Macron, Pistorius und der Ukraine-Krieg – Vorführung in Synchron-Wendehalserei

Nachdem sich Frankreichs Präsident Macron schon für eine Dialogwiederaufnahme mit Moskau aussprach, relativiert nun auch BRD-Verteidigungsminister Pistorius seine düsteren Kriegsvorhersagen für Europa. Welchen Umständen haben wir diesen nahezu synchronen Rhetorikwechsel zu verdanken?

Von David Narmanija

"Ich glaube nicht an ein solches Szenario. Putin geht es nach meiner Einschätzung nicht darum, einen Full-Scale-Weltkrieg gegen die NATO zu führen."

Worte, die von niemand anderem kommen als dem BRD-Verteidigungsminister Boris Pistorius – so äußerte er sich nämlich, als er bei einem Interview für die Zeit um eine Reaktion auf eine berüchtigte jüngste Äußerung von NATO-Generalsekretär Mark Rutte gebeten wurde.

Rutte wiederum hatte die Europäer vor anderthalb Wochen aufgerufen, sich auf einen Krieg gegen Russland vorzubereiten, wie ihn ihre Urgroßmütter und Urgroßväter erlebt hatten.

Unerwartet, jetzt eine derartige Erwiderung darauf ausgerechnet vom Bundesverteidigungsminister zu lesen. Und sie erscheint umso unerwarteter, wenn man bedenkt, dass es doch Pistorius selbst war, der erst kürzlich verkündete, der vergangene Sommer könnte sich als der letzte friedliche Sommer für die Europäer erweisen.

Einen solch plötzlichen Rhetorikwechsel zu erklären, ist schwierig. Vielleicht wurde Pistorius vom russischen Geheimdienst entführt und durch einen Doppelgänger ersetzt? Wir werden jedoch nach rationaleren Erklärungen für diese Offenbarung suchen.

Worauf sollten wir achten? Die militaristische Agenda an sich ist ja keineswegs aus den Reden des deutschen Verteidigungsministers verschwunden. So spricht er – auch im angeführten Interview – weiterhin davon, wie Deutschlands Schulkinder die jetzige Zeit als vielleicht die beste ihres Lebens in Erinnerung behalten sollten. Er beharrt weiterhin darauf, die Bundeswehr als stärkste Armee Europas wiederzubeleben. Auch die Rhetorik über Russlands angebliche Versuche, die NATO "von innen heraus zu zerstören", ist nicht verstummt.

Natürlich könnten solche Enthüllungen auch schlicht unanständig unverhohlenem Eigennutz geschuldet sein:

Pistorius sieht, wie die Zustimmungswerte von Bundeskanzler Merz (CDU) dabei sind, auf lächerliche 20 Prozent zu fallen, sieht die Proteste gegen die Militärreformen und bemerkt natürlich auch, wie der Regierungschef in Magdeburg ausgebuht wird. Deshalb versucht er, sich für den Fall einer politischen Krise abzusichern – einfach, um sich später wahlkampfwirksam distanzieren zu können, frei nach dem Motto: "Wir in der SPD haben Merz' militanten Kurs schon damals kritisiert (obwohl wir mit ihm in einer Koalition waren)."

Der Minister selbst räumt ja im selben Interview offen ein, dass es zwischen den Koalitionsparteien ernsthafte Meinungsverschiedenheiten gibt.

Doch die Liste der Gründe dürfte sich kaum auf den Wahlkampf beschränken.

Der Brüsseler Gipfel der vergangenen Woche war ein schwerer Schlag für alle Kriegstreiber in Europa: Noch am Donnerstag schien es, als könnten die beiden deutschen Hauptzündler, Bundeskanzler Merz und EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen, die anderen EU-Mitgliedstaaten zur Beschlagnahme russischer Gold- und Devisenreserven zwecks Unterstützung der Ukraine zwingen. Doch die Weigerung anderer EU-Länder schockierte sie. Offenbar ist in der EU eben nicht jeder bereit für eine Eskalation des Konflikts mit Moskau.

Hinzu kommen die für die EU alarmierenden Signale aus Washington: Donald Trump strebt eine Beilegung des Konflikts an, bezeichnet die NATO als Belastung für die USA und erklärt offen, dass Washington kein Interesse daran habe, Europas Sicherheit weiterhin auf Kosten der US-Staatskasse zu gewährleisten. Und angesichts des somit hohen Risikos, mit Russland allein gelassen zu werden, ist für die europäische Führungsriege ein Krieg gegen Russland höchst unerwünscht.

Macron erkannte dies als Erster auf dem Kontinent und erklärte überraschend, der Dialog mit Moskau müsse wiederaufgenommen werden. Pistorius seinerseits mag diese Idee für etwas zu gewagt halten – doch zumindest vorerst ist er bereit, nicht von einem unvermeidlichen Krieg zu sprechen. Das kann man nur mit aller nötigen Vorsicht als Fortschritt bezeichnen, aber immerhin. Was die Äußerungen des Bundesverteidigungsministers über Moskaus angeblichen "Wunsch, die NATO von innen heraus zu zerstören", betrifft, ist Folgendes anzumerken:

Russland würde ja tatsächlich eine Welt ohne die NATO vorziehen. Denn dieses Bündnis wurde als Bedrohung für die Sowjetunion gegründet. Die UdSSR zerfiel, doch anstatt neue Beziehungen zum neuen Russland aufzubauen, setzte der Block seine feindseligen Aktivitäten gegen Moskau fort. Der Kreml schlug wiederholt vor: "Nehmt doch auch uns in die NATO auf, dann brauchen wir nicht mehr um unsere Sicherheit zu fürchten." Doch in Reaktion darauf zeigte man uns nur den Vogel.

Und gerade die Aktionen des Bündnisses waren es, die schließlich zum Krieg in der Ukraine führten. Für Russland aber – angesichts des Bestrebens seiner "westlichen Partner", Russland zu zerstückeln, sowie ihrer weitestgehend fehlenden Reaktion auf jegliche Vorschläge zur Bildung einer neuen Sicherheitsarchitektur – ist der Wunsch nach dem Zerfall der NATO vollkommen logisch.

Doch so paradox es klingen mag: Ein solcher Wunsch ist auch für die Mitglieder des Militärblocks selbst nachvollziehbar. Für sie ist die NATO längst keine Garantie für Sicherheit mehr, sondern eine Quelle von Problemen. Für sie alle.

Und insbesondere für Berlin: Von allen europäischen Ländern hat Deutschland den höchsten Preis für den Ukraine-Konflikt gezahlt. Dies spiegelt sich sowohl in den Ausgaben für die Hilfe an Kiew als auch in der geschwächten Wirtschaft Deutschlands selbst wider, die, abgeschnitten vom Zugang zu russischen Energieressourcen, in vollen Zügen die Deindustrialisierung erlebt und von einer Rezession bedroht ist.

Dabei betonte Russlands Präsident Wladimir Wladimirowitsch Putin – in Bezug auf Europa – auf der diesjährigen Veranstaltung "Ergebnisse des Jahres", auf der die Jahresbilanz gezogen und auf direkter Hotline Fragen der Bürger beantwortet werden:

"Würden wir unsere Möglichkeiten miteinander bündeln und ergänzen, würden wir prosperieren – anstatt uns gegenseitig zu bekriegen."

Hierfür brauchen die Europäer lediglich Mut – Mut zu erkennen, dass Zusammenarbeit mit Russland in ihrem Interesse liegt. Und sie müssen den Grundstein dieser Zusammenarbeit durch gegenseitige Sicherheitsgarantien legen. Moskau ist dazu bereit.

Ist Europa selbst bereit? Pistorius und seine Kollegen werden diese Frage beantworten müssen. Und vielleicht stehen den deutschen Schulkindern dann ja doch noch deutlich bessere Zeiten bevor, als der Minister sie ihnen an die Wand malt.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei "RIA Nowosti" am 24. Dezember 2025.

David Narmanija ist ein russischer Kolumnist, politischer Beobachter und Kommentator sowie Blogger. Er schreibt unter anderem für die Nachrichtenagenturen "RIA Nowosti" und "Sputnik" Kommentare.

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