Endlich Aufschwung durch Aufrüstung? Wie Bundesregierung und Kapital die Bevölkerung täuschen

Dank Aufrüstung und Kriegskrediten seien Wachstum und Jobs, Aufschwung und Wohlstand nun endlich nahe, prophezeien die Politiker, Ökonomen und Medien. Eine Täuschung: Profitieren wird vor allem das Monopolkapital – auf Kosten der Mehrheit der deutschen Gesellschaft.

Von Susan Bonath

Der Markt hat viele lukrative Posten für die bildungsbürgerliche Elite geschaffen. Bibel- oder Korandeutern gleich, fluten Propheten aus Wirtschaft und Politik die Medien mit frohen Vorhersagen, um Lohnabhängige in Krisenzeiten hoffnungsvoll zu machen und stillzuhalten. In der Wirtschaftswoche schwadronierte etwa ein "Europa-Chefökonom" vom betrugserfahrenen Investmentbanking-Konzern Goldman Sachs namens Jari Stehn vom neuen Aufstieg. Schon nächstes Jahr, so Stehn, werde "die deutsche Wirtschaft wieder eine treibende Kraft in Europa" sein.

Milchmädchenrechnung

Damit knüpft der Goldman-Sachs-Prophet an die kürzlich veröffentlichte "Herbstprojektion" der Bundesregierung an. Nächstes Jahr, so prophezeite Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), die kürzlich noch für die E.ON-Tochter Westenergie lobbyierte, werde das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) endlich wieder steigen, und zwar um 1,3 Prozent. Dies sei "erheblich" getragen von "hohen staatlichen Ausgaben – etwa aus dem Sondervermögen und den Verteidigungsinvestitionen". Vom nahen Aufschwung (und kriegerischen Großmachtsfantasien) beseelte Medien griffen das dankbar auf und verbreiteten die Mär von der Trendwende.

Die "hohen staatlichen Ausgaben" für den heiligen Gral, das BIP-Wachstum, belaufen sich auf fast eine Billion Euro Neuverschuldung in den kommenden vier Jahren: für gigantische Kriegsrüstung, Waffenfabriken, panzerfeste Autobahnen, Besoldung künftiger "freiwilliger" Wehrpflichtiger und so weiter – während Institutionen des Gemeinwohls, darunter Bahn und Gesundheitsversorgung, weiter verrotten.

In Fortsetzung der Rettungsschirm- und Doppelwums-Politik der Ampel-Regierung schüttet die Union-SPD-Koalition die Auswirkungen der kapitalistischen Krise mit Milliarden zu, für die am Ende die Normalbevölkerung blechen wird. Dass dies sich wie behauptet auf das BIP niederschlagen wird, ist eine Milchmädchenrechnung.

Massenentlassungen

Das Märchen der Ministerin geht ungefähr so: Die Regierung kurbelt mit Krediten die Rendite der Rüstungskonzerne und Banken-Vermögensverwalter an, diese schüfen dann mehr Arbeitsplätze, was die Binnennachfrage steigere.

Nun liegt die offizielle Zahl der Arbeitslosen, die nur die Spitze des Eisbergs abbilden dürfte, inklusive "Unterbeschäftigter" inzwischen bei mehr als 3,6 Millionen. Und es werden immer mehr, wie aktuelle Massenentlassungen zeigen: bei Autozulieferern, Chemiekonzernen wie BASF; auch die Medienbranche und Telekommunikationskonzerne, wie "Deutsche Glasfaser", bauen emsig Personal ab.

Abgesehen davon, dass der Verwendungszweck von Rüstungsgütern nicht dem Allgemeinwohl dient, werden Arbeitsplätze in der Kriegsmaschinerie den gegenwärtigen Stellenabbau ziemlich sicher nicht ansatzweise auffangen. Allein die Automatisierung in der Produktion legt das nahe. Selbst die Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit (BA), das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), sieht keinen Trendwechsel. Dessen Prognose zufolge soll die Arbeitslosigkeit trotz angeblichem "Kriegstüchtigkeitsjobmotor" auch 2026 auf hohem Niveau verharren, im Osten sogar weiter steigen.

Verarmungspolitik

Auch die Bundesregierung schwadroniert in ihrer "Herbstprojektion" in verklausuliertem BWL-Deutsch von einer "insgesamt weiter rückläufigen Arbeitskräftenachfrage" und einem "anhaltenden Stellenabbau im Handel und Gewerbe". Fest steht: Für viele, die ihre Jobs verlieren (werden), haben weder die Wirtschaft noch ihre PR-Abteilungen in den Regierungsämtern eine (neue) Perspektive anzubieten.

Zugleich zerschlägt die neoliberale Führung unter Bundeskanzler Friedrich Merz die Reste der sozialen Sicherungssysteme. Den dann in die Grundsicherung gerutschten zukünftigen Erwerbslosen droht sie mit Totalsanktionen, wenn sie beispielsweise aufgrund fehlender Fachausbildung, ihres Alters oder gesundheitlicher Einschränkungen keinen Job mehr finden – oder einfach nicht zum Militär wechseln wollen.

Teuerung für alle

Doch das verwirrt klingende Aufschwungsgefasel ist tatsächlich perfide Strategie. Das zeigt sich nicht zuletzt in Absätzen, in denen sich die Regierung über "stabilitätsorientierte Lohnabschlüsse" freut und im gleichen Atemzug Preisschübe ankündigt: zum Beispiel für das Deutschlandticket, für Dienstleistungen und die CO₂-Abgabe, die vor allem die Grundbedürfnisse der Menschen weiter verteuern wird.

So müsse spätestens ab 2027 der "gesamtwirtschaftliche Aufschwung allmählich in den Verbraucherpreisen sichtbar werden", räumt die Regierung ein. Das ist dann wohl die "Verteilungsgerechtigkeit" in der "sozialen Marktwirtschaft", von der die Bundesregierung so gerne redet: Wer auf soziale Sicherheit verzichtet, Lohneinbußen in Kauf nimmt und jeden noch so miesen Job akzeptiert, notfalls auch im Schützengraben, um Krieg und Maximalprofite zu finanzieren, darf auch an steigenden Preisen teilhaben.

DAX-Konzerne im Profitrausch

Die Argumentationslücken in den Ergüssen der Politiker und Wirtschaftspropheten von einem Aufschwung, der vermeintlich allen zugute kommt, zeigen sich auch in anderer Hinsicht: Seit März 2022, als die massiv ausgeweiteten Sanktionen gegen Russland zu einer extremen und bis heute anhaltenden Teuerung der Energie- und Lebensmittelpreise führten, ist der Deutsche Aktienindex (DAX) um etwa 90 Prozent gestiegen. 

Im Klartext heißt das: Monopolkapital und Börsenspekulanten müssen auf ihren Aufschwung gar nicht warten. Sie befinden sich längst im Profitrausch, erkauft durch das Abwälzen der Krisen- und Rüstungskosten auf die große Mehrheit der Bevölkerung, die nicht an den gedeckten Tischen der Großaktionäre, Erbmilliardäre und ihrer Zuträger in Politik und Leitmedien diniert.

Genau das beabsichtigt die Bundesregierung, wenn sie Steuergeschenke an Superreiche verteilt, zugleich Militarisierung und Kriegstreiberei als "Wachstumsmotor" anpreist und die Daseinsfürsorge und Arbeitsrechte für die Normalbevölkerung zusammenstreicht: noch schnellere Umverteilung von unten zu den reichsten paar Prozent von Nutznießern. So ist die Erzählung vom baldigen Aufschwung inklusive Wohlstand für alle vor allem eins: Propaganda, um den Turbo-Klassenkampf von oben zu verschleiern.

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