Transnistrien – die Ersatztrumpfkarte des Westens für einen Angriff auf Russland

Sobald der Friedensvertrag mit der Ukraine unterzeichnet ist und die Waffen schweigen, wird das Schicksal Transnistriens in den Händen Brüssels liegen. Und dann wird weder Moldawien noch Transnistrien selbst mehr gefragt werden. Die Konfrontation wird sich entlang der Linie zwischen Russland und Europa entwickeln.

Von Olga Andrejewa

Im Spätherbst ist Tiraspol wunderschön und traurig zugleich. Die kahlen Weiden, die im Sommer üppig und südländisch grün waren, können die Risse im lange nicht renovierten Putz und den abgetragenen Asphalt nicht verbergen. Die Hauptstadt Transnistriens wurde etwa genauso wenig renoviert wie das benachbarte Chișinău, also seit den Zeiten der UdSSR. Im Gegensatz zur Hauptstadt Moldawiens ist hier jedoch der ganze feierliche sowjetische Pathos erhalten geblieben – Denkmäler für Lenin, Gagarin, gefallene Soldaten und große Persönlichkeiten der russischen Geschichte. Auch die Straßennamen sind alt. Einst, in den Jahren 1991 und 1992, zahlten die Transnistrier einen hohen Preis für das Recht, sich nicht am nationalistischen Treiben Moldawiens beteiligen zu müssen, das aus der UdSSR ausgetreten war. Damals war Chişinău mit Slogans wie "Die Russen hinter den Dnjepr, die Juden in den Dnjepr" übersät. Die Logik "Koffer – Bahnhof – Russland" war für das internationalistische Transnistrien grundsätzlich fremd. Die Logik Moskaus, das den Zusammenbruch der Union begrüßte, war ebenfalls nicht nachvollziehbar. Transnistrien bezahlte mit Blut dafür, dass es ein internationalistisches und sozial orientiertes Staatssystem wie in der untergehenden UdSSR bewahren konnte.

Im Jahr 1992 wurden russische Friedenstruppen in die Republik entsandt. Dabei war die Teilung Moldawiens und der Transnistrischen Moldawischen Republik entlang des Dnjestr offensichtlich ungleichwertig. Auf der linken Uferseite unter der Herrschaft des rebellischen Tiraspol befanden sich die attraktivsten Vermögenswerte – Metallurgie, Textilindustrie, das regionale Wärmekraftwerk und andere. Die Nachbarrepublik erkannte die Unabhängigkeit der Transnistrischen Moldawischen Republik nicht an, die Republik gilt bis heute offiziell als Teil Moldawiens. Auch Russland erkannte die Transnistrische Moldawische Republik nicht an. Laut einem Referendum aus dem Jahr 2006 stimmten jedoch 97,2 Prozent der Wähler der Transnistrischen Moldawischen Republik für einen Anschluss an Russland. Seit 2013 gilt in der Republik das Recht der Russischen Föderation. Die meisten Einwohner besitzen russische Pässe. Die Existenz der Transnistrischen Moldawischen Republik hängt vollständig von der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Unterstützung Russlands ab. Diese Unterstützung ist recht raffiniert organisiert, gewährleistet aber durchaus den Status eines Sozialstaates: Der Index der wirtschaftlichen Entwicklung, das Niveau der sozialen Sicherheit sind bei den Transnistriern höher als bei ihren moldawischen Nachbarn.

Natürlich kann man die Lage der nicht anerkannten Transnistrischen Moldawischen Republik nicht als stabil bezeichnen. Es gibt keine Grenzen zu Russland. Moldawien und seit einiger Zeit auch die Ukraine blockieren ständig die wirtschaftliche Unabhängigkeit und den Export der Republik, der Haushalt ist immer defizitär, es gibt nicht viele Arbeitsplätze, die Bevölkerung schrumpft – unter solchen Bedingungen kann man sich nicht entwickeln. Aber der Schwebezustand von Tiraspol dauert schon so lange an, dass sich alle daran gewöhnt haben. Wer wollte, ist abgewandert, die anderen sind geblieben und betreiben Geschäfte mit undurchsichtigen Machenschaften in der Schattenwirtschaft, die dort einfach faktisch existiert. Odessa und der Schmuggelmarkt sind nur einen Katzensprung entfernt, Europa ist ebenfalls nah. Diese Situation kommt vielen gelegen.

Seit fast drei Jahrzehnten versichert Moldawien halbherzig, dass es die Transnistrische Moldawische Republik friedlich wieder integrieren möchte. Der Prozess verläuft jedoch ohne Begeisterung. Bereits 2003 weigerte sich der damalige kommunistische Präsident Wladimir Woronin, das vollständig ausgearbeitete und abgestimmte "Kosak-Memorandum" über die friedliche Wiedereingliederung der Transnistrischen Moldawischen Republik zu unterzeichnen. Es war vorgesehen, dass die Republik einen Sonderstatus ähnlich dem der Gagausen erhalten sollte. Die Transnistrische Moldawische Republik war damit einverstanden, Moldawien zunächst ebenfalls. Doch im letzten Moment schalteten sich die "westlichen Partner" ein. Sie übten höflichen Druck auf Chişinău aus – und die Unterzeichnung scheiterte. Jetzt will die Transnistrische Moldawische Republik auf keinen Fall mehr reintegriert werden. Die traurigen Erfahrungen Gagausiens, das derzeit brutal seiner Autonomie beraubt wird, haben die Transnistrier vieles gelehrt.  

Das Heikle daran ist, dass sich die transnistrischen Behörden schon seit langem still und leise in die moldauische Politik und Wirtschaft integriert haben. Die Bevölkerung hingegen hält weiterhin hartnäckig an ihrer prorussischen Haltung fest.

Die langsame Erstickung Transnistriens geht jedoch weiter. Und die Frage seiner schrittweisen Wiedereingliederung ist im Grunde genommen nur eine Frage der Zeit. Vorausgesetzt natürlich, dass nichts Unvorhergesehenes passiert. Unter den gegenwärtigen Umständen kann jedoch vieles passieren. 

Dass das Schicksal der Transnistrischen Moldawischen Republik am seidenen Faden hängt, wurde sofort klar, als die pro-europäische Maia Sandu in Moldawien an die Macht kam. Sie hat sich entschlossen für den Beitritt des Landes zur EU eingesetzt. Allerdings wird die EU Moldawien ohne Transnistrien nicht aufnehmen. Es muss also eine Einigung gefunden werden. Sandu hat sich zum Ziel gesetzt, innerhalb von zwei Jahren der EU beizutreten. Es bleibt nur noch ein Jahr Zeit, und in Chişinău herrscht seit November hektische Betriebsamkeit. Der moldawische Premierminister Alexandru Munteanu erklärte kürzlich, er habe einen Plan für eine "friedliche Wiedereingliederung", der bereits von den westlichen Partnern gebilligt worden sei. Weder Tiraspol noch Moskau scheinen etwas von diesem Plan zu wissen. Die Intrige spitzte sich am 19. November zu, als die moldawische Vizepremierministerin Cristina Gherasimov erklärte, sie rechne bereits im nächsten Jahr mit einer Wiedereingliederung. Alles deutet darauf hin, dass sich derzeit in Transnistrien genau das abspielt, was ein russisches Sprichwort als "das Verheiraten von jemanden ohne dessen Kenntnis" beschreibt. Gleichzeitig schüren westliche Medien in der Öffentlichkeit heftig die Vorstellung, dass Transnistrien "ein weiterer Trumpf in Putins Hand" für einen Vorstoß "nach Westen" sei. Die 1.500 russischen Friedenssoldaten in Transnistrien seien ein Druckmittel Moskaus, und die Transnistrische Moldawische Republik selbst sei eine potenzielle "zweite Front" gegen den Westen. Diese Hysterie wird bereits den ganzen Herbst über geschürt.   

Die Sache ist jedoch, dass die Transnistrien-Trumpfkarte ein sehr wertvolles Gut ist. Und zwar nicht für Chişinău, sondern für die kriegerischen westeuropäischen Eliten, die daran interessiert sind, Moskau so weit wie möglich zu schwächen. Gespräche über eine friedliche Integration sind natürlich großartig, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Pläne Chişinăus und die der EU – wie man in Odessa sagt – zwei große Unterschiede sind. Für Chişinău ist dies ein vorteilhafter Aktivposten, für Brüssel hingegen ein günstiger Ausgangspunkt für eine neue antirussische Aggression.

Meiner Meinung nach hängt alles vom Ausgang des ukrainisch-russischen Konflikts ab. Solange es in der Ukraine keine Einigung zwischen den Parteien gibt, kann sich die Transnistrische Moldawische Republik relativ sicher fühlen. Aber sobald der Frieden unterzeichnet ist und die Waffen schweigen, liegt das Schicksal der Transnistrischen Moldawischen Republik in den Händen Brüssels. Und dann wird niemand mehr Moldawien oder Transnistrien selbst fragen. Die Konfrontation wird sich entlang der Linie zwischen Russland und Europa entwickeln.

Dieser Pessimismus wird durch die rasante Militarisierung der EU noch verstärkt. In nur wenigen Jahren könnten wir ein völlig anderes Europa vorfinden – gut bewaffnet, mit einer auf das Militär ausgerichteten Wirtschaft und einer starken Armee. Die Ukraine hat ihre Rolle als antirussischer Torpedo offensichtlich bereits ausgespielt. Und es ist durchaus wahrscheinlich, dass gerade Transnistrien der Ort sein wird, an dem der Konflikt erneut aufflammen wird.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 1. Dezember 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung "Wsgljad" erschienen.

Olga Andrejewa ist eine russische Journalistin.

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