Repression statt Hilfe: Polizeiregister für psychisch Kranke in Hessen – und andere Grausamkeiten

Der sozialen Verelendung in Deutschland begegnen die Regierenden immer grausamer und repressiver. Während "ungehorsamen" Erwerbslosen bald totaler Existenzentzug droht, Beschäftigte mit 13-Stundenschichten rechnen müssen, lässt Hessen nun psychisch Kranke registrieren.

Von Susan Bonath

Die Ungleichheit wächst, die Mieten explodieren, die Angst vor eigenem "Versagen", Jobverlust und sozialem Abstieg lässt viele Menschen verzweifeln. Wie Statistiken belegen, breiten sich Verelendung und psychische Erkrankungen in Deutschland epidemisch aus. Diverse "Weihnachtsessen für Obdachlose", mit denen sich ein paar Reiche auch dieses Jahr wieder als "Wohltäter" inszenieren, sind an Zynismus nur noch schwer zu überbieten. 

Die Regierenden "bescheren" die Verlierer der neoliberalen Hackordnung derweil mit neuen Grausamkeiten: vom Totalentzug des Existenzminimums für "ungehorsame Erwerbslose" über die drastische Ausweitung der Arbeitszeit für Beschäftigte – bis hin zur Registrierung psychisch Kranker als potenzielle "Gefährder".

Hungerstrafen, Ausbeutung, Polizeiregister

Die nun vom Kabinett abgesegnete "Neue Grundsicherung" ist nur ein Schritt von vielen zum sozialen Totalverfall. Wer sich dann nicht zu jedem Lohn dem Kapital andient, soll das Recht auf ein Existenzminimum komplett verlieren. Mit diesem Booster für Straßenelend und Kriminalität will der Staat auch Beschäftigte in Angst versetzen und disziplinieren. Für sie hält er die nächste Peitsche schon bereit: die Ausweitung der erlaubten Arbeitszeit auf bis zu 13 Stunden täglich.

Man kann es vorhersagen: Die Wahrscheinlichkeit, als Lohnabhängiger zum psychischen Wrack zu werden, steigt immer weiter an. Dabei schlagen Kliniken und Ärzte schon lange Alarm: Nervliche Zusammenbrüche sind an der Tagesordnung. Schon Kinder und Jugendliche trifft es immer früher und ärger: Depressionen, Magersucht und Panikattacken bestimmen längst das Leben vieler.

Auf mehr Hilfe können Betroffene aber nicht hoffen. In Hessen droht ihnen stattdessen nun ein Eintrag im Polizeiregister für "Gefährder". Das ist wohl eine Art Pilotprojekt, denn die CDU will sogar ein bundesweites Zentralregister für psychisch Kranke anlegen.

Verfolgung statt Hilfe

Dem hessischen Gesetz zufolge, das der Landtag vergangene Woche mit den Stimmen der Regierungsparteien CDU und SPD beschlossen hatte, müssen Psychiatrien in dem Bundesland bestimmte Patienten den Polizei- und Ordnungsbehörden jetzt melden, bevor sie diese entlassen. Es soll um Personen gehen, die wegen Fremdgefährdung eingewiesen wurden – angeblich, um künftige Gewalttaten präventiv zu verhindern.

Nach Kritik von Ärzten und Verbänden hatte die Landesregierung das Gesetz ein wenig abgeschwächt. Die Psychiatrien sollen jetzt vorher "Fallkonferenzen" abhalten und ein späteres Risiko abwägen. Da die Kliniken dank der neoliberalen Sparkurse der letzten Jahrzehnte bei gleichzeitiger Zunahme psychischer Erkrankungen am Limit sind, kann es gut sein, dass sie den Aufwand scheuen und die Betroffenen dann vorschnell melden. Auch eine weitere Frage bleibt offen: Wenn Ärzte die Gefahr von Fremdgefährdung als hoch einschätzen, dürfen sie diese Patienten dann überhaupt entlassen? Wahrscheinlich tun sie es tatsächlich – aus Kostengründen.

Die Parteien der Opposition stimmten alle dagegen. Zwar hat die FDP maßgeblich zur Privatisierung und Ruinierung des Gesundheitssystems beigetragen. In Hessen brachte sie trotzdem einen richtigen Einwand: Die Regierung setze auf Kontrolle statt angemessene Versorgung. Die gleichfalls am Ruin mitbeteiligten Grünen befürchten, die Meldelisten könnten "in die falschen Hände gelangen". Das stigmatisiere die Kranken, zudem werde die ärztliche Schweigepflicht ad acta gelegt. Der AfD sei "unklar, was Polizei und Behörden mit den Daten anfangen sollen". Sie könne schließlich Betroffenen "nicht hinterherlaufen".

Unterfinanzierte Psychiatrien

Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sieht das Gesetz sehr kritisch. Stattdessen müsste die psychiatrische Betreuung endlich besser finanziert und bestehende Gesetze eingehalten werden. Derzeit würden Mängel lediglich verwaltet. Auch hält sie die Abkehr von der Schweigepflicht für "höchst problematisch".

Bereits vor einem knappen Jahr reagierte der Verband ganz ähnlich auf den Vorstoß von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Der hatte nach dem Anschlag in Magdeburg im Dezember 2024 gefordert, ein bundesweites Zentralregister für Betroffene anzulegen. In einem Radiointerview sagte er: "Es reicht nicht aus, Register anzulegen für Rechtsextremisten und Islamisten, sondern in Zukunft sollte das auch für psychisch Kranke gelten." 

Es stimme nicht, dass psychische Erkrankungen generell mit einem erhöhten Gewaltrisiko verbunden seien, hielt der DGPPN-Verband dagegen. Das gelte nur für wenige Personen und auch nur dann, wenn ihre Probleme unbehandelt blieben. Eine solch zentrale Erfassung von Betroffenen drohe erstens auszuufern und könne zweitens Gewalttaten nicht verhindern.

Düstere Erinnerungen

Bereits in diesem Juni hatte die hessische CDU mit einem Video über ihr Gesetzesvorhaben für Empörung bis hin zu Vergleichen mit dem deutschen Nazi-Regime gesorgt. Deren Abgeordneter Ralf-Norbert Bartelt hatte darin geäußert, dass es Menschen gebe, "die sind schwer psychiatrisch erkrankt, sie sind eine Gefahr für sich selbst und die Gesellschaft, da muss der Staat handeln". Deshalb müssten Ärzte verpflichtet werden, Betroffene den Behörden zu melden, so Bartelt damals.

Dass Deutsche dies an die geheime T4-Aktion der Nazis, ein grausames Euthanasie-Programm, erinnert, ist nicht so abwegig. Dieses setzte das Nazi-Regime ab 1939 in die Praxis um mit dem Ziel, angeblich "unwertes Leben" aus medizinischen, ideologischen oder rassistischen Gründen zu beseitigen. Die Morde an bis zu 300.000 Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen führten anfangs Kliniken mit Giftspritzen, Gas und anderen Methoden durch. Die Auswahl trafen Ärzte, Gutachter und Gesundheitsämter in Zusammenarbeit mit den Nazis.

Krankmachendes System

Im Hinterkopf darf man schon haben, zu welch grausamem Sozialdarwinismus derlei Stigmatisierung führen. Die Perfidität besteht vor allem darin, dass der Staat selbst immer mehr Menschen in die psychische Not treibt: mit Hungerstrafen für Arbeitslose, mit zunehmenden Freibriefen für brutale Ausbeutung Beschäftigter und Hetzkampagnen gegen Arme in Dauerschleife. Schon jetzt haben eine Million Menschen in Deutschland kein eigenes Dach über dem Kopf.

Die Peitsche von oben wird die Probleme nur verschärfen. Angst, Stress und Hoffnungslosigkeit machen die Menschen psychisch immer fertiger. Zu diesem Ergebnis kam vergangenes Jahr sogar eine belastbare Studie in den USA. Man muss noch nicht mal über den Atlantik schauen, um von selbst darauf zu kommen. Ein Spaziergang in einer größeren deutschen Stadt reicht aus für die Erkenntnis: Die Auswirkungen des neoliberalen Irrsinns sind überall sichtbar.

Mehr zum Thema - Wer nicht pariert, soll verhungern: CDU stellt neue Asozial-Agenda vor