ansätze. Auch wenn weder die SPD noch die Partei Bündnis 90/Die Grünen als linke Parteien verstanden werden können, da sie sich selbst augenscheinlich als Anwälte einer bürgerlichen Mitte sehen, setzte die Diskussion doch mit diesen Parteien ein. Diese gaben spätestens mit der Regierungskoalition unter Schröder die traditionell linke Verteilungsfrage weitgehend preis und ersetzten sie durch das Konzept der Diversität, der Gendergerechtigkeit und der kulturellen Vielfalt. Diese Entwicklung lässt sich sicherlich weiter zurück verfolgen, doch mit der ersten rot-grünen Koalition im Bund wird dieser programmatische Rechtsrutsch in Regierungshandeln übersetzt.
Verteilungsfragen verlieren an Aufmerksamkeit
Ehemals linke Parteien exekutieren neoliberale Politik unter anderem in Gestalt der Agenda 2010. Unter der rot-grünen Koalition wurden ökonomische Steuerungsinstrumente zugunsten von Diversitätskonzepten wie beispielsweise der eingetragenen Lebenspartnerschaft preisgegeben. Dabei kommt es zu einer neuen Gewichtung. Die SPD trägt die Umsetzung von Diversitätspolitik mit, wenn sie im Gegenzug dafür ihr marktradikales Programm umsetzen kann und die Grünen dieses mittragen.
Das Ausspielen von der Freiheit indivdueller Lebensgestaltung gegen soziale Sicherheit war ein historischer Fehler, der sich in der Bewegung fortsetzt, die sich "Neue Linke" nennt. Denn inzwischen wird in breiten Teilen der linken Bewegungen die ökonomische Frage nicht mehr gestellt oder in sehr schlichter Weise beantwortet.
Im Gegenteil droht das Thema aktuell gerade die Partei "Die Linke" zu zerreißen. Dort stellen Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine beharrlich die Verteilungsfrage in den Mittelpunkt politischen Handelns, während der Flügel um Katja Kipping den Weg der Grünen beschreiten möchte. Sie fordert unter anderem offene Grenzen und ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle.
Wie diese beiden Forderungen zusammengehen können, erklärt sie nicht. Die Forderungen sind einer Modebewegung innerhalb der sich als links verstehenden Bewegungen geschuldet. Sie klingen gut, tolerant, liberal, sozial und gleichzeitig weltoffen. Sie allerdings umzusetzen, wäre nationalökonomischer Selbstmord. Wenn das Wort "Populismus" eine Bedeutung hat, dann hier. Es inhaltlich völlig unsinnig, was Kipping fordert und hoffentlich nur einer PR-Überlegung geschuldet. Das allerdings würde bedeuten, dass sie ihre potenziellen Wähler an der Nase herum führt. Wäre es ernst gemeint, wäre es jedoch noch schlimmer. Es wäre ein Zeichen völliger ökonomischer Inkompetenz.
Ökonomie langweiliger als sexuelle Identitätsdebatten?!
An diesem Beispiel zeigt sich allerdings auch, wie wenig ökonomischer Sachverstand innerhalb linker Bewegungen noch vorhanden ist, obwohl gerade links zu sein einmal bedeutete, über ein hohes Maß an nationalökonomischer Kompetenz zu verfügen.
In der Tageszeitung Neues Deutschland werden aktuell in unregelmäßigem Abstand Artikel zum Thema der Ausrichtung der linker Bewegungen publiziert. Unter anderem erschien dort unter dem Titel "Es geht nicht um Wagenknecht, es geht um die Zukunft linker Politik" ein Beitrag von Mario Neumann, der gemeinsam mit Sandro Mezzadra die kleine Schrift "Jenseits von Identität" verfasst hat. Darüber hinaus nimmt sich auf dem Internetportal Telepolis Peter Nowak immer wieder des Themas an. Aktuell publizierte er den Text "Zwei unvereinbare Tendenzen in der Linkspartei?" Beiden gemeinsam ist, dass sie sich ganz eindeutig gegen Positionen wie die von Wagenknecht aussprechen.
Dabei unterlaufen ihnen jedoch eklatante Denkfehler. Nowak beispielsweise unterstellt den queeren Bewegungen nahezu automatisch einen emanzipatorischen Charakter. Schaut man sich jedoch deren Strukturen und finanzielle Quellen an, kann davon in den meisten Fällen keine Rede sein. Sie sind eingebunden in ein Netzwerk aus NGOs, das sich aus den immer gleichen finanziellen Töpfen speist. Westliche Oligarchen und der US-Administration nahestehende NGOs fungieren regelmäßig als Geldgeber. Sie haben eine politische Agenda, die zwar queere Interessenspolitik betreibt, jedoch weit über die bloßen Interessen der LGBT-Community hinausreicht.
Mit autoritären Mitteln Emanzipation erzwingen
Queere Bewegungen schaffen derzeit einen westlichen Werte-Imperialimus, der weite Teile der globalen Community nicht nur ausgrenzt, sondern obendrein noch maßregelt und missioniert. Ganz abgesehen davon, dass aktuelle queere Politik mit der Erfindung von immer neuen sexuellen Identitäten, die sie sich anmaßt, politisch repräsentieren zu müssen, die Spaltung und Entsolidarisierung von Gesellschaften betreibt, ist sie zum Motor eines neuen Ost-West-Konfliktes geworden. Der neue Eiserne Vorhang wird in den Farben des Regenbogens angestrichen. Linke Politik jedenfalls sieht anders aus.
Auch die feministische Bewegung insbesondere der deutschen Ausprägung ist von tatsächlich emanzipatorischen Positionen weit entfernt. Im Hinblick auf ihre internationalen Positionen sind beide getragen von einem Werte-Imperialismus, dem jedes Gespür für die Unterschiedlichkeit von Kulturen und Diversität fehlt. In ihrem Kern sind die Bewegungen daher autoritär und haben zu aktuellen Verteilungsfragen, zu internationaler Solidarität und zu Pazifismus nichts zu sagen.
Dabei wäre hier anzusetzen von großer Notwendigkeit. Schließlich sind die ökonomischen Ungleichheiten inzwischen so groß wie auf dem Höhepunkt der Industriellen Revolution. Wann, wenn nicht jetzt, wäre eine linke Bewegung notwendig, die ihr Werkzeug nicht erst entwickeln müsste, sondern über Konzepte verfügt, die eine ökonomische Entwicklung zum Wohle aller jenseits von Krisen ermöglicht?
Aktuell diskutierte Modelle zur Kapitalismus-Überwindung laufen auf Blutbad hinaus
Gerade hier ist nämlich der große Schwachpunkt der sich aktuell als links verstehenden Bewegungen. Entweder wird Ökonomie überhaupt nicht thematisiert oder eine Überwindung des Kapitalismus angemahnt, ohne dessen Mechanismen genau zu verstehen und ohne sagen zu können, wie dieses Danach denn aussehen soll - geschweige denn welcher Gewinn und welcher Verlust damit einherginge. Die aktuell diskutierten Modelle der "Überwindung des Kapitalismus" jedenfalls sind in ihren Ansätzen derart schlicht wie ihre tatsächliche Umsetzung von gesellschaftlich massiv einschneidender Natur wäre. Ihre faktische Umsetzung lässt sich ohne die Anwendung massiver Gewalt nicht denken.
Weiterhin wird im Fokus auf die ausschließlich transatlantische Sphäre übersehen, dass ein sanfter ökonomischer Umbau gerade in großem Maßstab stattfindet. Dieser stellt in Aussicht, diejenigen wieder am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben zu lassen, die der Neoliberalismus mit seinen Verschiebungen hin zu oligarchischen Strukturen ausgegrenzt und ihrer Existenzgrundlage beraubt hat.
Es ist das Seidenstraßenprojekt, auf dem die Hoffnung linker Bewegungen ruhen sollte. Über die Auseinandersetzung mit diesem Projekt ließe sich linke Politik in Deutschland wieder hoffähig machen - wenn schon nicht von innen, dann immerhin von außen angestoßen.
Seidenstraße als Vision für die Linke
Das, was sich mit dem von China initiierten Seidenstraßenprojekt abzeichnet, unterscheidet sich grundlegend von westlichen Freihandelsverträgen à la TTIP und CETA. Es wird immer deutlicher sichtbar: Das von China aus betriebene Projekt "One Belt One Road" verbindet die Nationen und Kulturen auf der Basis der Werte der UN-Charta. Die Souveränität der Staaten wird nicht ausgehöhlt, wie es die westlichen Freihandelsabkommen regelmäßig tun. Der Primat der Politik über die Wirtschaft wird nicht aufgegeben, wie dies die westlichen transnationalen Organisationen wie beispielsweise der IWF beständig betreiben.
Der Wandel Chinas und Russlands zu nachhaltigerem ökologischen Wirtschaften zeigt immer deutlicher eine Überlegenheit der staatlich gelenkten Wirtschaft gegenüber dem westlichen Modell freier Märkte, die sich eben nur in der Theorie selbst regulieren. In der Praxis führen sie zu oligarchischen Strukturen, einer massiven Umverteilung von unten nach oben, einem zunehmenden Mangel an Innovationskraft, der Entsolidarisierung von Gesellschaften und natürlich einer massiven Zunahme korrupter Strukturen. Dabei kommt der westlichen Politik die Aufgabe zu, diese Strukturen eben nicht mehr zu bekämpfen, sondern sie per Gesetzgebung zu legalisieren.
Das von Russland und China vertretene Konzept kehrt diese Machtverhältnisse um. Konzerne haben sich dort der Politik anzupassen und nicht umgekehrt. China betreibt den Wandel zur Elektromobiliät in weit stärkerem Maße als Deutschland, Russland wird größter Produzent gentechnisch nicht veränderter Lebensmittel. Einfach auf dem Weg der staatlichen Gesetzgebung. Ein Weg, der westlichen Gemeinschaften mit ihrer Markthörigkeit verschlossen ist. In Deutschland stockt der Umbau, der Lobbyismus diktiert die Gesetze, das Gemeinwohl ist politisch aus den Augen geraten.
Und wenn jetzt das Argument "Menschenrechte" kommt: Die eklatantesten Verstöße gegen Menschenrechte finden weder in China noch in Russland statt. Sie sind inzwischen das Markenzeichen eines marktradikalen Westens, der mit Folter, extralegalen Gefängnissen, Drohnenkriegen und massiver Einmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten bis hin zum gewalttätigen Regime-Change und Putsch gegen alles verstößt, was als Regelwerk nach dem Zweiten Weltkrieg aufgestellt worden ist, um eine Rückkehr zur Barbarei zu verhindern.
Besinnung auf traditionelle Vorstellungen kann Linke retten
Unter diesem Aspekt das Nachdenken über ökonomische Zusammenhänge als gestrig abzutun, wie es die Vertreter der "Neuen Linken" tun, ist himmelschreiend naiv.
Es täte den linken Bewegungen Deutschland gut, sich in einem klaren Blick zu üben und vor allem auch den eigenen Anteil am Erstarken des Neoliberalismus mit seinen patriarchalen, oligarchischen und vor allem aggressiv militärischen Strukturen zu sehen. Wir brauchen aktuell keinen Diskurs, der die Teilung der Linken weiterbetreibt. Was dringend notwendig ist, ist eine linke Position, die tatsächlich die Verteilungsfrage wieder in den Mittelpunkt rückt, sich des schon vorhandenen Instrumentariums der Steuerung von Wirtschaft versichert und den vonstattengehenden geopolitischen Wandel aktiv mitgestaltet.
Es zeichnet sich ab: Die Seidenstraße ist ein linkes Projekt, ein Friedensprojekt, das über Handel, kulturellen und wissenschaftlichen Austausch das Zusammenleben der Völker und Nationen fördert. Es wäre die Aufgabe einer linken Bewegung in Deutschland, diesen Impuls aufzunehmen, eine breite gesellschaftliche Diskussion hierzu anzustoßen und diesen Prozess zu fördern. Den Fokus auf ein naives Verständnis von Migration zu legen, Genderdiskussionen und LGBT-Politik zu betreiben, ohne die Verteilungsfrage zu stellen, geschweige denn sie in einer umsetzbaren Weise zu beantworten, wird die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben. Die sich als "Neue Linke" verstehende Bewegung ist ihrem Selbstverständnis Teil des Neoliberalismus. Sie hat weder einen emanzipatorischen noch einen solidarischen noch einen pazifistischen Charakter. All diese traditionell linken Werte sind ihr abhanden gekommen.
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