Kaja Kallas: Hier spricht die künftige Kriegsministerin

Die höchste EU-Diplomatin und Sicherheitsbeamtin Kaja Kallas wähnt sich schon im Dritten Weltkrieg. Kein Wunder, dass sie ihre Vorbilder aus dem vorangegangenen Weltkrieg schöpft. Auch knüpft sie unzertrennlich ihr politisches Schicksal an das Selenskij-Regime.

Von Astrid Sigena und Wladislaw Sankin

Die Lage an der Front ist schlecht, zumindest für das Selenskij-Regime und seine europäischen Unterstützer. Da wird es Zeit für ein Interview mit der Bellizistin Kaja Kallas, um den Durchhaltewillen der Öffentlichkeit zu stärken. Dem Titel nach ist Kallas seit gut einem Jahr EU-Außenbeauftragte, als die oberste Diplomatin der EU, die die rund 450 Millionen EU-Bürger nach außen vertreten soll. Diplomatie ist jedoch nicht ihre Stärke, vielmehr geriert sie sich als eine Art EU-Kriegsministerin.

Die in ihrer Russophobie unbeirrbare Kaja Kallas kann dabei als Paradebeispiel einer Diagnose dienen, die der russische Auslandsnachrichtendienst SWR kürzlich den Führern der Europäischen Union sowie den Staatschefs der führenden Länder Europas attestiert hat (RT DE berichtete): Sie würden in einer Blase des Wunschdenkens leben, könnten die Realität, die ein Scheitern ihres ukrainischen Projekts wahrscheinlich werden lasse, nicht erkennen, und weigerten sich, den Warnungen ihrer eigenen Experten Gehör zu schenken. Man darf davon ausgehen, dass auch und gerade die EU-Außenpolitikerin Kallas nicht nur Propaganda zur Einlullung der europäischen Bevölkerung verbreitet, sondern auch selbst den von ihr verbreiteten Parolen einer angeblichen russischen Gefahr und eines kommenden Sieges der Europäer über Russland Glauben schenkt.

Nicht umsonst ist der Journalist, der Kallas für den Tagesspiegel interviewt, Christoph von Marschall, der ein Buch über einen drohenden Krieg mit Russland und dessen mögliche Verhinderung durch die Bundesregierung namens "Der schwarze Dienstag" verfasst hat (und in dem es selbstverständlich mehr um die potenzielle deutsche Führungsrolle in Europa und um die Notwendigkeit, Kompromisse gegenüber Russland im Ukraine-Konflikt zu verhindern, geht als um wirkliche Friedenspolitik). Dementsprechend klingen sowohl Kallas als auch ihr Interviewer so, als wäre eine kriegerische Auseinandersetzung mit Russland schon eine beschlossene Sache und nur noch eine Frage der Zeit.

Allerdings geht es Kaja Kallas und Christoph von Marschall wie fast allen Bellizisten: Sie müssen konstatieren, dass ein großer Teil der europäischen Bevölkerung ihnen nicht in den Krieg mit Russland folgen will. Konkret heißt das: Der Journalist von Marschall fragt nach, ob die Europäer geeint und entschlossen genug seien, "rasch zu handeln" (wobei er offenlässt, ob er mit "raschem Handeln" etwa den offenen Kriegseintritt Europas meint). Er stellt die Behauptung auf, es falle den Europäern schwer, die Realität zu akzeptieren (das kann man damit übersetzen, dass sich die Europäer weigern, das antirussische Narrativ ihrer Führungselite zu übernehmen).

Auch die Frage "Warum fürchten sich 450 Millionen EU-Bürger vor 140 Millionen Russen, und hoffen, dass 340 Millionen Amerikaner sie beschützen, statt es selbst zu tun?" postuliert eine dringliche russische Gefahr, gegen die eingeschritten werden muss, ohne einen Beweis dafür zu liefern. Damit liefert er Kallas die Steilvorlage für das schon wohlbekannte Argument der Balten und Finnen, man habe als Nachbar der Russen gelernt, Russland als Gefahr zu betrachten (womit unterschwellig den übrigen Europäern Ahnungslosigkeit gegenüber der postulierten russischen Gefahr unterstellt wird).

Auf der "Defending Baltics"-Tagung, die diese Woche im litauischen Vilnius stattfand, wurde das Problem der widerwilligen europäischen Bevölkerung offen angesprochen, wie BILD-Korrespondent Julian Röpcke berichtete (Artikel hinter Bezahlschranke). Röpcke umschreibt das Problem als eine mangelnde Vorbereitung der Bürger und zitiert Generalleutnant Andrus Merilo, den Befehlshaber der estnischen Streitkräfte, als Gewährsmann.

Dem estnischen Militär bereite die Widerstandsfähigkeit und Überlebensfähigkeit der Leute, sollte es zu "andauernden russischen Attacken" auf die kritische Infrastruktur kommen, große Sorgen. Darüber werde zu wenig gesprochen, so Merilo. Und von einem ehemaligen Minister will Röpcke gehört haben: "Die Angriffe der Russen werden darauf abzielen, dass unsere Menschen nach ein paar Tagen Krieg auf die Straße gehen und UNS auffordern werden, zu kapitulieren, um das Leiden zu beenden. Dessen müssen wir uns bewusst sein." Heißt: In den europäischen Machtzirkeln fürchtet man Massenproteste – wenn nicht jetzt in der Vorkriegszeit, dann spätestens, wenn der angepeilte Krieg begonnen hat und die Folgen spürbar werden.

Auch sonst weiß Röpcke eher Düsteres (für die Kriegstreiber!) von der Tagung in Vilnius zu berichten: Die russische Rüstungsindustrie sei sehr effizient und erfolgreich, was einen russischen Sieg im Konfliktfall wahrscheinlich mache. Deutschland setze dagegen auf die falschen Waffen. Natürlich raunt Röpcke dabei von einem angeblichen russischen Angriff, von dem die Experten ausgingen. Die Frage sei nicht "ob, sondern wann".

Gegen diese (aus Sicht der europäischen Führung) schlechten Prognosen kämpft Kallas in ihrem Interview tapfer an. Während Röpcke zu berichten weiß, dass die USA im Ernstfall den Europäern gegen Russland wahrscheinlich nicht beistehen würden, die militärischen Pläne der NATO jedoch immer noch auf einer Beteiligung der USA basierten (was wiederum den SWR in seiner Stellungnahme zum Realitätsverlust der europäischen Führer bestätigt), bekräftigt Kallas ihr Vertrauen in das Schutzversprechen der US-Amerikaner. Präsident Donald Trump habe den Alliierten mehrfach versichert, dass die Beistandspflicht eisern gelte. Es gebe heute mehr US-Truppen in Europa als vor dem Ukraine-Krieg. Es klingt wie das Pfeifen im Walde.

Allerdings müssten sich die Europäer mehr engagieren, so Kallas, schneller Waffen produzieren und auch von den Ukrainern lernen, zum Beispiel bei der Drohnen-Abwehr. Nur so könne man Wladimir Putin von einem Angriff abhalten. Kallas schwebt "ein Bündnis aller demokratischen Staaten in Asien, Nordamerika und Europa" nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen China vor. Die EU-Außenbeauftragte setzt weiterhin auf ihr Ziel, Russland mithilfe eines Wettrüstens und Sanktionen wirtschaftlich niederzuringen: "Putin hofft, dass er länger durchhält. Wir kommen jedoch unserem Ziel immer näher, dass er als Erster aufgeben muss." Der Ukraine-Krieg werde enden, "wenn einer Seite die Mittel ausgehen". Und diese Seite müsse Russland sein. Kallas sieht schon erste Anzeichen eines wirtschaftlichen Niedergangs in Russland und meint, dass Russland "zunehmend auf Hilfe von außen angewiesen sei".

Dabei übersieht Kallas, dass es gerade die Ukraine unter Wladimir Selenskij ist, die hochgradig auf Unterstützung von außen zur Weiterführung des Krieges angewiesen ist: sowohl finanziell als auch durch Waffenlieferungen. Damit ist das Land extrem von den Launen seiner Unterstützer und Geldgeber abhängig. Schwindet die Unterstützung für das Ukraine-Projekt in Europa (zum Beispiel durch Wahlerfolge der Opposition), könnte die Selenskij-Administration sehr schnell blank dastehen. Russland ist dagegen in seiner Rüstungsproduktion sehr viel autarker – im Vergleich zur Ukraine sowieso, aber auch in Bezug auf die westeuropäischen Länder. Zudem geht der Ukraine auch die Ressource Mensch aus, das heißt, es fehlen Selenskij Soldaten, die er an die Front schicken kann. Manche Schätzungen gehen davon aus, dass nur noch rund 20 Millionen Menschen auf dem von Kiew kontrollierten Gebiet leben. Der Rest ist nach Westeuropa oder nach Russland geflohen.

Wie instabil mittlerweile die Lage des Selenskij-Regimes geworden ist, zeigt der Skandal um die sogenannten Minditsch-Bänder (RT DE berichtete). Die Veröffentlichung dieser Aufzeichnungen und die Aufdeckung der in Selenskijs Umgebung grassierenden Korruption wären kaum möglich ohne den Segen des Westens. Schon lange ist die Rede davon, Selenskij könne durch einen neuen Kandidaten des Ukraine-Projekts ausgetauscht werden. Es könnte sein, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist.

Ganz und gar abstrus wird es, wenn Kallas von den Gefallenenzahlen der russischen Streitkräfte spricht. Kallas zufolge gerate Russland in finanzielle Schwierigkeiten, weil sich die Zahlungen an die hinterbliebenen Familien mehrten. Sie behauptet, dass im September 2025 15.000 russische Armeeangehörige gefallen seien, im Oktober 25.000 und im November sogar 28.000. Was auffällt: Kallas weiß die Zahlen vom November, obwohl dieser Monat noch gar nicht beendet ist! Eine Quelle für die von ihr genannten Zahlen nennt sie nicht. Von russischer Seite können sie nicht stammen, denn dort werden keine offiziellen Zahlen bekannt gegeben. Wenn die Zahlen nicht von ihrem Büro fantasiert wurden, stammen sie vermutlich vom ukrainischen Militärgeheimdienst GUR, also einer interessierten Partei.

Dabei dürfte die Ukraine die weitaus höheren Verluste davontragen, wenn man die Relation der Anzahl an ausgetauschten Leichen als Kriterium heranzieht (natürlich sind auch andere Erklärungen möglich, zum Beispiel, dass die russische Seite einfach mehr Leichen birgt als ihr ukrainisches Gegenüber). Dafür spricht auch die militärtechnische Überlegenheit der Russen: Kann man bezüglich des Drohnenkriegs eventuell noch von einer Pattsituation ausgehen, so besitzt Russland mit seinen Gleitbomben und thermobarischen Waffen die Luftüberlegenheit. Damit sollen die russischen Verluste nicht kleingeredet werden. Sie sind schmerzhaft, auch wenn sie mit Sicherheit nicht auf dem von Kallas geschilderten Niveau liegen. Dass Kallas die ukrainischen Verluste nicht erwähnt, ist übrigens bezeichnend. Offenbar gilt es in ihrer Weltsicht als selbstverständlich und keines Aufhebens mehr wert, dass sich ukrainische Soldaten für die Interessen der ukrainisch-europäischen Machtelite opfern.

Es sollte übrigens Kallas europäische Untertanen beunruhigen, dass in dem Interview viel von Churchills entschlossener Mobilisierung der britischen Gesellschaft und der Umstellung Großbritanniens auf Kriegswirtschaft die Rede ist. Kallas stellt die Frage: "Warum sollten wir in Europa das heute nicht auch können: unsere Ressourcen so nutzen, dass wir Putin widerstehen?" Ebenso ist beunruhigend, dass sowohl Kallas als auch von Marschall Chamberlains Appeasement-Politik und das Münchner Abkommen als warnendes Beispiel erwähnen, aus dem man lernen müsse. Nicht nur, dass diese Anspielungen auf die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg der diffamierenden Strategie der Verhitlerung Putins dienen. Sie zeigen auch die völlige Kompromisslosigkeit der EU-Elite gegenüber Russland. Für sie ist nur ein niedergerungenes Russland akzeptabel. Und sie fühlt sich offenbar schon im Dritten Weltkrieg.

Natürlich geht es auch Kallas nicht schnell genug mit der Aufrüstung Europas. Dazu passt scheinbar die Meldung vom gleichen Tag, dass bei den Haushaltsberatungen im Bundestag die Mittel für die Munition der Bundeswehr gegenüber den ursprünglichen Planungen um 3,72 Milliarden gekürzt worden sind. Dies aber lediglich deshalb, weil die Rüstungsindustrie diese Menge an Munition nicht bereitstellen kann und der Bundeswehr die Lagerkapazitäten fehlen. Das Militär-Magazin berichtet zudem "aus üblicherweise gut unterrichteten militärischen Kreisen", dass "der aktuelle Munitionsvorrat der gesamten Bundeswehr noch nicht einmal ausreichen" würde, "die Grenze zwischen Litauen und Russland" einen Monat lang zu halten. Man sollte sich jedoch als Bürger durch diese Stockungen bei der Aufrüstung nicht in Sicherheit wiegen. Die Geschichte lehrt, dass europäische Anführer zu Invasionen nach Russland auch ohne ausreichende Vorbereitung bereit sind. Das Einzige, was die europäischen Machthaber fürchten, ist der Protest der Bürger.

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