Der Bundestag, die "Desinformation" und die "Kriegstüchtigkeit"

Zwei Stunden lang befasste sich der Menschenrechtsausschuss des Bundestags am Mittwoch mit "Desinformation". Die Sachverständigen, die geladen wurden, führen vor, worauf die Sicht der Abgeordneten beruht. Eine selbst verstärkende Spirale – mit einem klaren Ziel.

Von Dagmar Henn

Manchmal sind es die größeren Zusammenhänge, die plötzlich aus ernsten Dingen komische machen. Wie bei folgenden Sätzen: "Unter Desinformation versteht der Verfasser die gezielte Verbreitung falscher oder irreführender Informationen, um Wahrnehmungen, Einstellungen oder Entscheidungen zu beeinflussen. Sie liegt vor, wenn Inhalte objektiv unzutreffend sind, der Urheber dies weiß und sie mit Beeinflussungsabsicht einsetzt – auch durch das bewusste Verschweigen wesentlicher Informationen."

Nein, diese Sätze stammen nicht aus einem aktuellen Artikel zum BBC-Skandal um eine manipulierte Rede Donald Trumps aus dem Jahr 2020, die kurz vor den US-Wahlen im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde. Nein, es ist eine Begriffsdefinition aus einer Stellungnahme des Sachverständigen Ferdinand Gehringer von der Konrad-Adenauer-Stiftung im Menschenrechtsausschuss des Bundestages zu "Gefahren durch Desinformation", und gemeint ist, wen wundert es, natürlich vor allem Russland.

Wobei Gehringer bei Weitem nicht der Schlimmste unter den Sachverständigen ist; die zwei grünen Vertreter liegen konkurrenzlos an der Spitze, auch wenn bei ihnen ihre politische Zugehörigkeit nicht so einfach zu erkennen ist wie bei Gehringer. Besonders hübsch ist das bei Gesine Dornblüth, die als Journalistin und Buchautorin auftritt, für den Deutschlandfunk – also den offiziellen deutschen Propagandasender – arbeitet und bei der Heinrich-Böll-Stiftung über "Ethik im Journalismus" doziert.

Die sie handhabt, wie es Grüne eben tun. Mit Sätzen wie diesem: "Als Russland 2014 die Ukraine angriff, sollten die Menschen in der Ukraine glauben, dass Russischsprachigen in ihrem Land ein Genozid droht und dass dort Nazis an die Macht gekommen sind. Die Falschbehauptungen wurden über die staatlichen und staatsnahen russischen Fernsehsender sowie über Social Media Plattformen verbreitet."

Das Verblüffende an dieser Aussage: Die Frau hat Slawistik studiert und war von 2012 bis 2017 als Auslandskorrespondentin in Moskau. Sie hat also 2014 auch die Berichte über Odessa gesehen, beispielsweise. Oder über den 9. Mai 2014 in Mariupol. Über das Referendum im Donbass am 11. Mai 2014, die langen Schlangen und die Terrorüberfälle, die der Rechte Sektor damals beging. Im Gegensatz zum deutschen Publikum konnte sie auch verfolgen, wie die ukrainische Armee begann, Slawjansk mit Artillerie zu beschießen, und sie konnte im ukrainischen Teil des Internets die bösartigen Kommentare lesen, mit denen über diese Gewaltakte gejubelt wurde.

Das war real und geschah ganz ohne russische Einwirkung, so, wie heute israelische Soldaten ganz ohne russische Einwirkung ihre Gewalttaten veröffentlichen – weil sie stolz darauf sind. So, wie sich einst in Belgisch-Kongo Kolonialoffiziere neben verstümmelten schwarzen Körpern ablichten ließen oder Nazischergen neben Hingerichteten. Und dass die Bundeswehr die Ukraine auffordert, zur Ausbildung in Deutschland doch bitte Soldaten ohne Nazi-Tätowierungen zu schicken, kommt sicher auch daher, dass es keine Nazis in der Ukraine gibt.

Dornblüth liegen nüchterne Aussagen fern. In Georgien sieht sie derzeit "eine illegitime EU-feindliche Regierung". Stramm auf Linie. Alle anderen schlampen.

"Der Krieg gegen die Ukraine begann nicht im Februar 2022, wie es mittlerweile mehrheitlich behauptet wird, sondern bereits 2014 mit der Eroberung der Krim und der Eskalation im Donbas. Acht Jahre Krieg, Unterdrückung, massenhafte Vertreibung und tausende Tote zu unterschlagen, ist einer der größten Erfolge der russischen Desinformation."

Eine interessante Wendung, denn die Jahre zwischen 2014 und 2022 werden gemeinhin von den deutschen Leitmedien unterschlagen und keineswegs von jenen, die für "russische Desinformation" zuständig sind. Schließlich hat die ukrainische Armee den Donbass angegriffen und nicht umgekehrt, und die OSZE hat akribisch aufgeschrieben, wer wann wen wo beschossen hat.

Nein, ihre illustrierenden Beispiele sind wirklich besonders niedlich. 2015 sei ein Beitrag von einer WDR-Korrespondentin erfunden worden, in dem berichtet wurde, "dass der damalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko sich stark alkoholisiert in ein Passagierflugzeug nach Moskau gedrängt habe, um dort mit Putin zu reden. Nagel hat diesen Beitrag nie gemacht, und ob Poroschenko mit einer Linienmaschine geflogen wäre, ist auch äußerst fraglich." Ziel des Ganzen sei gewesen, Poroschenko mit dem häufiger betrunken aufgetretenen Boris Jelzin zu vergleichen.

Allerdings, es gibt eine ganze Reihe von Aufnahmen, bei denen Poroschenko mit Sicherheit nicht nüchtern war. Beispielsweise ein ziemlich berühmtes Video, in dem er den Bewohnern des Donbass erklärt, "Ihre Kinder werden in Kellern sitzen". Traurigerweise war das kein Scherz; in manchen Städten, wie in Gorlowka, wuchsen Kinder heran, die seit 2014 nichts anderes kennen, als regelmäßig in den Keller zu flüchten.

Natürlich empfiehlt sie Studien des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Die dann belegen sollen, wie massiv und gefährlich die "Hauptakteure staatlich gelenkter Desinformation", "Russland und China", ins politische Leben in Deutschland eingreifen. Wobei dabei natürlich eine Erzählung gesponnen wird, die nur zum Schein Wissenschaftlichkeit behaupten kann. Denn in jeder Studie über "Desinformation", die Zahlen anführt, die Reichweiten und Gefährlichkeit belegen sollen, fehlen die Vergleichszahlen über den Gesamtraum. Wie viele Meldungen auf sozialen Medien sehen sich die Nutzer pro Tag im Schnitt an? Wie viele Beiträge stellen sie selbst ins Netz? In Deutschland bewegen sich allein 32 Millionen Menschen auf Facebook, die durchschnittlich dort verbrachte Zeit beträgt täglich über eine Stunde; mindestens ein Post pro Tag sollte da möglich sein.

Das CeMAS habe, so Dornblüth, "vor der Bundestagswahl binnen eines Monats mehr als 630 Posts russischer Accounts allein auf der Plattform X gezählt, die gezielt die Absicht verfolgen, Desinformation über die Bundestagswahl und die Parteien zu verbreiten". Das sind Tropfen auf den heißen Stein – X hat in Deutschland sieben Millionen Nutzer, die, wenn wir bei dem vorsichtigen einen Post pro Tag bleiben, binnen eines Monats 210 Millionen Posts verfassen. Tatsächlich liegt global die Zahl der Nutzer auf X bei 586 Millionen, die täglich 2,4 Milliarden Posts verfassen, also vier pro Tag und Person. "Desinformation", so beantwortet Dornblüth die Frage nach der Definition, "lügt, verzerrt und ignoriert Fakten." Das, was Dornblüth hier also betreibt, müsste selbst als Desinformation gewertet werden, da durch Weglassen entscheidender Informationen ein völlig falscher Eindruck erweckt wird. 630 Posts sind, selbst wenn sie absolut auf den Punkt wären, eine zu vernachlässigende Quantität.

Dürnbluth bringt selbstverständlich auch die tollen Vorschläge. Wie, dass "das Presserecht konsequent auch auf Veröffentlichungen jenseits professioneller Medien angewandt werden" solle. Also auf jeden. Immer. Überall. "Jeder, der publiziert", auch in sozialen Medien, müsse "identifizierbar sein und zur Verantwortung gezogen werden können". Angesichts dessen, dass gerade für die Jüngeren Kommunikation auf diesen Plattformen das direkte Gespräch zum Teil ersetzt hat, ist das ein Eingriff in die Privatspäre in einem Ausmaß, das wieder einmal unangenehme Erinnerungen weckt; denn es ist auf dieser technischen Grundlage nur die Zahl der Leser, die die Grenze zwischen dem rein Privaten und dem Öffentlichen zieht; die Vorstellung einer völligen Erfassung und Verrechtlichung setzt tatsächlich den Lauscher an den Frühstückstisch. Oder gar ins Bett ...

Der zweite grüne Experte ist Johannes Hilje, der bei der Europawahl 2014 ihr Wahlkampfmanager war und jetzt, was nicht überrascht, sein Geld mit NGOs verdient. Sicher, ein Wahlkampfmanager muss sich mit Propaganda auskennen, das ist sein Job ...

Übrigens, Hilje und Gehringer zählen beide auch die Website kremlin.ru zu den Verbreitern von Desinformation. Diese Seite ist eine reine Informationsplattform, auf der öffentliche Auftritte, Sitzungen, Reden des russischen Präsidenten dokumentiert werden, nicht anders als auf bundesregierung.de oder whitehouse.gov. Das sind die Seiten, auf die man sich als Journalist üblicherweise begibt, um den Wahrheitsgehalt von Informationen zu überprüfen – was auf diesen Seiten zu finden ist, ist offiziell.

Da werden natürlich, wie auf allen anderen Regierungsseiten der Welt, mit dem, was dokumentiert wird, auch Absichten verfolgt; jeder Regierungssprecher hat den Auftrag, die Position seiner Regierung zu vertreten und nicht einer anderen. Aber diese Seiten bestehen nicht, um zu täuschen oder zu manipulieren; ihre Hauptfunktion ist die klare Kenntlichmachung der offiziellen Information.

Das wissen selbstverständlich auch diese beiden Herren. Aber es verstärkt ihre Versuche, so zu tun, als wäre "beim Russen" alles immer mit böser Absicht getränkt. Die Bundestagsabgeordneten, die diesen Vorträgen lauschten, tun sich und uns nur vermutlich nicht den Gefallen, selbst einen Blick auf die Seite kremlin.ru zu werfen, um dann anhand dieser Informationen ihre Bewertung der Glaubwürdigkeit dieser beiden Herren etwas nachzujustieren.

Tief in der Verschwörungstheorie ist man dann bei unserem Mann von der Adenauer-Stiftung, wenn er weiter aufzählt, wer alles zu dieser "russischen Desinformation" zu zählen ist; den "Kremlin Amplifiers", wie er das nennt.

Das Finanzportal ZeroHedge beispielsweise; vor vielen Jahren hatte Telepolis mal einen Artikel darüber, der Betreiber ist Bulgare, und in Bulgarien sollen auch die Server stehen. Ja, es gibt historische Gründe, warum viele Bulgaren Sympathien für Russland hegen, aber ZeroHedge bietet eine gute Bündelung unterschiedlicher Analysen, auch aus den volkswirtschaftlichen Abteilungen großer Banken oder von Rohstoffhandelsanalytikern; in den Jahren nach 2009 war das eine der schnellsten und reichhaltigsten Seiten, wenn man über die Finanzmarktkrise und ihre Folgen auf dem Laufenden bleiben wollte. Man muss schließlich nicht jede Ansicht teilen, die auf einer Website steht; aber der Grund dafür, dass diese Seite unter die 400 wichtigsten Seiten weltweit gezählt wird (laut Wikipedia, die keine Freunde sind), ist einfach das gute und schnelle Angebot an Wirtschaftsdaten, das leider inzwischen durch Kommerzialisierung nur noch teilweise zugänglich ist.

Die Sortierung, das merkt man auch an anderen Beispielen wie The Saker, die Gehringer vornimmt (und deren Geschichte ich persönlich gut kenne), setzt einen einfachen Filter – jeder, der Russland nicht Feind ist, ist ein "Kremlin Amplifier". Woran man merkt, welchen Schaden der ganze Desinformationsdiskurs an der Weltsicht anrichtet; denn ebenso wenig, wie jedes Medium, das die Sicht der US-Regierung verbreitet, in deren Diensten steht, ist das bei der russischen der Fall. Allerdings – selbst, wenn direkte, nachweisliche Finanzströme bestehen, wie beispielsweise von Soros-Stiftungen zu NGOs, wird es als Verschwörungstheorie klassifiziert, wenn man darin nicht nur ein Abhängigkeits-, sondern sogar ein Weisungsverhältnis sieht (kleine Fußnote: Die BBC erhielt in den Jahren 2023/24 von USAID 2,61 Millionen Pfund), während im russischen Fall selbst dann, wenn keinerlei Geld fließt und alle Beteiligten aus eigener Überzeugung bestimmte russische Positionen teilen, automatisch irgendeine Form von Dienstbarkeit unterstellt wird.

Das blendet auch in Bezug auf die eigene Gesellschaft. Noch einmal Gehringer zu den Zielen der "russischen Desinformation": "In den europäischen Nachbarstaaten richtet sich das Vorgehen insbesondere auf die gezielte Verstärkung bestehender gesellschaftlicher Spannungen, etwa in Fragen von Migration, sozialer Ungleichheit oder Energiepolitik. Durch die Emotionalisierung solcher Themen wird Polarisierung vertieft und Vertrauen in staatliche Strukturen systematisch ausgehöhlt."

Nun, nehmen wir doch mal das Beispiel soziale Ungleichheit. Das ist nur für maximal das oberste Zehntel kein emotionales Thema. Tatsächlich ist die Empörung über die aktuelle Ungleichheit sogar geradezu statistisch unwahrscheinlich gering, schließlich war sie noch nie in der Menschheitsgeschichte so groß wie heute. In allen drei Fällen handelt es sich um Themen, die naturgemäß etwas mehr Polarisierung mit sich bringen als die Gestaltung der nächsten Briefmarke. Aber es ist der reale gesellschaftliche Widerspruch, der die Dynamik liefert, nicht eine Manipulation. Das Problem ist vielmehr, dass, ob als Voraussetzung oder als Folge, der ganze Desinformationsdiskurs mit der Vorstellung gekoppelt ist, der natürliche Zustand der Gesellschaft sei einer, bei dem die Bevölkerung der Politik brav folgt, unabhängig von den realen Problemen.

Unter den sechs Sachverständigen war eine abweichende Stimme, Jan Mainka, der Herausgeber der (deutschsprachigen) Budapester Zeitung. Er wandte sich vor allem gegen das Bild, das in Deutschland von Ungarn gezeichnet wird:

"In Ungarn gibt es eine vielfältige freie Presse mit vielfältigen politischen Ausrichtungen. So etwas wie einen 'Mainstream' gibt es in der ungarischen Presselandschaft nicht. Harte Kritik an der Regierung kann ohne Weiteres erscheinen." Und dann kam die Kritik an den Abgeordneten: "Anders als in Deutschland gibt es in Ungarn auch keinerlei Eingriff in das Leben von Verlagen oder Redaktionen in Form von Kontosperrungen, Angriffen auf Journalisten und deren Eigentum (Abfackeln von Autos), Prozesslawinen mit dem Ziel, einen Verlag finanziell auszutrocknen oder Ähnliches. Selbstverständlich wurde in Ungarn auch noch nie eine Zeitung verboten oder Publizisten mit Hausdurchsuchungen eingeschüchtert wie in Deutschland."

Damit hat er sich vermutlich bei der Mehrheit der Ausschussmitglieder selbst das Etikett "russische Desinformation" verdient, da nicht sein kann, was nicht sein darf. Außerdem erfüllt die ganze Erzählung vom hybriden Krieg, der angeblich von Russland geführt werde, dessen Teil die "Desinformation" sein soll, einen zentralen Zweck: Sie soll die Bevölkerung kriegswillig machen. Daran wird Tag und Nacht gearbeitet.

Schließlich gibt es Erfahrungen, wie man das hinbekommt. "Dazu war es aber notwendig, (...) dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, dass die innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann. Das heißt also, bestimmte Vorgänge so zu beleuchten, dass im Gehirn der breiten Masse des Volkes ganz automatisch allmählich die Überzeugung ausgelöst wurde: wenn man das eben nicht im Guten abstellen kann, dann muss man es mit Gewalt abstellen; so kann es aber auf keinen Fall weitergehen. Diese Arbeit hat Monate erfordert, sie wurde planmäßig begonnen, planmäßig fortgeführt, verstärkt."

Das ist es, wobei all das stört, was als "russische Desinformation" etikettiert wird. Was zum Verstummen gebracht werden muss.

Ich danke dem Leser, der mich auf diese Rede Adolf Hitlers vor der deutschen Presse 1938 hingewiesen hat.

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