Der Souveränität kein Stück näher – Tokio bereit, gegen China für US-Interessen zu kämpfen

Japan hat, von Washington gezwungen, seine Beziehungen zu Russland nahezu eingefroren – auch der Import von Erdgas könnte bald dran sein. In dieser Lage darf es sich Tokio auf keinen Fall erlauben, es sich auch noch mit China zu verscherzen. Und doch tut die neue Premierministerin Takaichi genau das – ausgerechnet, um Trump zu gefallen.

Von Pjotr Akopow

Die neue japanische Regierung hat Schwierigkeiten mit der räumlichen Orientierung – sowohl im Norden als auch im Süden.

Im Süden liegt Taiwan, das die japanische Regierung seit über einem halben Jahrhundert als chinesisches Territorium anerkennt, auch wenn es nicht von Peking kontrolliert wird. Im Norden befinden sich die Südkurilen, die Tokio nicht als russisches Territorium betrachtet und stattdessen weiterhin als "illegal besetzt" bezeichnet. Doch in den letzten Tagen herrscht im japanischen Kabinett Verwirrung bezüglich der bisherigen Werte: Die Kurilen werden als "ausländisch" bezeichnet, und um Taiwan will man praktisch Krieg führen.

Dabei ist noch nicht einmal eine Woche vergangen, seit Sanae Takaichi am Rande des APEC-Gipfels in Gyeongju, Südkorea, Chinas Präsidenten Xi Jinping traf. Zu Treffen zwischen den Staatschefs Chinas und Japans kam es zuvor lange Zeit nicht, und die aktuellen Gespräche boten die Chance auf eine zumindest leichte Verbesserung der bilateralen Beziehungen. Die neue japanische Premierministerin ist eher konservativ und neigt nicht dazu, die japanische Aggression gegen China im Zweiten Weltkrieg häufiger zu verurteilen als absolut nötig. Doch ihr Versuch, die Beziehungen zu verbessern, wurde von Peking begrüßt. Bei dem Treffen erklärte Xi:

"Es ist wichtig, Partner zu sein und einander nicht zu bedrohen."

Der chinesische Bericht über das Treffen schloss mit der Feststellung, dass Takaichi in Bezug auf die Taiwan-Frage erklärt habe, Japan werde an der Position der gemeinsamen Erklärung Chinas und Japans vom Jahr 1972 festhalten. Mit anderen Worten: Japan erkennt die Insel als chinesisch an.

Dass Takaichi nur einen Tag später in Gyeongju nicht bloß einen taiwanesischen Vertreter traf, der am APEC-Gipfel teilnahm, sondern auch ihre Hoffnung auf eine Vertiefung der praktischen Zusammenarbeit mit der Insel zum Ausdruck brachte, blieb in Peking nicht unbemerkt. Man protestierte und forderte die Nichteinmischung in Chinas innere Angelegenheiten. Dies war allerdings nichts Ungewöhnliches: Schließlich hatte Tokio die Beziehungen zu Taipeh nie abgebrochen, und die chinesische Führung war ebenfalls schon lange daran gewöhnt.

Doch wenige Tage später eskalierte die Situation deutlich: Am vergangenen Freitag wurde Takaichi im japanischen Parlament gefragt, ob sie eine militärische Krise in Taiwan – also einen theoretischen Versuch Pekings, die Insel mit Gewalt zu unterwerfen – als existenzielle Krise für Japan betrachte. Der Begriff der existenziellen Krise für Japan existiert so im japanischen Recht und beschreibt eine Bedrohung für die Existenz des Landes – eine Situation, in der die Regierung bewaffnete Gewalt anwenden und gemeinsame Operationen mit den Vereinigten Staaten und anderen Verbündeten durchführen darf. Takaichi antwortete mit "Ja" – und erklärte damit faktisch Japans Bereitschaft, gegebenenfalls gegen China um Taiwan zu kämpfen.

Das ging eindeutig zu weit, und Chinas Reaktion war entsprechend. Und wenn es nur die Erklärung des chinesischen Außenministeriums gewesen wäre, das die japanische Führung scharf für ihre "Fehler in Form ihrer Äußerungen zu Taiwan, die eine militärische Intervention in der Taiwanstraße andeuteten", verurteilte. Weitaus bezeichnender war nämlich die Reaktion des chinesischen Generalkonsuls in Osaka, Xue Jiang, der Folgendes in den sozialen Medien veröffentlichte:

"Wenn sie sich in die Situation einmischt, müssen wir ihren widerwärtigen Kopf abhacken, sofort und ohne zu zögern. Seid ihr darauf vorbereitet?"

Die ungewöhnliche Härte der traditionell zurückhaltenden chinesischen Diplomaten (obwohl der Generalkonsul sich bereits zuvor weit deutlicher geäußert hatte als andere) ist kein Zufall. Für China ist die Taiwan-Frage eine jener absoluten "roten Linien", die niemand überschreiten darf. Ja, hier werden Angriffe gegen China bloß verbal geführt – doch während zuvor vor allem US-Politiker damit auffielen, hat sich nun auch die japanische Premierministerin dem angeschlossen. Wenn Washington andeutet, wegen Taiwan gegen China kämpfen zu wollen, so ist man in Peking bereits daran gewöhnt (wenn man es auch immer mit Protesten quittiert). Ähnliche Drohungen aus Japan sind wiederum einfach zu viel. Und obwohl die japanische Regierung ihrerseits an China eine Protestnote adressierte und Xues Äußerungen als "völlig inakzeptabel" bezeichnete – und der Generalkonsul kurz darauf seinen Post in den sozialen Medien löschte, ist klar, dass Peking Takaichi fortan als absolut feindlich gesinnt betrachten wird. Daran änderte auch ihre Klarstellung, sie habe lediglich die "extreme Phase der bedrohlichen Situation" gemeint, nichts – insbesondere nachdem sie erklärt hatte, sie werde ihre Worte nicht zurücknehmen.

Die Volksrepublik China beabsichtigt nicht, Taiwan militärisch zurückzuerobern – sondern strebt eine friedliche Wiedervereinigung mit der Insel an. Die USA nutzen Provokationen im Zusammenhang mit der "chinesischen Bedrohung", um China einzudämmen und ihre regionalen Verbündeten, allen voran Japan, zu höheren Militärausgaben und dem Erhalt der US-amerikanischen Truppenpräsenz auf ihrem Staatsgebiet zu bewegen.

Gleichzeitig wird China den militärischen Weg zur Wiedervereinigung mit Taiwan niemals vollständig aufgeben – und dies erst recht nicht öffentlich verkünden –, da es den USA nicht die Möglichkeit geben will, es in der Taiwan-Frage endlos zu erpressen (von Waffenlieferungen an die Insel bis hin zu Drohungen, ihre Unabhängigkeit anzuerkennen). Wenn sich aber Japan jetzt dauerhaft der US-Politik anschließen will, China mit der "Taiwan-Karte" unter Druck zu setzen, ist eine Verbesserung der chinesisch-japanischen Beziehungen ausgeschlossen.

Hat Japan das überhaupt nötig? Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmend eingefrorenen Beziehungen zu einem anderen Nachbarn, Russland – denn die USA fordern nun von Tokio, auch noch die Erdgasimporte von der russischen Halbinsel Sachalin einzustellen. Takaichi ist schließlich keine pro-amerikanische, sondern eine pro-japanische Politikerin: eine Nationalistin, eine Traditionalistin, eine Konservative. Ihr Ziel ist die Stärkung (oder, wenn wir ehrlich sind, der Aufbau. Anm. d. Red.) der japanischen Selbständigkeit. Doch dies ist unmöglich, falls die ohnehin schon enorme militärpolitische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten noch weiter anwachsen sollte – besonders bei gleichzeitiger Verschlechterung der Beziehungen zu anderen Nachbarn. Takaichi möchte natürlich nicht, dass sich Japans Beziehungen zu China auf das Niveau derer zu Russland verschlechtern. Doch derartige Versuche, Trump zu gefallen (auch und gerade durch Äußerungen über eine "existenzielle Krise" im Falle eines Kriegs um Taiwan) könnten sie sehr schnell in eine Sackgasse führen.

Zumal eine Wiederherstellung nicht etwa der Beziehungen im Ganzen, sondern des bloßen Dialogs mit Russland für Japan noch nicht einmal am Horizont steht. Übrigens ist es gerade Russlands Territorium, mit dem der zweite Fall des räumlichen Orientierungsverlusts bei der neuen Regierung zu tun hat.

Am Samstag (einen Tag nach Takaichis Äußerungen) reiste der japanische Staatsminister für Okinawa und die Nordterritorien, Hitoshi Kikawada, nach Nord-Hokkaido; seine Reise brachte ihn bis in die Stadt Nemuro und zum Kap Nosappu. Er bezeichnete die Gegend als "den Ort, der einem fremden Land am nächsten liegt."

Wie es dann aber losging! Vom Kap aus kann man nämlich die russische Signalinsel sehen, die weniger als vier Kilometer von dort entfernt liegt – eine Insel, die in Japan Kaigara heißt und als von Russland besetzt gilt! Der Minister verteidigte sich später und erklärte, er habe lediglich den Worten des Bürgermeisters zugestimmt, der Nemuro als "Tor zu anderen Ländern" bezeichnet hatte. Er versprach, künftig vorsichtiger mit seinen Äußerungen zu sein.

Das bedeutet, dass Japan selbst 80 Jahre nach seiner Niederlage im Krieg weiterhin von den Vereinigten Staaten abhängig ist, was seine Sicherheit und seine nationalen Interessen betrifft – und diese Abhängigkeit ums Verrecken nicht lösen kann. Es weigert sich dabei, die Realität im Norden anzuerkennen – und spielt im Süden bei fremden Machtspielen mit.

Dies ist gewiss nicht der Weg zur Selbständigkeit.

Übersetzt aus dem Russischen. Erschienen bei "RIA Nowosti" am 11.11.2025.

Pjotr Akopow ist ein russischer Historiker und Geschichtsarchivar (Absolvent des Moskauer Staatlichen Geschichtsarchivarischen Instituts). Seit dem Jahr 1991, nach einer Geschäftsreise in die damalige Bürgerkriegszone Südossetien, schreibt er als Journalist für zahlreiche Medien: "Golos", "Rossijskije Westi", bis 1994 "Nowaja Gaseta", ab 1998 "Nesawissimaja Gaseta"; seit Anfang der 2000er-Jahre als politischer Beobachter bei "Nowaja Model" und im entsprechenden Ressort der "Iswestija". Er arbeitete als Sonderberichterstatter beim Chefredakteur des "Polititscheski Dschurnal", dessen Chefredakteur er selbst im Jahr 2007 wurde. Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der "Wsgljad" ist zudem ständiger politischer Beobachter bei "RIA Nowosti". 

Mehr zum Thema - Wahl von Sanae Takaichi: In Japan hat eine konservative Revolution stattgefunden