Ein Gastbeitrag von Dr. Hauke Ritz
Teil III: Das Herzland wird erneut unabhängig
Doch so wie es damals geplant wurde, ist es nicht gekommen. Zunächst ist es den USA nicht gelungen, den Nahen Osten in ihrem Sinne neu zu ordnen. Der Irakkrieg wurde zum kostspieligen Abnutzungskrieg, der nach unterschiedlichen Quellen einer halben bis zwei Millionen Irakern das Leben gekostet und sich verheerend auf das Image der USA in der Welt und insbesondere im Nahen Osten auswirkt hat. Den größten Nutzen aus diesem Krieg zog schließlich der Iran, der durch den Sturz Saddam Husseins seinen Einflussbereich über den Irak, Syrien bis in den Libanon hinein vergrößern konnte. Mit dem Scheitern der USA im Nahen Osten blieb auch der Einfluss in Zentralasien begrenzt. Der Krieg in Afghanistan, der eigentlich den Zutritt nach Zentralasien gewährleisten sollte, endete in einer Pattsituation. An die Realisierung der von Turkmenistan über Afghanistan zum Indischen Ozean verlaufenden Pipelineroute ist bis heute nicht zu denken.
Als die Präventivkriegsstrategie der Neokonservativen schließlich diskreditiert war, setzte man unter Präsident Obama verstärkt auf verdeckte Operationen und unterstützte separatistische und oft auch fundamentalistische Bewegungen innerhalb des ‚Arabischen Frühlings‘. Durch die Unterstützung des radikalen sunnitischen Islam in Syrien und im Irak sollte der iranische Einfluss in beiden Ländern zurückgedrängt und so die für Washington negativen Folgen des Irakkrieges rückgängig gemacht werden. Doch auch das saudisch-amerikanische Bündnis und seine Verstrickung in den radikalen sunnitischen Islam wurden allmählich bekannt. Schließlich war die mögliche Bloßstellung der US-amerikanischen Außenpolitik zu einer so realen Gefahr geworden, dass man sie in Washington nicht länger ignorieren konnte. Die UN Vollversammlung im September 2015 wurde zum rhetorischen Kräftemessen. In seiner Rede vor den Vereinten Nationen fragte Russlands Präsident Putin seine westlichen Kollegen, ob sie realisiert hätten, was sie im Nahen Osten getan haben. Wenige Tage später begann Russlands militärisches Eingreifen in den Syrienkonflikt. Anfangs hoffte man in Washington noch, Russlands Militäreinsatz würde scheitern. Doch als sich der Erfolg abzeichnete, begann eine hektische Schattendiplomatie zwischen Washington und Moskau.
Die NATO-Osterweiterung hat zwar viele Länder Osteuropas erfolgreich aufnehmen können. Doch ist auch diese in der Ukraine und Georgien an eine unüberwindbare Grenze gestoßen und hat den europäischen Kontinent insgesamt unsicherer gemacht. Unterdessen werden viele Länder Zentralasiens von Moskau in eine gemeinsame wirtschaftliche und verteidigungspolitische Ordnung integriert. Sowohl die von Moskau geleitete Eurasische Union als auch das von Russland geführte Verteidigungsbündnis – die Organisation des Vertrags für kollektive Sicherheit (OVKS) – scheinen sich dauerhaft etabliert zu haben. Dabei kommt Russland zugute, dass seine Rüstungsindustrie trotz eines viel kleineren Budgets mit der US-Militärtechnik hat Schritt halten können. Noch vor zehn Jahren hatte dies jeder Analytiker für ganz und gar ausgeschlossen gehalten. Mit anderen Worten: Russland scheint den Rubikon überschritten zu haben. Die Abhängigkeit aus den 1990er Jahren ist endgültig Geschichte. Alle Versuche des Westens, die Uhr zurückzudrehen und die wirtschaftliche oder militärische Entwicklung Russlands zu bremsen, sind gescheitert. Die staatliche Souveränität Russlands ist ein Faktor, der die weitere Geschichte bestimmen und formen wird. Das Herzland, von dessen Verwestlichung so viele US-Geostrategen über fast drei Jahrzehnte hinweg geträumt hatten, wird sich somit auf absehbare Zeit dem westlichen Zugriff entziehen.
Dies ist nicht allein Russland und der russischen Politik geschuldet, auch wenn diese der entscheidende Faktor war. Doch wichtig waren auch der wirtschaftliche Machtzuwachs Chinas und die ungebrochene Unabhängigkeit des Iran. Washington war nicht in der Lage gegen den Willen dieser drei Staaten, die alle über eine lange geschichtliche und politische Tradition verfügen, seinen Einfluss in Zentralasien dauerhaft geltend zu machen. Solange Washingtons Außenpolitik auf die Errichtung einer unipolaren Weltordnung ausgerichtet bleibt, solange werden Russland, China und Iran Wege finden, ihre Interessengegensätze zu überbrücken und den USA den Zutritt nach Zentralasien versperren. Die drei Staaten wissen, dass ihre eigene Souveränität von der Souveränität der jeweils anderen beiden Staaten abhängig ist. Meinungsverschiedenheiten zwischen diesen drei Staaten sind zwar prinzipiell möglich. Doch sie sind nicht in naher und mittlerer Zukunft zu erwarten.
Im Grunde genommen kehrt die internationale Politik damit in alte Bahnen zurück. Es bricht eine Epoche an, die auch vor 1989 schon existiert hat und die man als den Normalzustand der Weltgeschichte bezeichnen könnte. Nämlich eine Weltordnung, die durch klar abgesteckte Einflusszonen bestimmt ist. Es entsteht erneut ein System der internationalen Beziehungen, in dem verschiedene Mächte sich gegenseitig in Balance halten und, wenn man so will, sich wechselseitig überwachen. Dies wird höchstwahrscheinlich einen zivilisierenden Effekt auf die Weltgemeinschaft ausüben. Diese Entwicklung ist im Grunde genommen keine Überraschung. Dass es so kommen würde, war bereits nach dem Scheitern der USA im Irak klar erkennbar.
Es ist allerdings eine Überraschung für viele jener Wissenschaftler, die seit Beginn der 90er Jahre in sogenannten Think Tanks die westliche Außenpolitik geplant haben. Sie hatten während der vergangenen 25 Jahre überwiegend in den Kategorien der unipolaren, von den USA dominierten Weltordnung gedacht. Unter diesen Vorzeichen hatten sie ihre Karrieren geplant. Für sie kommt die nun eingetretene geopolitische Veränderung einem Schock gleich. All ihre Konzeptionen von der weiteren Entwicklung der Globalisierung bis zur Zukunft des Völkerrechts, vom Selbstverständnis westlicher Kultur bis zu militärischen Planungen müssen plötzlich neu gedacht werden. Doch dies setzt das Eingeständnis voraus, dass man sich geirrt hat, dass man falsch gelegen hat.
Die gegenwärtige Hysterie in den deutschen Medien bezüglich Russlandsist ein Zeichen dafür, dass man hierzu auf westlicher Seite noch nicht bereit ist, ja, dass man es vielleicht auch nicht vermag. Denn die Implikationen der derzeitigen Machtverschiebung sind in der Tat enorm. Durch sie werden die Glaubensvorstellungen einer ganzen Generation über den Haufen geworfen, die unter der Gewissheit westlicher Vorherrschaft aufgewachsen ist. Besonders weitreichend sind die Konsequenzen im Bereich der zukünftigen Kultur- und Ideologieentwicklung. Wird der Neoliberalismus – der nie nur eine Wirtschaftstheorie war, sondern immer auch ein Kulturkonzept beinhaltete – wird dieser Neoliberalismus die unipolare Weltordnung überleben? Oder ist die neoliberale Konzeption von Wirtschaft und Kultur nur in einer unipolaren Weltordnung möglich?
Die Logik des neuen Kalten Krieges - Teil 1
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