Von Linken angesteckt? Hamburger AfD an Distanzeritis erkrankt

Die AfD-Fraktion in der Bürgerschaft Hamburgs hat am Mittwoch den Ausschluss des Abgeordneten Robert Risch beschlossen, ein Parteiausschlussverfahren läuft. Was muss man verbrochen haben, damit es so faustdick kommt?

Von Alexej Danckwardt 

Das Wort "demokratisch" und Ableitungen davon konnte der Hamburger AfD-Landeschef, zugleich Vorsitzender der AfD-Fraktion in der Bürgerschaft Dirk Nockemann am Mittwochabend gar nicht oft genug in seine Begründung für den Rausschmiss von Parteifreund Robert Risch aus der Fraktion packen. So zitiert ihn der Norddeutsche Rundfunk (NDR):

"Die Teilnahme an dieser Konferenz ist mit den demokratischen Werten und Grundsätzen der AfD nicht vereinbar. Wir lassen uns nicht täuschen. Und wir reagieren mit der gebotenen Konsequenz, wenn man nicht eindeutig zum demokratischen Programm von Partei und Fraktion steht und sich unabgesprochen bei ausländischen Konferenzen mit antidemokratischer Ausrichtung instrumentalisieren lässt."

Eine Freudsche Fehlleistung ist dies nicht allein deshalb, weil diejenigen, an die Nockemann und die Mehrheit der Hamburger AfD-Fraktion sich mit dem Rausschmiss von Risch anbiedern wollen – CDU, Grüne, Linke –, die AfD für den "Feind unserer Demokratie" halten und auch künftig halten werden, völlig egal, wie oft und wie aufrichtig sie sich zur Demokratie bekennt. Selbst wenn sie alle "Russenfreunde" rausschmeißt. Ändern wird sich das dann – und erst dann –, wenn die CDU keine andere Machtoption mehr hat. 

Eine Freudsche Fehlleistung ist es vor allem, weil der Vorgang am Mittwochabend seiner Natur und seinem Inhalt nach zutiefst undemokratisch und freiheitsfeindlich ist. 

Aus der Fraktion (und demnächst wahrscheinlich auch aus der Partei, das Ausschlussverfahren läuft) ausgeschlossen wurde Risch, weil er es sich erlaubt hatte, nach Sankt Petersburg zu reisen und dort ein (mir persönlich suspektes, aber das ist irrelevant) Treffen von Rechtspopulisten zu besuchen.

Mit dabei waren Nachfolger spanischer Falangisten, was die Veranstaltung auch vielen Russen verächtlich macht, aber davon abgesehen würde ich es zunächst bei der Bezeichnung "Rechtspopulisten" belassen und nicht von vornherein zu Schmäh- und Kampfbegriffen wie "Neonazi" oder "Faschisten" greifen, mit denen der deutsche Mainstream die Teilnehmer ohne jeden Nachweis bewirft. Auch das ist nicht relevant, denn Risch hat offensichtlich weder etwas unterzeichnet, noch ist er dem "Paladine" genannten Bündnis bekennender Globalisierungsgegner beigetreten. Er war nicht einmal offizieller Teilnehmer des Treffens, sondern zufälliger Gast. Ein Beobachter, wenn man so will. 

Demokratisches und freiheitliches Ideal ist es, dass jeder mit jedem jederzeit reden kann. Reden bedeutet noch lange nicht gemeinsame Sache machen. Reden bedeutet nicht einmal Zustimmung – auch Streiten und kontrovers Diskutieren ist Reden. 

Mehr noch, jede ernst zu nehmende Ideologie erlegt ihren Anhängern die Pflicht auf, zu den noch nicht überzeugten "Heiden" zu gehen und sie zu bekehren. Ohne Berührungsängste. Jesus speiste mit Sündern und verteidigte das damit, dass die Kranken einen Arzt brauchen, nicht die Gesunden. "Nazis raus aus den Köpfen" – wie soll das gehen ohne Reden und ohne jeden Kontakt zu den in Frage kommenden Köpfen? Die klassischen Kommunisten waren sich nie zu fein, mit tatsächlichen oder vermeintlichen Feinden zu reden: Man braucht nur sich die Listen der Opfer der NS-Herrschaft anzusehen, um zu merken, dass sie in Hunderten, vielleicht Tausenden Fällen erfolgreich waren und SA-Mitglieder zum Wechsel zur "Roten Front" brachten. 1933 bezahlten die Bekehrten dann ihre Wandlung vom braunen Saulus zum roten Paulus mit dem Leben – wer wagt es da, die Aufrichtigkeit der Wandlung anzuzweifeln? 

Die heutige Linke in Deutschland kennt solchen missionarischen Eifer nicht mehr. Dort grassiert seit mindestens zwei Jahrzehnten eine Krankheit, die intern "Distanziritis" heißt. Sie beruht auf der Annahme, dass Faschismus ein Virus ist und jeder, der auch nur im selben Bus mit einem politischen Gegner (und für Linke sind alle Gegner pauschal "Nazis", außer den ukrainischen "Freiheitskämpfern", versteht sich) gefahren ist, sich damit auf dem Luftweg angesteckt hat und nun selbst ein "Nazi", mindestens aber "rechtsoffen" und "Querfront" ist. Alle anderen müssen sich dann sofort vom "Infizierten" distanzieren, sonst sind sie ebenfalls suspekt, "Nazi", "rechtsoffen" und "Querfront", und werden ausgestoßen, verboten und gecancelt. Das nennt sich "Kontaktschuld", und so wurde aus "Nazis raus aus den Köpfen" die heutige Losung der Linken, dass man "Nazis" (und "Nazis" sind alle, die nicht "Antifa" sind) die Köpfe einschlagen muss.

Ich habe diese Neurosen und Psychosen in meiner Zeit in der Linken nie verstanden: Wenn ich so fest in meinen Überzeugungen bin, dass ich mich trotz gesellschaftlicher Ächtung und ungeachtet beruflicher Nachteile offen zu ihnen bekenne, was kann mir dann schon passieren, wenn ich einem "Nazi" zuhöre? Zu seiner Ideologie bekehren kann er mich nicht, aber ich habe die Chance, ihn mit besseren Argumenten von seinen Verirrungen abzubringen. Und gute Argumente zu finden, ist wirklich nicht schwierig. Dachte ich.

Heute weiß ich: Die zeitgenössischen Linken, die jüngeren und "mittelalten" Parteimitglieder jedenfalls, haben gar keine Überzeugungen. Sie gingen in die Politik, um Karriere zu machen, und hätten sie bessere Chancen in der FDP, wären sie in der FDP. Bestenfalls ist die Mitgliedschaft Folge zufälliger Sozialisierung im Millieu. Darum auch die neurotischen Reaktionen auf das Auftauchen eines "Nazis" irgendwo in der Ferne am Horizont: Sie haben tatsächlich begründete Ängste, "verführbar" zu sein. So wie latente Homosexuelle oft die lautesten und gewalttätigsten Homophoben sind.

Und für bessere Argumente im offenen Disput fehlt ihnen tatsächlich der Intellekt: Wenn die Galionsfigur der Linken in Leipzig nach zwei Jahrzehnten Studium nicht einmal einen Abschluss in Politologie zustande bringt ... Wenn die einmalige Sternstunde der rhetorisch Begabtesten in ihrer Bundestagsfraktion im Aufruf gipfelt, Barrikaden gegen die Opposition zu errichten, sodass sich sogar FDP-Kubicki gezwungen sieht, die Barrikaden in ihrer Ehre zu verteidigen ...

Aber lassen wir die Linken ... Ganz Deutschland ist spätestens seit der Kanzlerschaft Angela Merkels erkrankt, die Atmospäre ist überall vergiftet und stickig, gegen Andersdenkende hetzen alle Mainstreammedien, offene Debatten sind undenkbar, gecancelt wird in allen Klassen, Schichten und Millieus.

Nur die AfD schien bislang davon verschont zu sein, und mit ihr verbanden Optimisten die Hoffnung auf eine Rückkehr zu gesitteteren Zeiten im politischen Leben. Zumindest hatten zu meiner Zeit als Stadtrat ihre Verordneten keine Berührungsängste mir gegenüber, einem bekennenden Kommunisten (und das müsste ja für einen Konservativen viel schlimmer sein als so ein spanischer Falangist).

Diese Hoffnung hat seit Mittwoch einen weiteren Knacks. Nicht den ersten, über weitere besorgniserregende Symptome der "Normalisierung" der AfD hatte RT DE mehrmals berichtet.

Der Rausschmiss des Russlandreisenden Risch sagt zweierlei über die internen Prozesse in Deutschlands größter Oppositionspartei aus:

Erstens ist auch sie (wie vor ihr schon die Linke) uneingeschränkt bereit, die Positionen, die sie politisch stark machten, zu verraten, um an Pöstchen und "Regierungsverantwortung" zu gelangen. Im Fall Risch opferte die Hamburger AfD der politischen Opportunität wegen freiwillig den Anspruch, Avantgarde einer neuen politischen Kultur zu sein. Sie beugte sich Forderungen des potenziellen Koalitionspartners CDU und macht sich damit auch in Zukunft anfällig für weitere Manipulationen und Erpressungen. Vor allem zeigt sie, dass auch sie "ankommen" will, dass sie danach strebt, als "koalitionsfähig" akzeptiert zu werden. Akzeptiert von jenen "Eliten", die Deutschland schnellstmöglich entmachten muss, um zu überleben.

Zweitens, seien wir ehrlich: Diese Aufregung gibt es nicht, weil Risch in einem Raum mit spanischen Falangisten war. Es wäre höchstwahrscheinlich außerhalb enger Antifa-Kreise nicht einmal Gesprächsthema gewesen, wenn das Treffen irgendwo in Deutschland, in Spanien oder der Schweiz stattgefunden hätte. Es ist doch nun wirklich nicht so, als würde sich nie ein AfD-Abgeordneter mit Rechtsradikalen irgendwelcher Couleur irgendwo in Deutschland oder außerhalb treffen und reden. So weit ist die Distanziritis in der AfD auch nicht gediehen, dass es nach jedem solcher Treffen Rausschmisse hageln würde.

Gemaßregelt wird Risch dafür, dass er nach Russland reiste und in einem Raum mit den Russen Alexander Dugin und Konstantin Malofejew war. Dafür und nur dafür.

Und damit lieferte die Hamburger AfD Skeptikern wie mir ein weiteres Argument dafür, dass sich auch mit ihr an der Macht nichts an der antirussischen und russenhassenden Grundausrichtung der deutschen Politik ändern wird. Es gibt unzweifelhaft Kräfte in der AfD, die auf Völkerverständigung und Frieden setzen, und Mitglieder, die den Mut haben, Brücken zu bauen. Diesen gebührt Respekt, doch wahr ist eben auch, dass diese Kräfte aktuell bedrängt werden und ihnen die Kontrolle über die Partei zunehmend entgleitet, so sie sie jemals hatten und mehr als nur Wahlwerbung für den Wähler im Osten waren. Auch die Linken galten einmal als Russland-Freunde, heute sind sie Russlandhasser erster Güte.

Nichts würde ich mir sehnlicher wünschen, als mich mit dieser Prognose zu irren. Doch das Menetekel ist an der Wand, und es war nicht ich, der es zeichnete.

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