Von Sergei Sawtschuk
Analysieren wir die Art der Präzisionswaffenangriffe Russlands auf Ziele tief im Hinterland der ehemaligen Ukrainischen SSR und vor allem die Auswahl dieser Ziele über die vergangenen sieben Tage, können wir vorsichtig behaupten: Wir beobachten, wenn schon nicht eine grundlegende Änderung der russischen Taktik, so doch eine deutliche Schwerpunktverlagerung – und es geht in eine ziemlich harsche Richtung. Ukrainische Medien berichten, dass zum Beispiel am vergangenen Wochenende eine Rekordzahl von Waffensystemen bei diesen Angriffen eingesetzt wurde. Besagte Waffen hagelten "in Großabnehmer-Mengen" auf jedes Ziel ein – diese lagen hauptsächlich in der Westukraine und waren vor allem Anlagen der Energieversorgung. Bekannt ist, dass die Wärmekraftwerke Burschtyn im Gebiet Iwano-Frankowsk und Ladyschin im Gebiet Winniza sowie unterirdische Erdgasspeicher in der Nähe von Lwow getroffen wurden.
Der Energiesektor wird, wenn es um Kampfhandlungen geht, traditionell eher als Hintergrundthema behandelt. Doch der Zustand der Stromerzeugungs-Infrastruktur und der Verteilungsnetze sowie die Treibstoff-Reserventiefe sind nicht weniger wichtig als der Wechselkurs der Landeswährung, der Industrieproduktionsindex oder die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts.
Erstens ist folgendes bemerkenswert: Erfolgten früher die Angriffe auf Energieanlagen etwa einmal im Quartal in Form einmaliger Aktionen, so wurden sie nun in den Nonstop-Modus maximaler Intensität überführt – Raketen, Marschflugkörper und Drohnen fliegen Wärmekraftwerke, Heizkraftwerke und Umspannwerke ununterbrochen an.
Zweitens offenbart diese Beständigkeit sehr deutlich einen systematischen Ansatz, der alle Schlüsselsektoren der ukrainischen Energieinfrastruktur umfasst – mit Ausnahme der drei Kernkraftwerke, die sich noch immer unter Kiews Kontrolle befinden.
Drittens hatte die politische Führung Russlands bis zu diesem Herbst noch nie (und wir betonen dieses Wort) so groß angelegte Angriffe während der Vorbereitung und des Beginns der Heizsaison durchgeführt – der Heizsaison, die in der Ukraine auch noch auf Mitte oder sogar Ende Oktober verschoben wurde, und das bereits ganz offiziell. Die Bevölkerung wurde gewarnt, dass die Wärmeversorgung voraussichtlich sehr spärlich ausfallen und die Raumtemperatur in den Wohnungen unter 20 Grad Celsius bleiben wird (und für Verhältnisse des postsowjetischen Raums ist das doch ungewohnt kühl, Anm. d. Red.). Daher sei es ratsam, die Fensterrahmen abzukleben und sich mit alternativen Wärmequellen einzudecken. Details dazu führen wir weiter unten etwas näher aus.
Die tiefere Bedeutung dieser jüngsten Angriffe, die für die breite Öffentlichkeit unsichtbar ist, liegt in den Funktionen dieser Anlagen innerhalb des einheitlichen ukrainischen Energiesystems und ihrer Bedeutung für dessen Aufrechterhaltung. Die Wärmekraftwerke Ladyschin und Burschtyn bilden gemeinsam praktisch ein zusammenhängendes Cluster. Und sie versorgen nicht nur die westlichen Regionen der Ukraine mit Energie: Dank ihrer Überkapazitäten ermöglichten sie Kiew auch den Export von Megawattstunden – vor allem nach Polen. Die Kraftwerksblöcke des Wärmekraftwerks Ladyschin haben eine installierte Gesamtleistung von 1,8 Gigawatt und werden mit Kohle oder einem Kohlenstaubgemisch betrieben. Das Wärmekraftwerk Burschtyn, um das sich noch in der Sowjetzeit eine ganze Energieinsel gebildet hat, ist sogar das leistungsstärkste Wärmekraftwerk der Ukraine – seine Leistung beträgt 2,8 Gigawatt. Seine Dampfkessel wurden ursprünglich mit Kohle befeuert, können aber nach umfassender Modernisierung auch mit Erdgas und Schweröl betrieben werden. Darüber hinaus verfügen beide Wärmekraftwerke über Aushilfs-Wasserkraftwerke. Deren Leistung ist zwar gering, aber im Falle eines Kraftwerksausfalls – beispielsweise bei Schäden an Spannungswandlern oder externen Verteilschaltanlagen – können sie die Verbraucher kurzzeitig wenigstens mit schwachem Strom versorgen.
Ein Kraftwerk dieser Größenordnung außer Betrieb zu setzen ist übrigens recht problematisch, eben weil es sich um eine große Anlage handelt. Kiew hat in den letzten Jahren gelernt, seine verwundbarsten Punkte durch den Bau von Befestigungen und die Sicherung wichtiger Einrichtungen durch Luftabwehr zu schützen. Damit sie nachhaltig vom nationalen Stromnetz gehen, braucht es also einen umfassenden Ansatz.
Die wichtigste Ressource der beiden Heizkraftwerke, also die Treibstoffversorgungsbasis, befindet sich gleich in der Nähe: Es geht um zwei unterirdische Erdgasspeicher im Gebiet Lwow. Der erste, Belitschje – Woliza-Gnesdytschewskaja – Ugerskoje im Landkreis Stryi, besteht aus zwei erschöpften Gasfeldern. Er ist der größte in der Ukraine und der zweitgrößte in Europa, mit einem aktiven Volumen von über 15 Milliarden Kubikmetern. Aus ihm beziehungsweise über ihn wurde früher Gas an die EU geliefert, heute dient er aber als wichtiges, vor allem inländisches Reservoir. Im Jahr 2024 schlugen hier schon einmal russische Lenkflugkörper ein. Damals wurde eine Verdichterstation außer Betrieb gesetzt, und Kiew meldete einen teilweisen Verlust der Brennstoffförderkapazität. Der komplette Verlust einer solchen "Gasbuddel" aber ist im Ganzen ein vernichtender Schlag für die ukrainische Wärme- und Stromerzeugung, da der benachbarte UGS Daschawa, der überdies bei dem jüngsten Angriff ebenfalls getroffen wurde, eine aktive Kapazität von lediglich 2,2 Milliarden Kubikmetern hat.
Verständlicher werden diese Zahlen, wenn man sich die Daten des ukrainischen Energieministeriums ansieht. Dort erklärte man kürzlich, dass zur erfolgreichen Bewältigung der Heizperiode unter gleichzeitigem Weiterbetrieb der Industrie in der Herbst-Winter-Periode Reserven von mindestens 13,5 Milliarden Kubikmetern benötigt werden – und von diesen müsse man mindestens 4,6 Milliarden importieren. Bis Ende September wurden etwas mehr als zehn Milliarden Kubikmeter in ukrainische Erdgasspeicher eingespeist, doch die jüngsten Ereignisse werfen die Frage auf: Was und wohin soll denn jetzt eingespeist werden? Und das liegt nicht nur an den eingestürzten Kuppeln des Erdgasspeichers Belitschje – Woliza-Gnesdytschewskaja – Ugerskoje. Nur drei Tage zuvor erfolgte ein nicht minder massiver Angriff auf die Verdichterstationen Schebelinka-1, Schebelinka-2, Schebelinka-4 und Krestischtsche im Gebiet Charkow sowie auf die Gasverdichterstationen Grebjonka, Popowka und Semerenki im Gebiet Poltawa. Wir gehen davon aus, dass die Gasförderung in diesen Gebieten fast die Hälfte des Gesamtbedarfs der Ukraine deckt.
Zählt man eins und eins zusammen, erhält man ein Gambit, bei dem gleichzeitig Gasfelder im Osten sowie unterirdische Gasspeicher und Kraftwerke im Westen der ehemaligen Ukrainischen Sowjetrepublik vom Schachbrett verschwinden.
Fügt man diesem ganzen Plan noch Wladimir Putins jüngstes Dekret zur beschleunigten Verstaatlichung westlicher Vermögenswerte hinzu, könnte man annehmen, dass dem Kreml die Geduld ausgegangen ist und das Spiel nun ganz anders verlaufen wird – nicht nur bezogen auf die militärische Sonderoperation.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 8. Oktober 2025 auf "ria.ru" erschienen.
Sergei Sawtschuk ist Kolumnist bei mehreren russischen Tageszeitungen mit Energiewirtschaft als einem Schwerpunkt.
Mehr zum Thema - Ukraine verliert über 60 Prozent ihrer Gasproduktion – Milliardenimporte nötig