Von Alexej Danckwardt
Dämmert da nach einer langen dunklen Zeit das Morgenrot? In den letzten Tagen gab es unerwartet Signale, dass Deutschland doch nicht hoffnungslos ist. Plötzlich rebelliert hier und da die Parteijugend, ausgerechnet in der CDU, ausgerechnet in der Linken. Susan Bonath schrieb darüber, und ich fiel aus allen Wolken. Dass in der morschen Bude "Linksjugend Solid" noch Leben ist, wer hätte das gedacht?
Als zweites Lebenszeichen geistern aktuell Videoausschnitte aus der neuesten ARD-Talkshow mit Caren Miosga durch die sozialen Netzwerke. Jurist und Drehbuchautor Ferdinand von Schirach soll da dem Bundespräsidenten und der Politikerkaste generell die Leviten gelesen haben. Ich habe sie mir in Gänze angesehen und fand weitaus interessanter, dass Martin Machowecz, stellvertretender Chefredakteur der Zeit, sich eine Art Schuldeingeständnis abgerungen hat:
"Ein großes Problem war, dass wir über viel zu viele Dinge viel zu lange nicht gesprochen haben, die die Menschen da beschäftigt (haben). Wir haben bei allen Großkrisenlagen der letzten Jahre den offenen Diskurs tabuisiert. Das war in der Asylkrise so, das war in der Corona-Zeit so, das war auch tatsächlich rund um den Ukraine-Krieg ein bisschen so. Es ist immer wieder so gewesen, dass es viele Menschen gab, die das Gefühl hatten: 'Hey, ich hab' doch eine ganz andere Meinung, und wieso ist die eigentlich nirgends zu sehen und zu hören?' Das ist auch ein Fehler, den wir als Medien gemacht haben ..."
Und:
"Wir haben es ein bisschen (nur ein bisschen? – A. D.) verlernt, zu wissen, immer im Hinterkopf zu haben, dass die andere Seite auch Recht haben könnte. Und dass die andere Position auch richtig und wahr sein könnte."
Späte Einsichten sind besser als gar keine. Mal sehen, ob er den Fehler auch mit Taten korrigieren will und demnächst den einen oder anderen Meinungskolumnisten von RT DE zu Gastbeiträgen über die Ukraine einlädt. Bis dahin halte ich's mit Faust: "Die Botschaft hör ich wohl, allein es fehlt der Glaube."
Nebenbei, man vermisst uns: Zwar nicht in der Zeit, dafür in der politisch benachbarten Welt beschwerte sich "Militärstrategin" Florence Gaub, ihre und anderer Russland-Experten Expertise habe durch das Wegzensieren russischer Medien stark nachgelassen:
"Man kann ja nicht mal mehr Russia Today lesen, weil die ganze russische Presse in Europa blockiert ist! Wir haben ganz viele Quellen des Verständnisses oder der Nachvollziehbarkeit zugemacht – und das erhöht dann das Risiko eines Missverständnisses. Dabei sollten wir Krieg aufgrund eines Missverständnisses ausschließen können. Wir befinden uns immer noch auf dem Wissensstand von 2022. Und diese Informationen veralten: Eine ganze Generation von Russland-Experten wächst auf, ohne Zugang zum Land zu haben."
Jemand schicke ihr bitte eiligst die Adressen unserer Spiegelseiten oder helfe ihr, VPN zu installieren. Wir wollen ja nicht, dass ein Krieg ausbricht, nur weil Deutschlands "Militärstrategen" und "Russland-Experten" unsere Texte nicht finden können.
Aber zurück zur Talkrunde bei Miosga. Als Vertreterin der Politikerkaste saß Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) mit am Tisch und freute sich sichtbar darüber, wieder in eine Talkshow eingeladen zu sein. Was Miosgas Redaktion mit der Einladung bezweckte, weiß man nicht, im Ergebnis erwies sich das in jedem Fall als Geniestreich. Noch besser als Lang illustrieren nur ihre Parteifreunde Annalena Baerbock und Robert Habeck die Abgehobenheit der Berufspolitik und die gigantische Kluft zwischen ihr und den Bürgern. Und diese beiden sind gerade nicht in Deutschland.
Lang sagt ja die ganze Zeit selbst, dass sie sich nicht zum Volk zählt. Bei ihr sind es immer "wir, die Politik" auf der einen und "die Leute", "die Menschen", "die Wähler" auf der anderen Seite. Sie erzählt, wie widerlich es ihr war, regelmäßig Meinungsumfragen studieren und sich im Interesse des nächsten Wahlergebnisses an den Vorlieben des Stimmvolks ausrichten zu müssen. Das habe, sagt sie, sie stets vom Umsetzen wichtiger Reformvorhaben abgehalten.
Sie lamentiert, wie sehr Wahlen die Politik behindern:
"Das ist genau ein Problem im politischen Betrieb, das ich immer wieder gemerkt habe. Als ich angefangen habe, habe ich gedacht, das Problem ist vielleicht dahingehend, dass man alle vier Jahre wählt. Die Realität ist ja aber, da immer zur nächsten Kommunalwahl, zur nächsten Landtagswahl, zur nächsten Europawahl gedacht wird, dass es immer nur um Maßnahmen geht, die sich innerhalb der nächsten vier Monate verwirklichen lassen."
Und in diesem Moment kam sie mir, die Lösung für Langs (und unser aller) Problem. Von Schirach mit seiner in derselben Sendung präsentierten Idee, nur alle sieben Jahre (und alles gleichzeitig) wählen zu lassen, denkt (a) viel zu kurz und (b) nicht aus der Sicht des Bürgers, sondern auch nur aus derjenigen der "Eliten" und der "Berufspolitik". Er hält, wie Lang, den Bürger für einen Störfaktor, dessen Einfluss er auf das absolut Unvermeidliche reduzieren will. Ich aber bin keine Elite, ich bin einer dieser lästigen Bürger, den sie aus ihren Kommentarchats aussperren, und sehe es genau andersherum.
Besser ist es, die Kandidaten für den Bundestag durch das Los zu bestimmen! Machen wir es wie die alten Griechen in der antiken Demokratie. Wie heute schon beim Schöffenamt, bestimmt künftig das Los, der Zufall, welcher Bürger aus dem Wählerverzeichnis auf die Wahllisten kommt und – wenn in der Wahl erfolgreich – für die nächsten vier Jahre in den Bundestag einzieht.
Schlimmer wird es nicht: Die Stochastik wird bei 600 Abgeordneten nicht schlechter für die Vertretung aller Bevölkerungsschichten und aller politischen Ansichten sorgen als von Polittechnologen und medialen Meinungsmachern manipulierte Wahlen. Die Qualität der Abgeordneten wird besser, findet doch (Lang, Baerbock und Habeck sind exzellente Beispiele) in den Parteien nur noch eine Negativauswahl statt. Wir reduzieren die Gefahr auf ein Minimum, dass Soziopathen und Neurotiker mit Geltungsdrang an die Macht gelangen – in Parteien treiben sich solche in Massen herum und nominieren bei jeder Gelegenheit die soziopathischsten und neurotischsten unter ihnen für Ämter und Mandate.
Vor allem: Die Parlamente wären tatsächlich Vertretungen des Volkes, in ihnen säßen Bürger mit authentischer Lebenserfahrung aus Beruf und Alltag statt abgehobener und dem Volk zunehmend antagonistischer Berufspolitiker. Das wäre tatsächlich repräsentative Demokratie statt Herrschaft von Möchtegern-Aristokraten, aufstrebenden Despoten und Monarchen auf Zeit.
Nachteile? Man zeige sie mir!
Also wenn schon, denn schon. Berufspolitiker stören sich an Wahlen? Schaffen wir sie ab – die Berufspolitiker.
Mehr zum Thema – Masochistische Auftritte der Opposition – Lohnt sich noch der Besuch im Tribunal-Fernsehen?