Von Astrid Sigena
Wer Ende März dieses Jahres auf die Schlagzeilen der BILD-Zeitung blickte, musste eine akute Kindeswohlgefährdung auf einem Berliner Spielplatz befürchten. Nein, es ging nicht um Drogensüchtige und ihre Hinterlassenschaften, seit Jahren ein gefährliches Problem für Berliner Kinder im Vorschulalter. Die fragende Bild-Schlagzeile "Wie gefährlich ist dieser Nazi-Adler für unsere Kinder" ließ gleich erahnen, dass es sich um weitaus Aufsehenerregenderes, Schwerwiegenderes drehte, nämlich um eine der zahlreichen baulichen Hinterlassenschaften der NS-Herrschaft in der deutschen Hauptstadt. Ein Aufreger – zumindest aus der Sicht von Behörden und Kirche. Nicht aber aus der Sicht der Mehrheit der Anwohner, wie sich später zeigen sollte.
Im Frühjahr 2025 wurde das Problem plötzlich akut, nachdem im Spandauer Ortsteil Haselhorst die Bronzeplastik "Adlerhorst mit Gelege" des bedeutenden Tierbildhauers Max Esser jahrzehntelang unbehelligt gestanden hatte. Genau genommen am Kinderspielplatz der örtlichen Reichsforschungssiedlung. Dieses Wohngebiet hat trotz der im Dritten Reich gerne genutzten Vorsilbe "Reichs-" grundsätzlich nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun, es war schon während der Weimarer Republik als modernes soziales Wohnungsprojekt für den Westen Berlins geplant worden. Dagegen ist die 1936 aufgestellte Adler-Plastik tatsächlich ein Produkt des Nationalsozialismus. Der Bronzeadler oder besser: die Adler-Mutter, die – passend zu einem Spielplatz – ihre Küken unter ihren Schwingen beschirmt, stammt aus der Werkstatt von Max Esser. Der Bildhauer stand auf der sogenannten "Gottbegnadeten-Liste" und wurde auch sonst als von den Nationalsozialisten geschätzter Künstler mit Aufträgen bedacht. Die Adlerhorst-Plastik diente damals als "Denkmal der nationalen Erhebung" (gemeint ist die nationalsozialistische Machtübernahme im Januar 1933). Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Adlerdenkmal stehen. Lediglich die Inschriften auf dem Sockel wurden entfernt.
Ausgelöst hatte die Debatte um das wehrhafte Adlerweibchen aus Bronze Gudrun O’Daniel-Elmen, ihres Zeichens Erinnerungsbeauftragte der evangelischen Kirche in Spandau. Sie äußerte sich gegenüber dem Tagesspiegel schockiert:
"Nachdem ich mir die Skulptur inmitten der Wohnsiedlung Lüdenscheider Weg 2–4 endlich einmal selbst angesehen hatte, war ich entsetzt, dass dieses martialische Nazi-Machwerk bis heute einen Spielplatz inmitten einer Wohnsiedlung 'ziert'."
Bereits im Jahr 2021 hatte die Berliner Zeitung bei einer Ortsbesichtigung konstatiert, dass sich Kinder "im Schatten dieser bald flügge werdenden (das heißt: sich bald erhebenden!) Adlerbrut und ihrer angriffsfreudigen Mutter kaum wohlfühlen" dürften. An der Tierplastik mit dem faschistischen Hintergrund sei kein einziges Kind anzutreffen – es gebe in der Nähe "nettere" Spielplätze.
Im Spandauer Rathaus gab man der evangelischen Christin Recht. Das Kulturamt kontaktierte Anwohner und Eigentümer in der Angelegenheit daraufhin brieflich. Kulturstadträtin und Vize-Bezirksbürgermeisterin Carola Brückner meinte:
"Für mich ist klar, dass das den Nationalsozialismus verherrlichende Denkmal – auch wenn kein Hakenkreuz angebracht war –, so nicht stehenbleiben sollte, zumal das Denkmal heute direkt an einem Spielplatz steht und schon damals als Schmuck für die Wohnbebauung installiert wurde."
Die Nachbarschaft solle bei der Entscheidung über die Zukunft der Adlerplastik jedenfalls mit einbezogen werden, so Brückner: "Wer weiß, es ergeben sich oft spannende Diskussionen bei einer Bürgerbeteiligung."
Als Lösung für das heikle Relikt aus einer dunklen Vergangenheit schlug die SPD-Politikerin entweder eine kommentierende Einordnung vor Ort oder einen Umzug der Skulptur in die Zitadelle Spandau vor. Dort werden mittlerweile als problematisch empfundene Denkmäler oder Standbilder aus der deutschen Geschichte aufbewahrt und in einer Dauerausstellung gezeigt. Museumschefin Urte Evert war Feuer und Flamme angesichts des möglichen Neuzugangs in die Zitadelle: "Ein 'Denkmal für die nationale Erhebung', also ein nationalsozialistisches Denkmal, das die Machtübernahme der NSDAP" feiere, hätte bereits 1945 abgebaut werden müssen, anstelle nur den Namen zu entfernen, ähnlich wie man das bei anderen Denkmälern und Gebäuden mit dem Abschlagen des Hakenkreuzes getan habe. Everts Fazit: "Die Form bleibt dennoch in der gesamten Symbolik und Ausführung nationalsozialistisch." Auch wenn das Symbol des Adlers nicht als spezifisch nationalsozialistisch zu werten sei, warnte Evert vor der Beibehaltung des Denkmals: "Aber die spezielle Ausführung wie bei dieser Skulptur ist nun mal erkennbar mit der Ideologie verknüpft, die vorzugsweise als aggressive Raubtiere interpretierte Lebewesen (Wölfe, Leoparden und eben Adler) für ihre Symbole einsetzte." Auch heute noch seien die Kunstwerke in der Lage, "das unbewusste Bildgedächtnis einer Gesellschaft zu beeinflussen."
Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, Teileigentümerin der Reichsforschungssiedlung, plädierte ebenfalls für eine Entfernung der Bronzeplastik und meldete das Thema zur Besprechung auf der nächsten Jahrestagung der Eigentümer an. Die anderen Eigentümer äußerten sich gegenüber der Presse nicht und reagierten auch nicht auf das Anschreiben des Kulturamts. Im Spandauer Bezirksamt sollen nicht alle der Meinung der SPD-Kulturstadträtin gewesen sein, der Adler gehöre weg. Und auch im Bezirksparlament regte sich Widerspruch. Arndt Meißner, Vorsitzender der örtlichen CDU-Fraktion, plädierte für eine Beibehaltung des Kunstwerkes, gegebenenfalls mit einer kommentierenden Erklärung. Man könne "nicht einfach alles wegräumen, was an die Vergangenheit" erinnere. Ein Abbau wäre maßlos übertrieben. Ähnlich sahen dies die Spandauer Liberalen. Matthias Unger von der FDP-Fraktion forderte erst einmal eine "wissenschaftlich fundierte Untersuchung" über die tatsächliche Bedeutung des Denkmals anstelle der bloßen Entfernung historischer Spuren. Die Grünen dagegen befürworteten den Umzug in die Zitadelle oder gegebenenfalls eine Erklärtafel vor Ort. Es sei zwar 80 Jahre zu spät, aber dennoch richtig, den Adler zu überdenken.
Im Spätherbst 2025 fiel dann die Entscheidung: Eine Mehrzahl der Privateigentümer stimmte für den Verbleib der insgesamt (samt Sockel) drei Meter hohen Adler-Plastik. Wie der Tagesspiegel berichtete, hätten sich 55 Prozent der Befragten gegen eine Entfernung ausgesprochen. Und ganze 74 Prozent waren gegen eine historische Einordnung am Standort der Plastik durch Historiker. Damit wurde auch der Vorschlag einer erklärenden Infotafel am Sockel, wie sie beispielsweise der Spandauer Stadthistoriker Michael Bienert befürwortet hatte, abgeschmettert. Bienert hatte sich maßvoll gezeigt und konstatiert:
"Die Erregung um 'Nazikunst am Kinderspielplatz' ist kurzsichtig. In den vergangenen Jahrzehnten hat kein Kind Schaden genommen oder ist zum Nazi geworden durch den Anblick des Bronzeadlers, der seine Schwingen schützend über seine Küken im Nest breitet."
Für die Gewobag und die EKBO-Erinnerungsbeauftragte ist das Abstimmungsergebnis ein herber Schlag ins Kontor: Die Gewobag bedauerte die Entscheidung pro Adlerplastik sehr, und auch Gudrun O’Daniel-Elmen zeigte sich enttäuscht: "Ich kann aus dem Ergebnis der zweiten Abstimmung nur schließen, dass die große Mehrheit der Eigentümer (74 %!) dagegen ist, dass die Öffentlichkeit vom nationalsozialistischen Charakter des Denkmals erfährt", schrieb sie dem Tagesspiegel. Ob der Kampf um "das metallene Federvieh" (Junge Freiheit) beziehungsweise den "Reichsadler" (wie ihn der Tagesspiegel nannte) damit wirklich vorbei ist?
Über die Motive der Adler-Befürworter lässt sich nur spekulieren, da sie sich meist nicht zu Wort gemeldet haben. Wollten sie – der Macht der Gewohnheit folgend – den Anwohnern das traditionelle Wappentier ihres "Adler-Spielplatzes" bewahren? Sprach sie einfach das Motiv wehrhafter Elternschaft an, die symbolische Verkörperung von Vätern und Müttern, die ihre Kinder vor drohenden Gefahren bewahren? Hatten sie die Schnauze voll von Denkmalstürmerei und den speziell in Berlin grassierenden Straßenumbenennungen? Oder fanden sie es einfach heuchlerisch, dass die Haselhorster Reichsforschungssiedlung durch kommentierende Tafeln als Ort mit einer problematischen Nazi-Vergangenheit stigmatisiert werden sollte, während ebenfalls in Berlin, im zur NS-Zeit ausgebauten Bendlerblock, unverfroren Deutschlands Aufrüstung geplant und über Strategien zur Bekämpfung Russlands gebrütet wird? Beim Tagesspiegel veröffentlichte Äußerungen anonymer Anwohner deuten darauf hin, dass man sich "überrumpelt und belehrt" und "in die Nazi-Ecke" geschoben gefühlt habe. Gewiss ist jedenfalls: Bis auf Weiteres darf der Bronzeadler von Haselhorst weiterhin seine Brut behüten.
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